"Das Atelier ist ein 'Denkraum' nicht nur ein 'Machraum'", sagt der Bildhauer Sebastian Körbs. "Es ist auch ein Labor, wo man etwas ausprobieren kann, schreien kann, giftige Materialen zusammenmischt oder was auch immer. Das geht alles in einer Wohnung nicht, gerade, wenn man eine Familie hat. Fällt das Atelier weg, hört man auf zu experimentieren."
Wie viele andere Berliner Kunstschaffende kämpfen auch Körbs und seine Kolleginnen und Kollegen des Vereins Treptow Atelier e.V. schon seit Jahren um die Sicherung ihrer Arbeitsräume. In einem offenen Brief wendet sich der Verein nun an den Senator für Kunst und Europa, Klaus Lederer (Die Linke): "Wir fordern konkrete Konzepte zum Erhalt der Berliner Kulturlandschaft mit all ihren Akteuren sowie die Einbeziehung bereits vorhandener Konzepte der freien Szene und keine Hinhaltetaktiken mit dem Verweis auf zukünftige Lösungen“, heißt es in dem Schreiben aus dem Februar. Es ist das jüngste Kapitel in einer langen Geschichte, die für die Beteiligten ermüdend und belastend ist.
Gegründet wurde die Treptower Atelier-Gemeinschaft 2012. Seit 2018 droht der Gruppe, die sich aus mehr als 30 Kunstschaffenden verschiedener Disziplinen zusammensetzt, der Verlust ihrer Studios. Nach erstmaliger Kündigung durch den Eigentümer des damals angemieteten Gebäudes in der Mörikestraße nahe Baumschulenweg beschossen die Künstlerinnen und Künstler, ihre Gemeinschaft zu institutionalisieren. Für Körbs, Initiator und Gründungsmitglied des Treptow Atelier e. V., sei dies nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch ein entscheidender Faktor für das weitere Vorgehen gewesen. Denn für Investorinnen und Investoren seien Einzelverträge und somit die Vermietung von Immobilien an Einzelpersonen nur wenig attraktiv.
Umziehen – doch wohin?
Über eine Vermittlung fand die Gemeinschaft einen neuen Standort in Berlin-Schöneweide, zwei weitere Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Doch die Anmietung diente lediglich als einjährige Übergangslösung. Inzwischen ist der Mietvertrag abgelaufen, nur aus Kulanz dürften die Kunstschaffenden die Räumlichkeiten noch nutzen. Im ersten Moment eine Erleichterung, doch müssen die Künstlerinnen und Künstler täglich damit rechnen, zu gehen. Beginnt der geplante Umbau des Gebäudes, heißt es also erneut umziehen – doch wohin?
Schon nach der ersten Kündigung begab sich der Treptower Atelier-Verein auf die Suche nach landeseigenen Immobilien. Ein Objekt in der Nähe des aktuellen Standortes, eine leerstehende Schule, scheint ihnen geeignet, doch der Senat lehnte bisher sämtliche Anfragen und Konzeptvorschläge zur Instandsetzung und Nutzung des baufälligen Gebäudes ab. Bereits seit drei Jahren sei die Atelier-Gemeinschaft erfolglos darum bemüht, mit dem Kultursenat in Austausch zu treten, erzählt Sebastian Körbs. Die anhaltend instabile Arbeitssituation sei für die freischaffenden Künstlerinnen und Künstler des Vereins höchst brisant. Langfristige Projekte, Ausstellungen und Kooperationen könnten nur schwer geplant und realisiert werden. Die mietfreie Vergabe von Räumlichkeiten im Flughafen Tempelhof an den Kulturmanager Walter Smerling und seine Kunsthalle Berlin war schließlich Anstoß für den Protestbrief.
"Wenn man drei Jahre versucht, mit den zuständigen Menschen zu sprechen; ein Konzept entwickelt, bei dem der Bund Bildender Künstler (BBK) beteiligt ist; mit dem man geförderte und kostengünstige Ateliers schaffen könnte; wo man rund eine Millionen Euro in die Hand nehmen möchte, um ein Gebäude der Stadt zu sanieren, also noch nicht mal das Gebäude besitzen möchte; wenn der Atelierbeauftragte dafür ist; wenn der Bürgermeister des Bezirks dafür ist und man dann drei Jahre immer wieder ein Nein zu hören bekommt und nicht ein einziges Gesprächsangebot, sondern man nur vertröstet wird ... Und dann kommt da jemand aus Bonn, und der kann gigantische Räume bekommen, plus zunächst Betriebskostenzuschuss dazu. Das ist höchst fragwürdig", so Körbs in einem Gespräch mit Monopol.
Für welche Art von Kunst hat Berlin Platz?
Nicht nur, dass das im Flughafen Tempelhof ansässige Projekt Kunsthalle Berlin mit seinem Namen provoziert, auch die Vergabe der landeseigenen Räumlichkeiten sorgt aktuell für Aufruhr in der Berliner Kunstszene, denn die für die Ausstellung zur Verfügung gestellten Hangars wurden ohne öffentliche Ausschreibung an den privaten Verein Stiftung Kunst und Kultur Bonn e. V. vergeben, dessen Vorsitzender Walter Smerling ist. Zwei Jahre darf dieser nun die Hangars 2 und 3 des Gebäudes mietfrei nutzen. Zudem sollte der Senat ursprünglich die Hälfte der anfallenden Betriebskosten , übernehmen, die sich schätzungsweise auf 100.000 Euro pro Monat belaufen. Inzwischen hat Smerling mitgeteilt, die Kosten in voller Höhe selbst zu tragen, was die Gemüter aber kaum beruhigt hat. Denn es geht nicht nur um Tempelhof, sondern um die Frage, für welche Art von Kunst Berlin Platz hat.
In einer Stellungnahme gegenüber Monopol zum offenen Brief des Treptow Atelier e. V. heißt es vom Kultursenat: "Wenn wir ein Landesobjekt zur (dauerhaften) Nutzung ohne vorheriges Vergabeverfahren zur Verfügung stellen (egal ob saniert oder unsaniert), handelt es sich um eine Direktvergabe, die angesichts der vielen Interessenten weder rechtlich noch kulturpolitisch zu rechtfertigen ist. Eine Nutzung durch das 'ARP' geht mit einer transparenten Raumvergabe (Ausschreibung, Bewerbungsverfahren, Peer-Review) einher. Hier handelt es sich also nicht um eine Direktvergabe eines Nutzungsrechts für einzelne Künstler*innen (oder deren Verbünde)."
Dass die Stiftung Kunst und Kultur e.V. Bonn an keiner öffentlichen Ausschreibung teilnahm erklärt der Senat wie folgt: "Ungeachtet der teilweise berechtigten Kritik an der Kunsthalle ist es ein Unterschied, ob eine landeseigene Fläche für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren vermietet wird – oder Standorte (Treptow Ateliers) für 99 Jahre in Erbpacht (langfristige Anmietung) genommen werden."
"Es gäbe eine neue Möglichkeit, aber die Möglichkeit wird nicht mit dir besprochen"
Auf die Frage, wie die im Koalitionsvertrag vereinbarten Punkte Sicherung, Schutz und Förderung von Kultur und Medien mit den aktuellen Verfahrensweisen zusammenpassen, entgegnete der Senat, dass in der vergangenen Legislatur 2000 Arbeitsräume quer über alle Sparten im Bestand geschaffen oder gesichert worden seien. Ziel für die neue Legislatur sei es, diese Zahl weiter zu erhöhen. Auch sichere der Kultursenat fortlaufend Objekte, um geförderte Ateliers zu vergeben. Dies passiere entweder, indem der Senat diese Objekte kaufe, langfristig anmiete oder aber, indem er landeseigene Immobilien für Arbeitsräume herrichte. In beiden Fällen erfolge die Vergabe durch den BBK in einem "bewährten und transparenten Verfahren". Für diese Programme gebe der Senat seit Jahren Millionensummen aus, aktuell seien es circa 15 Millionen Euro.
Trotz dieser Zusagen scheint es, als würden die Maßnahmen nicht unbedingt bei den Betroffenen ankommen. "Es ist wahnsinnig anstrengend, den ganzen Leerstand zu sehen. Teilweise ist dieser in privaten Händen, da bekommt man dann die Auskunft, dass hier bereits etwas in Planung ist", berichtet Künstlerin und Vereinsmitglied Lydia Paasche vom Treptow Atelier e.V.. "Oder aber man sieht Leerstand, der in städtischer oder Landes-Hand ist, aber du kommst nicht rein. Es ist frustrierend, denn du weißt, du stehst schon mit einem Bein auf der Straße und es gäbe eine neue Möglichkeit, aber die Möglichkeit wird nicht mit dir besprochen."
Aufgrund der anhaltenden Probleme, noch dazu in Pandemiezeiten, hätten einige Kolleginnen und Kollegen Berlin bereits verlassen. Trotz existenzieller Ängste und starker wirtschaftlicher Einbußen durch zunehmende Verdrängung an den Stadtrand kommt dieser Schritt für Lydia Paasche und Sebastian Körbs jedoch nicht infrage – in anderen Städten sei das Problem ein ähnliches. Vielmehr fordern sie und ihre Mitstreitenden von der Politik eine sofortige "lösungsorientierte Strategie" für die bedrohte Berliner Kunst- und Kulturszene. Der zunehmende Platz-Notstand und die Verdrängung von Ateliers aus dem Stadtzentrum werden bereits seit Jahren intensiv diskutiert. Der Fall des Treptow Atelier e.V. zeigt jedoch, dass Berlin von einer wirklichen Strategie noch ein ganzes Stück entfernt ist.