Die bewegende Reise der Schwangerschaft vereint Schmerz und Glück, Beunruhigung und Hoffnung: Eine freudig-turbulente Achterbahnfahrt, an deren Ende ein Wesen das Licht der Welt erblickt – der Beginn eines neuen Lebens. Wir alle kommen durch diesen wundersamen Akt, und doch ist dieses Thema in westlichen Gesellschaften weitestgehend noch mit einem Tabu belegt. Auch in der Kunst ist das Thema noch immer unterrepräsentiert, obwohl diese sich zum Beispiel auch mit anderen intensiven Erfahrungen wie Sex und Tod auseinandersetzt.
Die Verweigerung der Gesellschaft, sich mit dem Gebären auseinanderzusetzen, liegt vor allem an der intimen Natur und an der Drastik des kräftezehrenden Akts der Geburt. Mit dem Thema hängen zudem auch Fehlgeburt, Abtreibung und Unfruchtbarkeit zusammen – schwierige Angelegenheiten, über die man nur selten öffentlich spricht.
Die zeitgenössische Kunst hat wiederholt den Versuch unternommen, sich der unvergleichlichen, emotionalen Erfahrung der Geburt zu widmen und damit das gesellschaftliche Tabu aufzubrechen. Über Jahrhunderte hinweg war der einzige Weg, das Thema in der christlichen Kunst darzustellen, von der idealisierten Ankunft Christi und Marias unbefleckter Empfängnis geprägt: Schwangerschaft und Entbindung fanden vollkommen rein statt - diese Tradition der patriarchalen Kunstgeschichte des Westens wollen Kunstschaffende der Gegenwart überwinden.
Ein Körper in Extremsituation
Die schwedische Fotografin Lina Scheynius hat ihre Freundin Amanda während ihrer Schwangerschaft mit der Kamera begleitet und dabei Momente von verträumter Intimität und realer Schönheit geschaffen. Die Videokünstlerin Candice Breitz nimmt sich im Berliner Kunstverein ebenfalls diesem Tabu-Thema an, allerdings auf ganz andere Weise: der schmerzhafte Geburtsvorgang wird hier völlig ungeschönt gezeigt und mit Politik verknüpft.
In der Ausstellung "Birth" in der Londonder Galerie TJ Boulting setzen sich 24 Künstler mit dem sensiblen Thema auseinander und wollen damit die Wahrnehmung des Betrachters verändern. Denn die Vorstellungen an die Erfahrung der Geburt sind gesellschaftlich geprägt von Angst und Schmerzen. Auch die Fotografien, Installationen und Malereien thematisieren die Folgen des Mutter-Werdens: der weibliche Körper von neun langen Monaten Schwangerschaft verformt und gereizt, von operativen Eingriffen mit Narben übersäht.
Doch die Künstlerinnen werfen einen respektvollen, ruhigen Blick darauf. Die weiblichen Körper sind eingebettet in eine harmonische, friedliche Atmosphäre. Diese Körper sind schön und stark. Der Fokus liegt auf der Geburt als ein atemberaubendes und faszinierendes Wunder, als den natürlichsten Akt unseres Lebens. Die Fotografien erfassen den Frauenkörper mit seinen schönen Rundungen und die intime Nähe zwischen Mutter und Kind. Schwangerschaft und Geburt tragen Themen wie Feminismus, Unterdrückung, Matriarchat, Freiheit, Kultur und Geschlecht mit sich - die zarten Momentaufnahmen zeugen von der weiblichen Kraft, die hinter dieser intensiven Erfahrung steckt. Und einige Männer kommen in der Ausstellung übrigens auch vor. Weil das Thema eben alle betrifft.