Wenn ich Orte im Internet nennen sollte, an denen ich am wenigsten eine Ausstellung erwarten würde, käme mir Ebay Kleinanzeigen nicht in den Sinn, weil ich das überhaupt nicht erwarten würde. Jetzt ist genau dort eine Gruppenausstellung zu sehen und nein, Ebay hat damit nichts zu tun. Während Museen und Galerien darauf warten konnten, dass sie ihre Türen wieder für BesucherInnen öffnen durften, musste an Kunstakademien und Kunsthochschulen eine Lösung für die Abschlussausstellungen zum Semesterende gefunden werden. Die Lehre fand im Sommersemester überall fast ausschließlich digital statt, also gewissermaßen unter erschwerten Bedingungen, weil ungewohnt. Noch schwerer war es, vielleicht zum ersten Mal eine Online-Ausstellung zu planen und umzusetzen. Naheliegend ist natürlich, eine Website zu bauen und darauf, wie in Online Viewing Rooms von Galerien, die einzelnen Arbeiten zu zeigen. Das kann man machen, wenn man sonst nicht im Internet zu Hause ist.
Die !Mediengruppe Bitnik allerdings ist im Internet zu Hause, also haben sie dort mit ihren Studentinnen nach einem geeigneten Raum gesucht. Carmen Weisskopf and Domagoj Smoljo haben an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart die Professur von Birgit Brenner vertreten. Jetzt muss man wissen, dass die !Mediengruppe Bitnik sich damit beschäftigt, wie sich Digitales in den realen Raum übersetzen lässt, um so Strukturen und Mechanismen sichtbar zu machen. Ihre bekannteste Arbeit ist der "Random Darknet Shopper", ein Bot, der im Darknet mit einem Budget von 100 Dollar pro Woche einkaufen geschickt wurde. Der Bot hat Schuhe gekauft, Zigaretten, Jeans und, fast war es zu erwarten, Drogen. Die Einkäufe wurden in die Kunst Halle Sankt Gallen geliefert und dort ausgestellt. Die Drogenlieferung verursachte Probleme. Wer ist verantwortlich, wenn ein Bot ein Verbrechen begeht? Der Bot, die Künstler oder die Institution? Ein Gericht hat entschieden, dass es sich aufgrund des öffentlichen Interesses an diesen Fragen um Kunst handelt, der Bot und die Künstler wurden freigesprochen.
Helfer für vorgetäuschte Produktivität
Auf Ebay Kleinanzeigen wird jetzt im Rahmen der Gruppenausstellung "Odds Without Ends" nicht eingekauft, sondern verkauft. In die Ausstellung geht es über eine Website, dort können alle 17 Arbeiten der StudentInnen aufgerufen werden. Zu jeder Arbeit gibt es eine Seite mit einem kurzen erklärenden Text und dem Link zu Ebay Kleinanzeigen. Und wie es sich für die Plattform gehört, wird angeboten, was man dringlich im Leben braucht. Oder eben so gar nicht.
Content für Instagram beispielsweise braucht man ja immer. Doch selten schien man so dringend Bilder und Videos teilen zu müssen, die den Beweis für die eigene Produktivität und Leistung erbringen sollten, wie im Lockdown. Da konnte man noch so oft auf Twitter gesagt bekommen, wie okay es sei, dass man einfach mal nichts tut, weil eine globale Pandemie, eine historische Ausnahmesituation, einen durchaus lähmen dürfe. Geholfen hat das nicht viel. Es wurde gekocht und gebacken, gehäkelt und gestrickt, gepflanzt und getöpfert. Wer unter dem Druck zusammenbricht oder wie ich, lieber Tiefkühlpizza statt selbst gebackenes Brot aus dem Ofen zieht, dem hilft Christina Koch mit "Das Projekt". Ihr Angebot:
"Wenn du es selbst nicht schaffst Zeit oder Energie dafür aufzubringen, aber trotzdem stolz auf deine eigene Ernte sein willst, biete ich dir hier diese Möglichkeit! Von Aussaat, über Aufzucht bis zur Ernte: du hast keine Arbeit mit der Pflanze. Ich pflanze und pflege >> du bekommst Fotos. Die Fotos kannst du dann für deine Social Media Kanäle verwenden. Zum Preis von 10€ bekommst du 5 digitale Fotos von deiner persönlichen Zucchini-Aufzucht (nach Absprache auch anderes Gemüse möglich)."
Als Stand-In zur Demo
Was man im Grunde so gar nicht braucht, sind noch mehr Einblicke in das Leben fremder Leute. Die sozialen Medien sind voll davon. Ann-Sofie Reiners Angebot lautet unter dem Titel "Fremdclick96": "Erwerbe jede Bildschirmfläche meines iPhones legal und anonym. Ob Chatverläufe, Bildergalerien oder jede weitere App – alles auf meinem Homebildschirm steht deinen Einblicken zur Verfügung. (…) Gestartet bei 0,50€, verdoppelt sich der Betrag pro Klick. Schreibe mir anschließend eine private Nachricht mit dem gewünschten Klick. Ich sende dir umgehend einen Screenshot oder ein Screenvideo. !!! Buche jetzt zu Beginn 6 Klicks und zahle nur 10€ !!!"
Wovon man im Zeitalter der sozialen Medien wiederum nicht genug haben kann, sind Meinungen zu tagesaktuellen Themen. In der aktuellen Situation allerdings ist es ein gesundheitliches Risiko, auf Demonstrationen zu gehen. Deshalb bietet Benedikt Waldmann "KrautonDemand" an. Die Anzeige wurde als unzulässig von Ebay gelöscht, das Angebot kann via Mail in Anspruch genommen werden.
"In diesen unruhigen Zeiten gibt es viel, wofür oder wogegen es sich auf die Straße zu gehen lohnt. Seien es Dieselfahrverbote, Anti-Rassismus, Umweltschutz, Grund-, Menschen-, Tierrechte, Großbaustellen, Hochschulfinanzierung, Fahrradfahren, Krieg, Frieden, Atomkraft, Ehe für Alle, Kiffen, Kultur, Kommerz… die Liste ließe sich beliebig fortführen. Doch obwohl man sich oft denkt, dass man mitmachen sollte, kommt es meistens nicht dazu. (…) Deshalb möchte ich Ihnen anbieten, für Sie an Demonstrationen teilzunehmen, zu denen sie selbst nicht gehen können. Gerne halte ich auch Schilder, auf denen Sie Ihre Meinung mitteilen können."
Teils sinnlos, teils politisch
Hendrik Jaich ("Fragil, fragil") bietet einen Reparaturservice für gebrochene Gegenstände an. In der Bildergalerie zeigt er, was er schon alles erfolgreich repariert hat. Einen auseindergebrochenen Kinderriegel, ein zersplittertes Bierglas, eine gebrochene CD, einen löchrigen Luftballon. Lea Mina Rossatti tauscht gratis Lösungen gegen Probleme. Die Antwort auf Probleme wird per Video-Tutorial geliefert. Und Clarissa Kassai ("Pillowpool") verkauft 1000 Milliliter Schwimmbadwasser für 4.50 Euro.
Einige der Angebote sind tatsächlich so sinnlos, wie man es von Ebay Kleinanzeigen kennt. Wer braucht schon ein mit Tape zusammengeklebtes Ei? Oder Schwimmbadwasser im Plastikbeutel? Andere wiederum kritisieren den Umgang mit Privatsphäre im digitalen Zeitalter und das toxische politische Klima. Waldmann beispielsweise zeigt, wie leicht es ist, den politischen Diskurs zu manipulieren. In den USA ist es zuletzt vermutlich größtenteils TeenagerInnen gelungen, Donald Trump vorzuführen. Für die Wahlkampf-Veranstaltung von Trump in Tulsa, Oklahoma im Juni wurden über eine Million Tickets angefragt. Es sollte die größte Trump-Rally werden. Der Präsident sprach dann allerdings vor fast leeren Rängen. Statt 20.000 BesucherInnen kamen nur 6.200. Trump-GegnerInnen hatten Tickets gebucht, damit genau das passierte.
Nach dem Besuch dieser Ausstellung wünscht man sich, dass Online-Ausstellungen, sei es von Kunsthochschulen, Museen oder Galerien, nicht als einmalige Notlösung in der Krise ad acta gelegt werden. Die Künstlerin Nadine Kolodziey beispielsweise hat ihre Illustrationsklasse an der HfG Offenbach das ganze Semester lang im Game "Animal Crossing: New Horizons" (Nintendo) unterrichtet. Man traf sich im Spiel, stellte Arbeiten vor und besprach sie auch genau dort. Zum Ende des Semesters konnten BesucherInnen auf die einzelnen Inseln der StudentInnen fliegen und sich durch die Einzelausstellungen führen lassen. Auf einem Instagram-Account wurde das Entstehen und die Präsentation der Ausstellungen dokumentiert.
Kolodziey hat bereits angekündigt, dass sie auch im Wintersemester wieder in "Animal Crossing" unterrichten wird. Wenn die Kunst im digitalen Zeitalter eins braucht, dann ist es ständige Erneuerung, weil jede technologische Neuerung gesellschaftliche Veränderungen mit sich bringt. Und wo sollten KünstlerInnen lernen, auf Neues offen statt mit Skepsis und Ablehnung zu reagieren, wenn nicht in der Ausbildung an einer Hochschule?