Hype um Greta-Gerwig-Film

Odyssee im Barbieverse

Der seit Monaten gehypte "Barbie"-Film von Greta Gerwig kommt nun in die Kinos. Immer wieder wurde behauptet, er wolle die rosa Puppenwelt auseinandernehmen - dabei ist er vor allem eine gigantische PR-Kampagne für den Hersteller Mattel

Dass Kinder mit einfachen Mitteln große Hollywood-Szenen nachspielen, ist nicht besonders ungewöhnlich. Wer Steven Spielbergs autobiografischen Film "The Fabelmans" gesehen hat, weiß, dass solche familieninternen Experimente mit Betttuch-Requisiten im Idealfall sogar in einer erfolgreichen Regie-Karriere münden können. Dass eine Hollywoodproduktion jedoch mit großem Aufwand das Spiel von Kindern inszeniert, ist eher selten - obwohl ein bisschen unbefangene Kreativität so manchem Blockbuster sicher guttun würde. 

Greta Gerwigs sehnsüchtig erwarteter und aggressiv beworbener "Barbie"-Film tut nun aber genau das. Ihre pink verputzte Welt ist keine perfekte Illusion, in der ein von manchen geliebtes und von anderen verachtetes Spielzeug zum Leben erwacht. Vielmehr nimmt die US-Regisseurin ernst, dass bei den modischen Püppchen immer das "So tun, als ob" eine Rolle spielt. Obwohl alle Barbies und Kens von echten, ziemlich strategisch gecasteten Schauspielerinnen und Schauspielern verkörpert werden, sind die Kulissen barbiehaft funktionslos. Man duscht ohne Wasser unter einer Kunststoffbrause, aus der kantigen Milchpackung fließt nur Luft in die leere Tasse, und die opulenten Traumhäuser von Barbieland sind vergrößerte Versionen von Spielzeugvillen. Man kann hindurchschauen oder von luftigen Dachterrassen direkt auf die Straße schweben. Vielleicht kann man die Architektur sogar zum besseren Transport zusammenklappen.

Dieser visuelle Trick stellt einerseits eine Distanz zu den Figuren her und erinnert an die Objekthaftigkeit der Mattel-Puppen und ihres Habitats. Andererseits zapft er jedoch die Vorstellungskraft des Publikums an. Alle, die mal mit Barbies gespielt haben - oder es noch tun -, kennen den Umgang mit dem ganzen Plastikkram. Die merkwürdig geformten Schuhe für die merkwürdig geformten Füße, die unnatürlichen Körperhaltungen (ewiger Spagat), in denen die Püppchen verharren müssen, und all die neonfarbenen Accessoires eines komsumorientierten Luxuslebens: Autos für lange Teppichfahrten, Küchenmaschinen und Milkshake-Automaten mit schepperndem Sound per Knopfdruck.

Die Barbie als planetarische Notwendigkeit

Gerwig, die das Drehbuch zusammen mit ihrem Partner Noah Baumbach geschrieben hat, scheint sich ihre Zuschauerinnen (hier ist das generische Femininum wohl angebracht) als Komplizinnen vorzustellen. Viele der kleinen glitches im Barbieversum werden nicht erklärt. Um Spaß an ihnen zu haben, muss man eine gewisse Expertise mitbringen, am besten sogar die historischen Barbies und Modeensembles kennen, die immer wieder in die Handlung eingestreut werden.

Aber auch für Kino-Fans hält der Film eine vielsagende Referenz bereit. "Barbie" beginnt genau wie Stanley Kubricks Science-Fiction-Klassiker "2001: Odyssee im Weltraum". Statt der Affen sind jedoch archaische kleine Mädchen in einer Felsenwüste zu sehen, die "seit Anbeginn aller Zeit" mit Puppen spielen. Bis plötzlich eine riesige Barbie als Monolith im gestreiften Badeanzug ins Bild ragt - die erste Puppe, die nicht die Gestalt eines Babys hatte und die ein anderes Spiel als das der Mutterschaft ermöglichte. Angesichts dieser wahrhaft außerirdischen Erscheinung zertrümmern die Kinder ihre überholten Porzellanbabys, deren Splitter in den Nachthimmel fliegen.

Dieser, nun ja, Spagat zwischen Niedlichkeit und Größenwahn zieht sich durch den ganzen Film. Gerwig erschafft Barbieland als glitzernd süßlichen Fiebertraum, in dem viel getanzt und gesurft wird, aber gleichzeitig die großen Themen der Menschheit verhandelt werden sollen. Die Barbies haben überall das Sagen und leben ganz im Sinne des Herstellers ihr bestes Leben: Sie sind Präsidentin, Nobelpreisträgerin und Supreme-Court-Vorsitzende, während die Kens vor allem "was mit Strand" machen. In dieser Version des Matriarchats trägt man big hair und viel Rosa und macht jeden Abend eine Pyjama-Party.

Patriarchat im Barbieland

Weil die Püppchenidylle auf einmal nicht mehr so idyllisch ist, wie sie sein sollte (die imaginäre Milch ist sauer und die Fersen der Hauptfigur berühren schockierend realitätsnah den Boden), müssen Barbie (Margot Robbie) und ihr etwas stumpfer Verehrer Ken (Ryan Gosling) in die echte Welt reisen und das Mädchen finden, das mit ihnen gespielt hat. Das Puppenpaar wird aus seinem Paradies vertrieben, wie es Gerwig im Interview mit der "Zeit" ausgedrückt hat. Im Los Angeles jenseits der Dreamhouses wartet einerseits die ernüchternde Erkenntnis, dass Barbie doch nicht allen Frauen ein befreites, gleichberechtigtes Leben ermöglicht hat und dass aufgeklärte Teenager die Puppe eher uncool, wenn nicht sogar "faschistisch" finden.

Der in seinem Ego angeknackste Ken begegnet dagegen erstmals seinem männlichen Privileg und hält es für eine fantastische Idee, das Patriarchat auch in Barbieland einzuführen. Mit ihren neuen Freunden aus der "Real World", einem Mutter-Tochter-Gespann in pubertätsbedingter Entfremdung, muss Barbie die Solidarität ihrer Mitbewohnerinnen zurückgewinnen - und dabei erfahren, wie kompliziert es ist, eine Frau, beziehungsweise ein Mensch zu sein. 

Greta Gerwig ("Ladybird", "Little Women") ist dafür bekannt geworden, emotional herausfordernde Beziehungen mit scharfem Blick und Wärme zu erzählen und ihren Protagonisten auch ein Scheitern zuzugestehen. Auch in "Barbie" gibt es diese Momente, in denen die einfachen Puppen-Wahrheiten auf unterhaltsame Art mit feministischen Diskursen clashen. Wären ihre Füße normal geformt, sagt Barbie an einer Stelle, würde sie niemals High Heels tragen. In der Konzernzentrale des Spielzeugherstellers Mattel beteuert ein Dutzend wichtig aussehender Anzugmänner an einem Konferenztisch, dass ihnen nichts mehr am Herzen liegt, als die Träume von Frauen zu verwirklichen. Es geht zwischendurch um Catcalling, Care-Arbeit und unrealistische Erwartungen an Mütter. Sogar das gerade omnipräsente Thema der fragilen Männlichkeit wird aufgegriffen: Ken wird zum gemeinen Macho, sucht aber eigentlich nur eine eigene Identität, die mehr ist als "Barbies Freund". 

Hochglanz mit Empathie-Kruste

Der Film verfolgt die Strategie, die Kritik, die es seit Jahrzehnten an Barbie und ihrer Fixierung auf Körper und Konsum gibt, einfach einzugemeinden. Unrealistische Schönheitsideale, der Druck auf Kinder, außergewöhnlich sein zu müssen, die ziemlich eindimensionalen Geschlechterrollen und der Konsumrausch - all das kommt vor, löst sich aber im Laufe des bunten Bilderstrudels unter viel süßlichem Gemenschel auf. Die Dekonstruktion bleibt eine Illusion, die niemandem wehtut - selbst den sympathisch-trotteligen Mattel-Funktionären nicht, die plötzlich auf rosa Fahrrädern sitzen, um ihre entflohene Kreatur wieder einzufangen. Alle tun doch nur ihr Bestes, alle sind ok, wie sie sind. 

Am Ende ist "Barbie" ein ziemlich zeitgeistiges Rebranding für den Mattel-Konzern, der als Partner des Blockbusters auftritt. Das Universum der Puppe ist diverser geworden, sodass sich mehr potenzielle Kunden wiedererkennen können. Nicht mehr alle Barbies (aber immer noch die meisten) haben eine Wespentaille. Alles scheint also darauf hinauszulaufen, dass man Barbie jetzt mit gutem Gewissen gut finden kann. Schließlich ist sie selbst nur ein Wesen mit Zweifeln - und durch den Soundtrack zum Film wird sie durch Popstars wie Billie Eilish, Nicki Minaj und Dua Lipa geadelt. Greta Gerwig mag ein bisschen feministischen Feenstaub ins Barbieland streuen, das System Barbie selbst bleibt davon aber unangekratzt. Probleme werden in der Logik des Barbieversums verhandelt, und am Ende bringt uns diese Puppe alle wieder mit unseren Träumen zusammen. Aus der problematischen Spielgefährtin wird wieder das Vorbild, das die Puppe schon 1959 bei ihrer Markteinführung sein sollte. Sogar die 2002 verstorbene Mattel-Gründerin und Barbie-Erfinderin Ruth Handler darf als mütterliche Ratgeberin auftauchen, deren guter Geist immer noch durch die Büros ihrer Firma spukt. Der Hochglanz bekommt noch eine Lage Empathie verpasst. Besser hätte es Mattel selbst nicht inszenieren können.  

"Barbie" passt in eine Zeit, in der Marketing besonders gut über Emotionen funktioniert und Influencer das Erkaufen von Wohlbefinden durch bestimmte Produkte normalisiert haben. Kommerz ist hier nicht unbedingt ein Schimpfwort, sondern ein Weg zu Empowerment und Selbstverwirklichung, wenn nur das Richtige konsumiert wird. Dazu passt die gigantische PR-Kampagne, die bereits seit Monaten läuft und die den finalen Film fast gar nicht mehr braucht. Clips eines singenden Ken und Fotos von Promis als Barbies gehen in den sozialen Medien viral, das Merchandise ist unvermeidlich, und Margot Robbie und Ryan Gosling haben inzwischen so viele pinke Teppiche in aufeinander abgestimmten Barbie-Outfits beschritten, dass selbst die Trennung zwischen Schauspieler und Rolle obsolet erscheint. Außerdem hat jetzt sogar der bisher eher eigenschaftslose Ken eine Geschichte und einen Signature Song - und damit ein erhöhtes Verkaufspotenzial.

Barbiecore auf allen Kanälen

Erfolgreich ist diese Strategie auf jeden Fall - denn es scheint gerade unmöglich, sich nicht zum Barbiecore auf allen Kanälen zu verhalten. Das Angebot der Puppe war schon immer, sich in ein anderes Leben hineinzuträumen - und vielleicht ist dieser Eskapismus in Krisenzeiten besonders attraktiv. "Barbie" ist eine liebevoll bebilderte Hommage an ein umstrittenes Spielzeug, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Eine feministische Neudeutung, wie oft vermutet wurde, ist der Film jedenfalls nicht. Es ist doch alles schon da, sagt das Drehbuch, wenn wir nur anders hinschauen. 

Außerhalb der pinken Werbe-Maschinerie hat sich die echte Welt dann aber doch noch auf interessante Weise ins Barbieverse geschlichen. Aufgrund des Streiks von Schauspielerinnen- und Drehbuchautoren in Hollywood fand die deutsche Premiere des Films ohne die Hauptdarsteller Margot Robbie und Ryan Gosling statt. Die oft prekären Arbeitsverhältnisse in der Filmbranche - besonders für Frauen und nicht-weiße Kunstschaffende - können die "Working Barbies" in ihren Dreamhouses beim besten Willen nicht lösen. Und eine dicke Schicht Glitzer hilft den Streikenden auch nicht. 

Über die Barbie-Ästhetik und den Hype darum spricht Monopol-Redakteurin Saskia Trebing auch im Radio bei Detektor FM. Zum Anhören bitte Inhalte aktivieren: