Breitbeinig und nackt steht sie da. Eine Hand hat sie sich über den Bauch gelegt, aus der Brust tropft Milch, die sich in einem kleinen See auf dem Boden sammelt. An ihr linkes Bein klammert sich ein Kleinkind, der Kopf der Mutter ist zur rechten Seite gewandt – oder vielmehr: ihre drei Köpfe. Die Lithografie "The Bad Mother" (1997) von Louise Bourgeois thematisiert in all ihrer Einfachheit und Skizzenhaftigkeit eine der größten Herausforderungen des Mutterseins: Plötzlich ist frau nicht mehr Eins, sondern Viele. Auf einmal machen sich Bedürfnisse breit, die sich gegenseitig ausschließen, kämpfen einzelne Rollen gegeneinander.
Die Lithografie, platziert in der Nähe des Eingangs, gibt der Ausstellung im Berliner Haus am Lützowplatz nicht nur ihren Titel, sie nimmt auch die Rolle eines Prologs ein. Denn vieles von dem, was in den insgesamt 13 Werken ausgehandelt wird, findet sich bereits in diesem einen Bild: Die Identität der Mutter und die tiefgreifende Veränderung, die mit der Geburt eines Babys einhergeht. Aber auch die Beziehung zwischen Kind und Mutter, sowie die Rolle des Körpers und der Zugriff der Kleinen darauf.
Besonders drastisch wird diese Beziehung in dem Stop-Motion-Video "It’s the Mother" (2008) von Nathalie Djurberg und Hans Berg dargestellt. im Zentrum stehen eine Mutter und ihre fünf kleinen Kinder – Bewohnerinnen des grotesken Knetfiguren-Universums des schwedischen Künstlerpaars. Sie liegen nackt auf einem Bett in einem pflanzenbewachsenen Schlafzimmer. Nach und nach beginnen die Kinder, sich ihren Weg durch die Vulva zurück in den Leib der Mutter zu bahnen, während diese vor Schmerzen weint und schreit.
Ein vielgliedriges, wütendes Wesen
Immer wieder streicht eine der Kinderhände liebkosend über ihre Brust, bevor auch sie sich ins Innere der Mutter vergräbt. Bald stemmen sich die Kinder gegen die Bauchdecke, Extremtitäten werden sichtbar. Aus sechs individuellen Körpern ist einer geworden; ein vielgliedriges, wütendes Wesen, das beginnt, seine Umgebung auseinanderzunehmen.
Das Video, untermalt von einem sich zuspitzenden Sound, spielt nicht nur auf die Veränderung der Persönlichkeit an, die eine Person erfährt, wenn sie Mutter wird. Es setzt auch die Körperlichkeit einer Beziehung ins Bild, die zuweilen etwas Rohes hat und die oftmals keine Grenzen kennt. Auch wenn dieses Wort heute nicht mehr so unhinterfragt genutzt wird wie früher: Eine Geburt wird häufig als "Entbindung" bezeichnet, was suggeriert, dass die körperliche Verbindung zwischen Kind und Mutter durch den "Ortswechsel" des Kindes und die Durchtrennung der Nabelschnur in gewisser Weise aufgehoben ist.
Tatsächlich ist der Körper der Mutter auch nach Schwangerschaft und Geburt die Welt des Kindes, auf die es Anspruch erhebt, die es nicht teilen will, als dessen alleiniger Herrscher es sich versteht. Der Körper der Mutter ist Ort der Geborgenheit, des Trosts, der Zuneigung und Liebe, von der es so viel nimmt, wie es nur kriegen kann. Und so erfüllend und kuschelig diese Inanspruchnahme des eigenen Leibs durch ein anderes Menschlein sein kann, so aufwühlend und schmerzhaft ist es zuweilen auch.
Rebellion des Körpers
Oft will dieser Körper dann nichts als allein sein und ruhen, egal wo. So wie in einer Fotografie aus Carina Linges Serie "Stilleben L.E." (2023), in der die Frau erschöpft auf einem Tisch eingeschlafen ist. Dass die Beziehung auch für das Kind quälend sein kann, davon erzählt Sarah Ancelle Schönfelds Fotografie "Selbstportrait (FOG)" (2007), die einen Tumor kurz vor seiner Entfernung zeigt. Die bösartige Zellwucherung entwickelte sich exakt an der Stelle, an der Schönfeld als junge Geigenspielerin das Instrument immer und immer wieder ansetzte.
Kurz bevor er entfernt wurde, entstand die Fotografie, aufgenommen von der behandelnden Ärztin. Der Tumor nimmt die Funktion einer "Rebellion des Körpers gegen Druck und emotionale Instrumentalisierung" ein, wie es der Ausstellungtext beschreibt. Das Werk lässt sich als Verweis auf die allzu leicht verwischende Grenze zwischen kindlicher Förderung und Überforderung deuten, die es durch elterliche Ansprüche erfahren kann.
Allein diese drei Arbeiten verdeutlichen: Die in der Ausstellung "The Bad Mother" gezeigten Positionen entwerfen in ihrer Zusammenstellung ein facettenreiches, komplexes Bild von Mutterschaft und den damit verbundenen Fragen, Kämpfen und Konflikten.
Hollywood erzieht mit
So reflektiert Antje Engelmann in ihrem Essayfilm "Point of No Return" (2015) über sich selbst als werdende Mutter, und auch Niina Lehtonen Braun gibt in ihrer Installation "Die unvollendete Mutter" (2023) Einblick in ihre Gedankenwelt: Die zusammengestellten Collagen und Papierarbeiten kreisen insbesondere um die Frage, was es bedeutet, als Künstlerin Mutter zu sein. Die Szenen, die teils wie Erinnerungen an tatsächlich Erlebtes, teils wie Traumsequenzen erscheinen, erzählen von der Herausforderung, in einem eng getakteten Familienalltag Raum für Kreativität zu finden. Und von Erwartungshaltungen, die die Gesellschaft an Mütter-Künstlerinnen stellt.
Candice Breitz‘ Sechs-Kanal-Installation "Mother" (2005) verdeutlicht, wie die Hollywood-Filmindustrie ein ganz bestimmtes Bild von Müttern entwirft. Sie spielt darauf an, wie Stereotype, die durch filmische Bilder transportiert werden, unbemerkt Einfluss auf unsere (Selbst-)Wahrnehmung haben. Breitz extrahierte dafür entsprechende Sequenzen aus Filmen der 1970er, 80er und 90er-Jahre und stellte sie zu einer Collage zusammen, die das Bild der überforderten, hysterischen, gedemütigten Mutter wiedergibt.
Ein eindringliches Bild der vielschichtigen Beziehung zwischen Eltern und Kind liefert Eva Vuillemins Video "Spit (Me & My Mother)" (2011). Die Künstlerin und ihre Mutter stehen sich gegenüber und beginnen, sich gegenseitig anzuspucken. Anfangs müssen sie lachen, doch bald kommen Ekel und gelegentlich auch aufflackerndes Entsetzen auf. Immer wieder droht die Situation zu kippen, vom Lustigen ins Wütende überzugehen. Das stellenweise schwer zu ertragende Video thematisiert die Vielfalt der teilweise widersprüchlichen Emotionen, die innerhalb des familiären Zusammenseins aufkommen können. Es findet ein eindrückliches Bild für den Machtkampf, der das Miteinander gelegentlich zu einem Gegeneinander werden lässt.
Der Unwillen, sich zu lösen
Wie mit der Lupe betrachtet richtet sich Daniel Hopps Video "Dark Spots" (2022) auf eine Mutter-Sohn-Konstellation. Die Auseinandersetzung des erwachsenen Sohnes mit der Frage, ob und wie es gelingen kann, erfolgreicher Künstler und sorgender Vater zu sein, scheint über die Biografie der eigenen Mutter zu erfolgen. Er sucht Antworten für das eigene Leben im Erlebten seiner Erschafferin. Er folgt ihr durchs Haus und den Tag und erhebt mit einer Intensität Anspruch auf sie, wie man es von Kleinkindern kennt.
Immer wieder werden die Versuche der Mutter, sich vom Sohn abzugrenzen, missachtet. Wenn er schließlich in einer Dachluke festsitzt und seiner Mutter wieder und wieder zuruft, sie möge ihn dort herausholen, dann ist das ein einerseits recht lustiges, andererseits dramatisches Bild für sein Unvermögen, sich von der Mutter loszulösen. Und für ihr Unwillen, ihm weiterhin bei seiner Entwicklung engmaschig zu begleiten.
Einen starken, positiven Abschluss der vielstimmigen Reflexion über Mutterschaft bildet Katarina Janeckova Walshes großformatige Arbeit "Givers" (2022): Unbekleidet, mit unnatürlich langem Oberkörper, an dem sechs Brüste wachsen, liegt die Künstlerin selbst auf dem Boden. Ein Kleinkind schmiegt sich an sie, von hinten legt ihr eine männlich lesbare Tiergestalt mit Cowboyhut und Stiefeln einen Arm auf den Bauch. Die Atmosphäre der expressiv gestalteten Szene wird durch das Arrangement der drei Körper, durch die verwendeten Farben und durch den Ausdruck des Frauengesichts bestimmt. Sie lächelt zufrieden, selbstbewusst. "Givers" strahlt eine besondere Innigkeit und Ausgeglichenheit aus - vermutlich hat Walshe bereits einige der Antworten auf die Fragen gefunden, die Mutterschaft begleiten.