Ein blonder Junge, dynamisch aus der Untersicht fotografiert, hantiert fröhlich-robust mit einem Propellerflugzeug. Neben ihm blickt uns skeptisch ein kleines, noch blonderes Mädchen an, seinen Teddybär fest an sich gedrückt. Die beiden Kinderfotografien, entstanden in den 1930er-Jahren, entsprechen perfekt dem Idealbild der "reinrassigen germanischen Familie", wie es die Nationalsozialisten propagierten. Der Fotoreporter Willi Jungmittag verstand es, die hohle Idylle glaubwürdig in Szene zu setzen, obwohl er als Bauhäusler (1928–1930 studierte er am Standort Dessau) einen ganz anderen ästhetischen Kompass entwickelt hatte.
Doch um seinen Lebensunterhalt in schwierigen Zeiten zu verdienen, betrieb Jungmittag gemeinsam mit seiner Frau, der britischen Künstlerin Brigid Mcnaughten, ein Kinderporträtstudio in Berlin. Der Kommunist schloss sich 1934 einer Widerstandsgruppe an, wurde 1944 von der Gestapo verhaftet und im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet. Er ist eines von 24 Bauhaus-Mitgliedern, die von den Nazis umgebracht wurden.
Jetzt hängen seine Kinderfotos als Musterbeispiele für die Janusköpfigkeit der Epoche im Schiller-Museum – einer von drei Stationen der Weimarer Sonderausstellung "Bauhaus und Nationalsozialismus", die rund 450 Kunst- und Designobjekte präsentiert. Mehr als das, und noch wichtiger: Die Schau, kuratiert von Anke Blümm, Elizabeth Otto und Patrick Rössler, rollt die Biografien von knapp 60 Frauen und Männern auf, die allesamt am Bauhaus studiert oder gelehrt haben, deren Wege sich jedoch nach 1933 radikal trennten. Im Extremfall führten sie zur Ermordung im KZ oder zur Karriere in der SS.
Wie "Feuer und Eis" zur NS-Kunstpolitik
Kein Zweifel, mit dieser Ausstellung rüttelt die Klassik Stiftung Weimar an einem Tabu. Obwohl Winfried Nerdinger schon 1993 mit seiner Publikation "Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung" gegen die landläufige Vorstellung vom politisch unbefleckten Bauhaus zu Felde zog, hält sich hartnäckig die vom Gründer Walter Gropius verbreitete Legende, die Angehörigen des Bauhauses seien durch die Bank immun gewesen gegen die totalitäre Ideologie.
Im Kern besagt dieses Narrativ, das noch 2019 bei den Jubiläumsaktivitäten zum 100. Bauhaus-Geburtstag liebevoll gepflegt wurde: Das "Staatliche Bauhaus in Weimar", das 1919 gegründet wurde, 1925 nach Dessau weiterzog und 1933 nach einem kurzen Intermezzo in Berlin seine Pforten schloss, sei eine Bastion von künstlerischer Freiheit, Fortschritt und Technik gewesen.
Wie Feuer zu Eis habe sich dieses Labor der Moderne zur NS-Kunstpolitik verhalten. Letztere machte der "kulturbolschewistischen" Reformschule rasch den Garaus. Mit ihrer Verteufelung der "Entarteten Kunst" stellte sie auch Bauhausmeister wie Feininger, Kandinsky, Klee oder Schlemmer an den Pranger. Vor der Folie des biederen Nazi-Kunstgewerbes, so eine beliebte Lesart, erschienen Bauhaus-Klassiker wie der Wassily-Stuhl Marcel Breuers, die Bauhaus-Leuchte von Wilhelm Wagenfeld oder das Teekännchen von Marianne Brandt als Antipoden, als leuchtende Gegenbeispiele zeitgemäßer Gestaltung.
Bloß ein Lippenbekenntnis zum "Dritten Reich"?
Bei der einflussreichen Ausstellung "50 Jahre Bauhaus", die 1968 im Württembergischen Kunstverein Stuttgart stattfand, waren die Fronten klar abgesteckt: "nur von etwa einem prozent ist bekannt, daß sie mehr als ein lippenbekenntnis zum dritten reich abgelegt haben", hieß es seinerzeit in typischer Bauhaus-Schreibweise im Katalog über die Mitglieder der Schule. Wer die aktuelle Bauhaus-Schau durchstreift – ein Beitrag zum Themenjahr "Auf/Bruch" der Klassik Stiftung Weimar –, wird dieser Mystifizierung nicht mehr aufsitzen. Jetzt hat man es schwarz auf weiß: Von den rund 1200 Studierenden am Bauhaus traten 188 in die NSDAP ein. Immerhin 15 Prozent. Von einer Petitesse, wie von Gropius suggeriert, kann also keine Rede sein.
Natürlich waren die meisten von ihnen Mitläufer, Menschen, die sich anpassten, um über die Runden zu kommen. Doch fehlte es in den Reihen der ehemaligen Bauhäusler keineswegs an überzeugten Nationalsozialisten – zu ihnen zählen der Maler Heinrich Basedow der Jüngere und der Architekt Fritz Ertl. Allemal ein mulmiges Gefühl hinterlässt ein Brief, den Walter Gropius 1934 an den Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Eugen Hönig, schrieb. Darin bekannte er unumwunden: "Sie fordern den deutschen Menschen. Ich fühle mich sehr deutsch…". Ebenfalls 1934 präsentierte Gropius beim DAF-Wettbewerb "Häuser der Arbeit" eine moderne kubische Anlage mit Hakenkreuzfahnen.
Im selben Jahr setzte Mies van der Rohe, dritter und letzter Leiter des Bauhaus, seine Unterschrift unter den "Aufruf der Kulturschaffenden" zur Unterstützung Adolf Hitlers. Besonders krass die Anbiederung der "Gruppe Nationaler Studierender am Bauhaus Berlin" bei Joseph Goebbels – in einer offiziellen Bitte um die Wiedereröffnung der Schule versprach man dem Propagandaminister im Mai 1933 die "Ausrottung Art- und Rassenfremder Einflüsse" und einen "judenfreien" Lehrkörper.
Zwischen Opposition und Adaption
Das weite Feld zwischen Opposition und Adaption im NS-Staat erkundet die immens materialreiche Ausstellung in drei Teilen: Im Museum Neues Weimar verdeutlicht der Abschnitt "Politische Kämpfe um das Bauhaus 1919−1933", dass der Ausbildungsstätte, die zum Sommersemester 1919 mit 84 Studentinnen, 79 Studenten und viel Euphorie in Weimar an den Start gegangen war, von Beginn an reichlich Gegenwind entgegen blies. Spätestens, als reaktionäre Kräfte bei der Thüringer Landtagswahl von 1924 die Oberhand gewannen und die sogenannte "Ordnungsbundregierung" bildeten, geriet die "Kathedrale des Sozialismus", wie das Bauhaus in Weimar von deutschnationalen Gegnern schon früh verunglimpft worden war, in existenziell bedrohliches Fahrwasser.
Noch schlimmer kam es 1930: Der neu gebildeten thüringischen Landesregierung gehörte zum ersten Mal die NSDAP an: Prompt machte der NS-Innenminister Wilhelm Frick den radikalisierten Architekten Paul Schultze-Naumburg, Verfasser der Hetzschrift "Kunst und Rasse", zum Direktor der Weimarer Bauschule, Nachfolge-Institut des Staatlichen Bauhaus.
Eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, die Wandgestaltung von Oskar Schlemmer im Treppenhaus entfernen zu lassen. Der idealistische Maler und Bühnenbildner, von 1920 bis 1929 als Meister am Bauhaus in Weimar und Dessau tätig, war seit 1933 rigoros künstlerisch ins Abseits befördert worden. Mit Reklamebildern wie dem "Feuerschiff im Trockendock in Wilhelmshaven", das er 1940 für die Lackfarben-Firma Dr. Kurt Herberts malte, versuchte er, sich über Wasser zu halten.
Bildersturm in der Klassikerstadt
Vom Neuen Museum sind es nur wenige Schritte bis zum Bauhaus-Museum Weimar, Station des Ausstellungskapitels "Abgehängt – Beschlagnahmt – Angepasst 1930/1937". Schon 1930 tobte in der Klassikerstadt ein Bildersturm, der sich gegen die moderne Kunst richtete. Sieben Jahre später wurden im Weimarer Schlossmuseum mindestens 460 Kunstwerke beschlagnahmt – 130 von ihnen verbrannten die Nazis 1939 in Berlin.
Im selben Jahr machte die berüchtigte Wanderausstellung "Entartete Kunst", erstmals 1937 in München gezeigt, Halt in Weimar. Wie der Rachefeldzug gegen die Avantgarde im Thüringischen Landesmuseum inszeniert wurde, davon haben wir keine genaue Vorstellung, weil sich keine offiziellen Ausstellungsansichten erhalten haben. Umso wertvoller sind 35 Aufnahmen einzelner Gemälde, die der Fotograf Günther Beyer heimlich von außen durchs Fenster machte.
Rund 15 Minuten Fußweg braucht man, um zur dritten – und wichtigsten – Station zu gelangen. Im Schiller-Museum werden die "Lebenswege in der Diktatur 1933−1945" nachgezeichnet. Auf arg beengtem Raum entfalten sich Biographien, deren gemeinsamer Nenner sich nicht selten auf die Bauhaus-Studienzeit reduziert. Architektur, Fotografie/Film, Grafikdesign, Kunstgewerbe/Design/Textil sowie Malerei/Skulptur – die Unterteilung nach Kunstgattungen dient als eine Art roter Faden, der durchs Labyrinth der Gratwanderungen zwischen Flucht und innerer Emigration auf der einen und Tanz auf dem Vulkan auf der anderen Seite führt.
Ein Zeugnis der Zwangsarbeit
Vor dem Museum stimmt eine Kopie von Franz Josef Ehrlichs Eingangstor am KZ Buchenwald auf den Zickzack-Kurs ein, den manch ein Bauhäusler unter den Bedingungen der Diktatur einschlug. Der Architekt und Designer Ehrlich (1907–1984), der von 1927 bis 1930 am Bauhaus Dessau studierte, geriet wegen seines Engagements im antifaschistischen Widerstand in die Klauen der Nazis und wurde 1937 als politischer Häftling in das Konzentrationslager eingeliefert, das nur acht Kilometer von Weimar entfernt liegt.
Von der SS dem Baubüro des Lagers zugeordnet, musste Ehrlich das schmiedeeiserne Eingangstor mit der zynischen Inschrift "Jedem das Seine" gestalten. In zweierlei Hinsicht ein Zeugnis der Zwangsarbeit, die in und von Buchenwald aus mit besonderer Effektivität und Grausamkeit organisiert wurde. Das neue Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, das parallel zur Bauhaus-Ausstellung in Weimar eröffnet wurde, widmet sich diesem menschenverachtenden Kapitel des totalitären Systems.
Dass Franz Josef Ehrlich für das höhnische Motto ausgerechnet eine Schrifttype verwendete, die an jene schmale Groteskschrift erinnert, die der Bauhaus-Lehrer Joost Schmidt 1926 erfunden hatte, führte manche Kunsthistoriker zu der Vermutung, das Portal sei ein subtiler Akt des Widerstands. Eine haltlose Spekulation, wie die aktuelle Ausstellung klarmacht: "In der Realität", heißt es im vorzüglichen Katalog (Hirmer-Verlag), "standen moderne Schriftgestaltung, modernes Grafikdesign und die Formensprache der Klassischen Moderne nicht per se im Widerspruch zur ästhetischen Konzeption des deutschen Faschismus. Im Gegenteil, sie gehörten durchaus zum möglichen gestalterischen Repertoire."
"Badeanstalten für Sonderaktionen"
Dass Ehrlich nach seiner Entlassung aus dem KZ Buchenwald (im Oktober 1939) seine Mitarbeit im Baubüro der SS als ziviler Angestellter fortsetzte und sich sogar 1941 erfolgreich auf eine Stelle in der Zentrale des SS-Bauwesens in Berlin-Lichterfelde bewarb, zeugt eben nicht von oppositionellem Geist. Sondern vom Willen, im "Dritten Reich" Karriere zu machen.
Das gilt in noch weit stärkerem, ja eigentlich unvorstellbarem Maße für den österreichischen Architekten Fritz Ertl (1908–1982), der von 1928 bis 1931 am Bauhaus Dessau studierte und seine Ausbildung als Diplom-Architekt abschloss. Wenige Jahre später war der SS-Mann an gewissenlosen Morden im großen Stil beteiligt: Als stellvertretender Leiter der "Sonderbauleitung für die Errichtung eines Kriegsgefangenenlagers der Waffen-SS in Auschwitz" skizzierte er beispielsweise 1941 den ersten Lageplan für das größte deutsche Vernichtungslager im NS-Staat. Die dortigen Krematorien bezeichnete Ertl laut Besprechungsprotokoll als "Badeanstalten für Sonderaktionen".
1972 wurde ihm der Prozess gemacht – doch der endete, unbegreiflich, mit einem Freispruch. Dem skrupellosen Architekten, der das Moderne-Diktum "Form follows function" mit furchtbarer Konsequenz pervertiert hatte, hielt man zugute, er habe nicht zu den "geistigen Urhebern" der Gaskammern gehört. In die viehischen Baracken, die Fritz Ertl entworfen hatte, wurden mehrere jüdische Künstler mit Bauhaus-Vergangenheit eingepfercht. Otti Berger, Eva Busse, Friedl Dicker-Brandeis, Lotte Mentzel, Zsuzsanna Bánki-Pal, Elza Hirschl, Senta Schlesinger und Hedwig Slutzky-Arnheim – diese Bauhäusler fielen der Mordmaschinerie in Auschwitz-Birkenau zum Opfer. Ein Zeichen der Reue von ihrem einstigen Kommilitonen ist nicht überliefert.