Auf den ersten Blick wirken die Szenen in Audun Alvestads Malerei ausgelassen und fröhlich: Lange, pastellfarbene Wasserrutschen schlängeln sich durch üppig-grüne Landschaften. Mitten im tropischen Regenwald schrauben sich Achterbahnen in bedrohliche Höhen. Darin reißen hellrosa Körper in schier unendlicher Glückseligkeit ihre Arme in die Luft. Andernorts gleiten ihre angespannten Körper die Wasserrutsche hinunter und landen in einer Gischt aus kristallklarem Wasser.
Die Gemälde des norwegischen Künstlers könnten als Werbeanzeigen für jene endlosen Sommer herhalten, an die wir noch Jahre später zurückdenken: Die Erinnerung ist zwar verschwommen, doch das Gefühl von Freiheit und Sorglosigkeit klingt lange nach. Alvestads Arbeiten provozieren in der Berliner Galerie Hjellegjerde ein Gefühl der Sehnsucht und des Fernwehs nach einem Ort absoluter Zufriedenheit, irgendwo zwischen Traum und Realität. Klingt, paradiesisch, oder?
Doch bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass die Protagonisten gar nicht so viel Spaß zu haben scheinen. Ihre Gesichter blicken meist neutral, manchmal ängstlich drein. Es wirkt, als hätten sich die Dargestellten ihrem Schicksal längst ergeben: der Fahrt in einer kontinuierlichen Wasserrutsche oder dem Ritt über ewige Spiralen, auf- und abwärts sausend. Wie in Endlosschleife verlaufen die blassrosa Schienen der Achterbahn vor dem makellos blauen Himmel.
Bis zum Schwindel geschwungene Linien
Auch die Landschaft erscheint bei näherem Hinsehen gar nicht mehr so idyllisch: Schlapp lassen die umstehenden Palmen ihre Blätter hängen. Die repetitive Anordnung der Urwald-Pflanzen gibt keinen Hinweis darauf, an welchem Ort sich der Freizeitpark befindet. Inmitten der Farbpalette aus Pastellrosa und -blau, der Monotonie der Baumkronen und den bis zum Schwindel geschwungenen Linien der Rutschen und Fahrgeschäfte macht sich ein unheimliches Gefühl der Orientierungslosigkeit breit.
Gleichsam ambivalent sind die Titel der großformatigen Gemälde: Namen wie "Constant fear of rejection" oder "Everything was really nice, until everything started falling apart" scheinen so gar nicht zu der vermeintlichen Sorglosigkeit zu passen, die dort zu sehen ist.
Die Körper der Dargestellten sind allesamt weiß und normschön – unauffällig dümpeln sie in ihren Schwimmringen durchs Wasser oder sitzen feinsäuberlich aufgereiht in ihren Waggons. Selbst der Dresscode – weißes Shirt, blaues Badehöschen oder pinker Bikini – scheint aufeinander abgestimmt zu sein. Auch in der Realität herrscht an Freizeitorten oft ein Klima der Konformität, das Personen ausgrenzt oder diskriminiert.
Sommer, Sonne, Sonderrechte
Um dagegen vorzugehen, organisierte die Unternehmerin und Influencerin Madeleine Alizadeh vergangenes Jahr einen Badetag für ausschließlich weiblich gelesene Personen. Dass das österreichische Thermalbad einen Tag lang keine Männer einließ, beklagten wiederum viele Menschen als diskriminierend. In einigen Freibädern Berlins hat die Polizei kürzlich mobile Wachen eingesetzt, die gegen Ausschreitungen und Konflikte vorgehen sollen. Beide Umstände machen deutlich, dass Schwimmbäder keineswegs "Safe Spaces" sind und oft besonders dort Gefahr herrscht, wo ursprünglich das Vergnügen im Vordergrund stehen sollte.
Der Ausstellungstitel "Priority Lane" nimmt spielerisch Bezug auf die Exklusivität, die in Freizeiteinrichtungen häufig vorherrscht. Inspiriert hat den Künstler ein Artikel in einer norwegischen Zeitung: Ein Freizeitpark hatte den Gästen die Möglichkeit geboten, gegen einen Aufpreis bevorzugten Zugang zu den Fahrgeschäften zu erhalten. Auch an Flughäfen sind "Priority Lanes", die dem Publikum Sonderrechte gegenüber ihren Mitreisenden versprechen, gängige Praxis.
Viele Urlaubsorte haben wir so oft in den sozialen Medien gesehen, dass sie uns vertraut vorkommen, auch wenn wir nie persönlich dort waren. Sie werden zu einer Art vager, kollektiver Erinnerung. Wie die Bilder, die uns auf Instagram oder Pinterest begegnen, wecken auch Alvestads Gemälde eine gewisse Sehnsucht. Sie prophezeien uns, dem Alltag entfliehen und Teil eines exklusiven Clubs sein zu können. Doch ob dieser Wunsch in Erfüllung geht, ist ungewiss – schließlich sind unsere Vorstellungen häufig aufregender als die Realität.
Die Tristesse der Makellosigkeit
Ein Phänomen, das Danny Boyles Filmklassiker "The Beach" aus dem Jahr 2000 perfekt inszeniert: Leonardo DiCaprio reist in der Rolle eines jungen Engländers nach Thailand und macht sich mit einigen Weggefährten auf die Suche nach einem sagenumwobenen Strand. Doch selbstverständlich ist das vermeintliche Paradies nicht das, was es zu sein verspricht. Der Übermut und die Fetischisierung des Unbekannten konfrontieren die abenteuerlustigen Touristen schnell mit der Realität.
"Priority Lane" verdeutlicht genau dieses Paradoxon unserer Sehnsuchtsorte: Kaum am Ziel angekommen, folgt die Einsicht, dass es immer noch ein bisschen besser sein könnte oder eine weitere Erfahrung auf uns wartet. Vollkommene Zufriedenheit, das suggeriert Alvestads Malerei, werden wir nie erreichen.
Vielleicht ist es diese Erkenntnis, die einen bei der Betrachtung der Gemälde melancholisch stimmt. Oder es ist die Makellosigkeit der Szenerie, die eine Interpretation der Darstellung fast unmöglich macht. Stehen wir vor einem Traum von nie endender Glückseligkeit oder einer Vision von schleichender Gefangenschaft? Audun Alvestad lässt diese Erzählung bewusst offen.