Die Ausstellung "Өмә" ist von Ihrem Fata-Kollektiv kuratiert worden? Wer steckt hinter der Gruppe?
Das Kollektiv hat sich vor zwei Jahren bei einer Residenz in Russland kennengelernt, die wir nicht nennen können, weil es für einige von uns gefährlich wäre. Wir haben im Februar 2021 mit der Arbeit an dieser Ausstellung begonnen. Es ist also fast zwei Jahre her, dass wir das Konzept und den theoretischen Rahmen entwickelt haben. Wir hatten große Angst, offen über den Imperialismus und die Dekolonialisierung Russlands zu sprechen. Denn Russland versucht, sich als antikolonial und postkolonial darzustellen, gegenüber Westafrika zum Beispiel. Doch es ist verboten, innerhalb Russlands über den russischen Kolonialismus zu sprechen. Das wäre gefährlich. Aber wir sind wütend und wollen etwas tun.
Über viele der Künstlerinnen, die ausstellen, findet man nichts im Internet.
Die meisten von Ihnen arbeiten unter einem Pseudonym, aus Angst vor Verfolgung in Russland.
Wie haben Sie sie ausgewählt oder gefunden?
Das führt alles zurück zu unserer Residenz, denn die meisten dort haben zum Thema Migration, race, Rassifizierung, Indigenität gearbeitet. Aber wir haben auch einige Künstlerinnen ausgewählt, von denen wir wussten, dass sie an ähnlichen Themen arbeiten.
Wieso zeigen Sie die Ausstellung ausgerechnet in Berlin?
Weil die neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) es uns ermöglicht hat, diese Ausstellung zu realisieren und zu zeigen und weil alle Kuratorinnen in Deutschland leben und wir hier recherchieren und studieren. Wir haben versucht, eine Ausstellung in Russland zu organisieren. Aber nach Kriegsbeginn wurde das fast unmöglich, wegen der Zensur und neuer Gesetze. Es ist einfach sehr gefährlich.
In der Ausstellung lernen wir vom Volk der Komi, der Region Kalmückien, dessen Bevölkerung umgesiedelt wurde – können Sie ein paar weitere Beispiele für russischen Kolonialismus nennen?
Die Unterdrückung von Baschkiren, Usbeken, Kasachen, Georgiern zum Beispiel.
Im Ausstellungstext schreiben Sie auch vom Genozid in Russland.
Völkermord ist in der sowjetischen Geschichte immer mit Deportationen verbunden. Die Deportationen von Tschetschenen, der Völkermord an den Kasachen. Russland erkennt den Völkermord an den Tschetschenen nicht an, anders als die europäischen Institutionen, und versucht, die Gräueltaten zu vertuschen. Auch Deutschland arbeitet seine koloniale Vergangenheit immer noch auf, aber hier gibt es wenigstens einen demokratischen Raum, um darüber zu berichten. In Russland haben wir den nicht. Also versuchen wir den hier zu ermöglichen. Denn auch wegen der russischen Invasion in der Ukraine wird es immer wichtiger, den russischen Kolonialismus als eine kontinuierliche Struktur zu entlarven. Wir haben eine sehr lange Geschichte von Gewalt und Kolonialismus. Wir wollen versuchen, diese Struktur nachzuzeichnen, um zu zeigen, dass der Angriff auf die Ukraine das Ergebnis ist von diesen vielen zu wenig betrachteten Ereignissen.
Im Ausstellungstext schreiben Sie, dass es ethisch und politisch unangemessen wäre, Künstlerinnen und Künstler aus Russland und der Ukraine in einer Ausstellung zu zeigen. Was meinen Sie damit?
Das ist tatsächlich ein Punkt, der auch innerhalb des Kuratorinnenkollektivs umstritten war. Die Arbeit an der Ausstellung begann wie gesagt bereits im Februar 2021, also ein Jahr vor Kriegsbeginn. Wir wollten Arbeiten von Indigenen, queeren und nicht-binären Künstlerinnen zeigen, die in Russland leben und sich mit russischem Kolonialismus auseinandersetzen, damit, wie es überhaupt dazu kam, dass Russland innerhalb seiner heutigen Grenzen existiert. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine änderte sich das. Da sagten einige von uns: Wir können jetzt unmöglich eine Ausstellung zu russischem Kolonialismus machen, ohne auch Ukrainerinnen einzuladen, denn sie sind ja nun ganz direkt von diesem Kolonialismus betroffen. Andere sagten aber: Genau das sollten wir jetzt nicht tun, denn es gibt einfach sehr viele Institutionen und Menschen in Russland, die Russland, die Ukraine und Belarus als ein zusammenhängendes Territorium betrachten. Für sie sind Russen, Belarussen und Ukrainer Brüdervölker und wir alle slawische Menschen. Das ist auch das Narrativ des russischen Regimes und dieses Narrativ wollten wir nicht bedienen. Wir haben dann ukrainische Kulturschaffende zu einem Treffen eingeladen, um zu diskutieren, ob es angemessen sei, ukrainische Künstler einzuladen. Und sie sagten uns, dass dies nicht der Fall ist, dass wir keine ukrainischen Positionen zeigen sollten, nur um zu sagen, schauen Sie, wir haben auch Ukrainer hier. Wir haben uns daher entschieden, keine ukrainischen Positionen in der Ausstellung zu zeigen, dafür aber Ukrainerinnen einzuladen, Teile des Begleitprogramms zu kuratieren. Hier wird es übrigens auch eine Veranstaltung geben, auf der genau diese Frage diskutiert wird. Denn für uns ist es nach wie vor eine offene Fragestellung, über die wir auch weiter nachdenken.
Kritikerinnen und Kritiker könnten sagen, dass man die Idee einer Nationalität untermauert, indem ukrainische Kunst nicht in diesem Raum gezeigt wird.
Aber im Kontext der Ukraine, die sich gegen die Kolonialisierung und die Auslöschung ihrer Identität wehrt, ist der sogenannte Nationalismus etwas anderes als der Nationalismus der Russen, denn die Ukrainer versuchen, ihre nationale Identität als unabhängiger, autonomer Staat zu retten. Ich kenne die problematischen Aspekte der Idee des Staates, der Nation, und es ist immer noch eine Frage für mich als anarchistische und postkoloniale Forscherin, wie man mit den Konzepten der Nation umgeht. Aber im ukrainischen Kontext, im georgischen, belarussischen, kasachischen, da kämpfen die Menschen um ihre Identität, und der Staat ist ein Werkzeug, um diese Identität vor dem Aggressor, vor Russland, zu schützen. Diese Kritik an der Nation spielt auch in die russische Propaganda von den ukrainischen Nazis hinein. Während die Ukrainer also versuchen, ihr Land zu retten, werden sie als Nazis wahrgenommen.
Im Kontext der Ausstellung wird das Wort Russland nicht groß geschrieben. Können Sie den Ursprung dieses Konzeptes beschreiben?
Viele ukrainische Medien schreiben Russland nicht groß, und auch in der Postkolonialen Theorie schreiben einige Autoren Indigen groß, aber Worte wie Europa nicht. Es ist ein Akt der Solidarität mit dem ukrainischen Volk, das derzeit gegen den russischen Kolonialismus kämpft.
Glauben Sie, es hilft?
(lacht) Ich bin mir nicht sicher, ich weiß es nicht.
Haben Sie Hoffnung, dass der Krieg bald beendet wird?
Es ist sehr schwer, an gute Dinge zu glauben, weil man so oft auf Hindernisse stößt. Aber vielleicht wird diese Ausstellung ein kleiner Beitrag zur Zukunft sein, wenn dieses schreckliche Regime zusammenbricht, was ich hoffe. Dann hätten wir etwas Material, auf dem wir die Zukunft aufbauen können. Denn als die UdSSR zusammenbrach, haben die Leute aus der Sowjetunion nicht wirklich über die koloniale Vergangenheit der UdSSR nachgedacht. Vielleicht trägt die Auseinandersetzung damit zu einer gerechteren Zukunft oder einer gleichberechtigten Zukunft für alle Menschen bei.