Artmonte-Carlo

Kunstalarm in der Betonwüste

Mit ihrer vierten Ausgabe mischt die Kunstmesse Artmonte-Carlo Dekoratives mit Anspruchsvollem und erweitert behutsam ihr Programm

Das Helikopter-Aufkommen ist enorm in dem nur 2,02 Quadratkilometer großen Stadtstaat Monaco. 160 Euro kostet ein Flug vom Flughafen Nizza nach Monte Carlo. Der Service wird rege genutzt, schließlich lässt der fehlende Platz an Bord auf das Lebensgefühl unten einstimmen. Die Bevölkerungsdichte ist die höchste weltweit, die Bauwut in die Höhe sprießender Apartmentkomplexe omnipräsent, den täglichen Stau in den verwinkelten Straßen bekommt man inklusive und an gefühlt jeder Ecke wartet ein Tunnel, der die vorbeirasenden Luxussportwagen wie von Zauberhand verschluckt. Während der Kunstmesse Artmonte-Carlo steigt der allgemeine Lärmpegel noch deutlich. Schuld an dem Motorenlärm am Himmel ist nicht zuletzt auch das gleichzeitig stattfindende Berliner Gallery Weekend. Messe-Leiter Thomas Hug lässt nicht nur internationale Sammler mit Privatflugzeug von der deutschen Hauptstadt an die Côte d’Azur einfliegen - Rheinländer wie Corina Krawinkel oder prominente Kunsthändler wie Simon de Pury kommen ohnehin. Er hat diesmal auch noch einen zusätzlichen Tag angehängt. Vielleicht, weil die Konkurrenz mit der ebenfalls laufenden Art Brussels noch größer geworden ist.

Auch wenn die Anzahl der teilnehmenden Galerien mit rund vierzig konstant überschaubar bleibt, wartet der "Salon d´art contemporain" mit Neuerungen auf. Etwa der Sektion "Solo Shows", samt eines mit 15.000 Euro dotierten Preises für die beste Standpräsentation. Die Jury lässt aufhorchen: Neben Cristano Raimondi und Teresa Mavica ist auch Beatrix Ruf mit von der Partie. Unter den elf ausgewählten Galerien trifft man auf etablierte Positionen wie etwa Radenko Milak bei Christine König aus Wien oder Bettina Rheims bei Xippas aus Genf, die eine ganze Polaroid-Galerie von "Héroines" wie Tilda Swinton, Asia Argento oder Béatrice Dalle in ihrer schmalen Koje unterbringt.

Das weitere Spektrum reicht von Eliza Douglas bei Air de Paris, die Ausstellungsräume auf Leinwände bannt, bis zu Man Ray, der bei Eva Meyer aus Paris mit Lithographien und Bucherstausgaben vertreten ist. Die zweite neue Sektion "Face to Face" kommt als kuratierte Skulpturenschau daher, ein etwas disparates Sammelsurium, das ohne thematischen Überbau auskommt. Die letzte Neuerung ist die Ankunft der PAD für Kunst und Design in einer Nebenhalle des Grimaldi Forums. Nach Paris, London und Genf installiert sie sich nun parallel zur Artmonte-Carlo, was dem auf bella figura bedachten Vernissage-Publikum, auffallend viele Italiener und Russen, genügend Auslauf zur Präsentation der neuesten Shopping-Beutezüge gab.

Erstankömmlinge im Salon

"Wir sehen in dieser Entwicklung eine reflektierte Art, sich zu konsolidieren", sagt Thomas Hug, "die zwei Salons ergänzen sich, sie kannibalisieren sich keineswegs." Zumal der Artmonte-Carlo qualitativ ein deutlicher Sprung nach vorne gelingt. In der Hauptsektion "Salon" fallen sogleich einige erstkarätige Erstankömmlinge auf. Zu Skopia (Genf) gesellt sich die Blue-Chip-Galerie White Cube (London, Hong Kong), die mit dem Schwerpunkt Tracey Emin (Preise: von 75.000 bis 380.000 US-Dollar) neben Darren Almond, Cerith Wyn Evans, Mona Hatoum und Antony Gormley pointiert auf Nummer sicher geht. Die 303 Gallery (New York) sorgt gleich am Eingang für den ultimativen Hingucker mit einer Soloschau von Alicja Kwade. Die großen Skulpturen verblüffen mit neuartigen Materialbegegnungen und dysfunktionalen Musikinstrumenten, wie etwa dem "Hypothetischen Gebilde" (80.000-100.000 Euro), das gleich mehrere Blasinstrumente in einem vereinigt. Raffaella Cortese aus Mailand legt mit der Solo-Show von Roni Horn ein klares Statement für reduzierten Minimalismus mit ausdrucksstarken Porträt-Serien von Isabelle Huppert oder Jürgen Teller. Mazzoleni aus London bedienen zu guter Letzt mit Chagall, Picasso, Lucio Fontana und Fausto Pelotti den etwas gesetzteren Geschmack.

Die Debütanten bereichern definitiv den französischen Überhang aus Air de Paris, kamel mennour, Almine Rech, Mitterand, Perrotin und Laurent Godin, der mit einer geradezu winzig ausgefallenen Schrott-Staub-Skulptur von Peter Buggenhout und einer Fotografie von Mika Rottenberg überrascht, auf der gierige Lippen aus einem grün erblühtem Urwald nach Luft schnappen. Appetit auf gehoben Dekorative könnte man auch bei der Galerie Continua (San Giminiano) bekommen, beim Anblick von Hans Op de Beecks gewohnt zeitvergessener "Wunderkammer", in der die Totenmaske eines Kinder für den nötigen Stilbruch sorgt, oder Anish Kapoors zwischen Blau und Kobalt flotierende Wandskulptur, die den Gleichgewichtsinn stört und mit dem nebenan mit Leinwand durchsetzen Spiegel von Michelangelo Pistoletto ins Zwiegespräch gerät. Blain/Southern (London/Berlin) wagen das Unerhörte und versuchen es mit einer auf der Messe auffällig gemiedenen Disziplin. Neben den obligatorischen Jonas Burgert, Lynn Chadwick, Cindy Sherman und Chiharu Shiota dominiert den Stand das Video "Lifespans" (230.000 US-Dollar) von Bill Viola aus dem Jahr 2012, in dem ein schwarzes Paar in schweißtreibender Hitze eine trostlose Wüste durchquert. Direktorin Elena Bonanno Di Linguaglossa geizt nicht mit Komplimenten, die vierte Ausgabe sei "sehr gut besucht, das Publikum ist sehr gut. Die Messe ist perfekt organisiert und als kleine 'Niche' Messe sehr elegant. Verkäufe sind gut angelaufen und der gestrige Abend war ein Erfolg."

Erholung in der Villa

Da lässt es sich auch verschmerzen, dass manch eine Neuentdeckung übers Ziel hinausschießt, wie etwa der 1939 geborene Koreaner Kim Chong-Hak, der bei der Galerie Perrotin auf seinen Gemälden (80.000 Euro) das Genre der Landschaft mit naiv oder wahlweise halluzinogen vibrierenden Bergblumen überstrapaziert und sich deswegen bestens als Kinderzimmer-Tapete eignet. Erholung bietet da nur ein Abstecher zur Villa Paloma, neben der Villa Sauber gegenüber der Messe der zweite Teil des Nouveau Musée National de Monaco. Das hoch in den Bergen gelegene Schmuckstück lässt sich nach dem Besuch der Ausstellung von Ettore Spalletti am besten von der grandiosen Terrasse aus genießen. Sie bietet einen betörenden Ausblick auf die Bucht von Monaco-Ville, wäre da nicht schon die nächste Baustelle im Anmarsch, die dem Kunstgenuss einen Strich durch die Rechnung macht.