Was verbindet eine Orchesterprobe mit "Fridays for Future"-Demonstrationen? Viel, wenn man Jeremy Deller fragt oder seinen Film "Wir haben die Schnauze voll“" im Bonner Kunstverein anschaut, eine Auftragsarbeit zum Beethovenjubiläum "BTHVN2020". Deller nahm die Einladung als Gelegenheit, sich intensiver mit Beethovens Musik zu beschäftigen und vor allem die "B-Seiten" aufzuspüren, wie er sagt.
Wie in vielen seiner Projekte aus den letzten Jahren hat der britische Künstler auch in Bonn – der Geburtsstadt des Jubilars – mit verschiedenen Gruppen von Menschen zusammengearbeitet, die er halb angeleitet, halb sich selbst und ihren Aktionen überlassen hat. Der Film, Hauptstück der Ausstellung, beginnt mit einer Probe des Beethoven Orchesters. Der Dirigent ist noch nicht ganz zufrieden, immer wieder werden einzelne Akkorde aus der 7. Symphonie angespielt und wiederholt.
Parallel setzt eine zweite Handlung ein, die eine Gruppe von Kindern begleitet, erst im Bus, dann, wie sie den Probenraum betreten, sich an den Händen halten und die Musiker umkreisen, sich im Takt wiegen, mit erstaunten bis irritierten Gesichtern. Als die Musik lauter und kraftvoller wird, vollziehen sie Hebefiguren, verknoten sich zu Körperknäulen, rennen im Kreis, immer schneller und unbeachtet vom Orchester. Wer hier wen steuert – die Kinder durch ihre Bewegungen die Musik, oder die Musik ihre Bewegungen, ist nicht ganz klar.
Reaktionen von gelangweilt bis begeistert
Berührungen zwischen den Kindern und den Musikern finden zunächst nur durch Blicke statt, man mustert, beobachtet, bewundert sich. Angestachelt durch die Musik rennen die Kinder schließlich nach draußen, durch die Stadt, selbstgemalte Plakate geschultert, und gelangen zu einer "Fridays for Future"-Demonstration, die sie ebenso neugierig und unbefangen beobachten wie zuvor die Probe. Es ist faszinierend, in ihre Gesichter zu blicken, die völlige Offenheit zu spüren, mit der einige von ihnen vielleicht zum ersten Mal klassische Musik und eine Demo live erleben, gelangweilt bis begeistert.
"Um Beethoven heute deutlich zu hören, bedarf es der Ohren eines Kindes", schreibt Dan Fox im begleitenden Katalog. Deller sagt, er möchte Beethoven freilassen, ihn aus der Vereinnahmung durch Werbung, Politik, Warteschleifen oder weißen Büsten auf bürgerlichen Klavieren befreien und den richtigen, nicht elitären Beethoven herauskitzeln, dem es um ganz gegenwärtige Themen wie Natur, Demokratie, Menschheit oder Freiheit ging. "Seid umschlungen, Millionen", heißt es in der berühmten Ode "An die Freude". Das klingt im Moment wie ein Versprechen aus einer utopischen virenfreien Zukunft, nicht wie ein über 200 Jahre alter Vers.