Stricken entspannt, hört man immer wieder. Auch Männer beschäftigen sich zunehmend mit Handarbeiten. Allerdings sehen die expressiven Werke von Oliver Rincke so überhaupt nicht nach einem Ersatz fürs Feierabendbier aus. Statt Pullis und Schals fertigt der Künstler Wollbilder auf Wellkartons. Der Bildträger wird mit Nadelstichen sozusagen perforiert, dann fädelt Rincke die bunte Wolle ein.
Alexandra von Gersdorff-Bultmann dreht eines der 24 Bilder in der Soloausstellung um. "Auch die Rückseiten mit den durgezogenen Fäden sehen spannend aus", sagt die Leiterin von Art Cru, der einzigen Galerie in Berlin, die exklusiv "Outsider Art" zeigt. Damit sind Werke von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung oder geistigen Behinderungen gemeint. Art Cru wurde 2008 gegründet. Träger der gemeinnützigen Galerie ist die PS-Art e.V. Berlin, ein Netzwerk aus verschiedenen psychosozialen Institutionen.
Der Berliner Oliver Rincke (Jahrgang 1978) ist Mitglied der Thikwa-Werkstatt für Theater und Kunst. Als Schauspieler arbeitet er schon länger. Auf das Material Wolle stieß der mit dem Down-Syndrom geborene Künstler erst 2013 bei einem Textilworkshop. Seither sind rund 80 Bilder entstanden. Ungefähr ein Drittel der Produktion aus allen fünf Jahren ist bei Art Cru zu sehen. In der Galerie lässt sich eine rasante Entwicklung nachvollziehen: von zentriert platzierten Motiven zu großzügigen, formal einfallsreichen Tableaus.
Rincke setzt oft Schrift ein, seine Bildzeichen – kämpfende Stiere, Skorpione, die Gürtel von Wrestlern, verschiedene Autos, das Brandenburger Tor – findet er in Zeitschriften, Büchern oder dem Internet. Die Stoffbilder, die man bei flüchtiger Betrachtung für Malerei mit dicker Ölfarbe halten könnte, zeigen Rinckes ausgeprägtes Gespür für Farbklänge und stimmige Kontraste.