Sander Breure und Witte van Hulzen bei Tegenboschvanvreden
Ein Gang über die Art Brussels – und man hat genug Keramikarbeiten für die nächsten paar Jahre gesehen. Bunt bemalte, glasierte und augenzwinkernd unperfekte Skulpturen sind nach Malereien das zweithäufigste Medium auf der Messe und zeugen von einem bis zur Sättigungsgrenze ausgereizten Trend. Trotzdem hat die Jury um Hans-Ulrich Obrist den Discovery-Preis an Tegenboschvanvreden aus Amsterdam vergeben – und damit an eine Galerie, die wie so viele andere auch Keramikarbeiten zeigt. Zu Recht, denn Sander Breure und Witte van Hulzen setzen das Material außergewöhnlich treffend ein, indem sie Köpfe aus Keramik auf "Deliveroo"-Lieferboxen, Staubsaugern und Spülmaschinen ruhen lassen. Die niederländischen Cousins setzen sich mit dem Akt des Nicht-Arbeitens auseinander und situieren diesen zwischen erschöpfungsbedingtem Müßiggang und subversiv-produktiver Verweigerungsgeste. Seidenkissen treffen auf wärmeisolierende Plastikrucksäcke, ein lustig baumelnder Unterkörper aus Normalo-Jeans und -Bootsschuhen verbindet sich mit einem abstrahierten Gips-Rumpf, und die darauf thronenden Keramikköpfe wirken wie entfernte Verwandte von Rodins Denker, dem unbestrittenen Meister des Innehaltens.
Gruppenschau bei Mendes Wood DM
Die in São Paulo, Brüssel und New York niedergelassene Galerie Mendes Wood DM zeigt an ihrem Stand ausschließlich brasilianische Künstler. Hinter einem Metallkettenvorhang, der dem satten, feuchten Grün des Regenwalds nachempfunden ist, verbindet Daniel Steegmann Mangrané geometrisch und natürlich geformte Elemente, indem er Laubblätter mit Goldfarbe bemalt und kleine Dreiecke aus Regenwald-Fotografien ausschneidet und neu einsetzt. Nebenan malt Solange Pessoa mit Naturfarbe großformatige Tier-Schattenrisse und Paloma Bosquê kreiert fragile Formen aus Bienenwachs, Harz und Holz, wobei sie organische Imperfektion zulässt.
Jenny Brosinski bei Choi & Lager
Bei Choi & Lager lässt sich Jenny Brosinskis spielerischer Umgang mit dem Medium Leinwand bestaunen. Die deutsche Malerin lässt den Stoff, den sie bemalt, locker hängen, versieht ihn mit Falten und Knicken, zerreißt ihn und faltet ihn dann neu zusammen. Brosinski malt auch mit Bleichmittel und Olivenöl, Spuren wie Fußabdrücke zeugen von dem impulsiven Schaffensprozess, in dem die minimalistischen Bilder entstehen. Dass die hier gezeigten Werke in einem Guss und speziell für den Art-Brussels-Stand entstanden sind, spürt man deutlich: Die Gemälde stehen untereinander in regem Dialog und fügen sich perfekt in den Raum ein.
Paul Neagu bei Ivan Gallery
Zu den Schülern von Paul Neagu gehörten unter anderem Anish Kapoor und Tony Cragg. Die rumänische Ivan Gallery gewährt anhand von Skizzen und Zeichnungen Einblicke in die Gedankenwelt des wiederentdeckten britisch-rumänischen Künstlers. Neagu unterteilte den menschlichen Körper in rechteckige energetische Zellen und strebte nach einem instinktiven schöpferischen Geisteszustand, in dem Natur und Kultur in Kunst kulminieren. Dokumentationen der Performance “Going Tornado” zeigen, wie er jenen Zustand erreicht, indem er auf Rollschuhen Spiralen auf den Boden zeichnet und sich mit an seiner Kleidung befestigten schwingenden Objekten immer schneller um die eigene Achse dreht.
Andris Eglitis bei Pop/off/art
Einer der Veranstaltungsorte der Riga-Biennale, die letztes Jahr zum ersten Mal stattfand, war das Atelier von Andris Eglitis. Tausende Besucher kamen in sein Studio in einer ehemaligen Fabrikhalle und sahen seine großformatigen Malereien und Skulpturen umgeben von Staub, Skizzen und kreativem Chaos. Sowohl Künstler als auch Gäste wären von diesem Erlebnis so begeistert, dass Eglitis jenen intimen Einblick mit noch mehr Menschen teilen wollte. Am Stand der russischen Galerie Pop/off/art ist deshalb eine begehbare maßstabsgetreue Miniaturnachbildung der Atelierhalle zu sehen. Zwei der hier auf Holzpaletten abgestellten figurativen Gemälde sind außerhalb der Miniaturfabrik in groß zu sehen, eines der beiden basiert wiederum auf einer vom Künstler erbauten monumentalen Kulisse, die man in verkleinerter Version betrachten kann.
Lea Gulditte Hestelund bei Eduardo Secci
Hinter Vorhängen aus schweren Plastikstreifen verbergen sich meist anzügliche, zwielichtige oder verbotene Räume. Bei Eduardo Secci führen sie zum fuchsiapinken Solo-Stand von Lea Gulditte Hestelund. Und tatsächlich sind die hier gezeigten Skulpturen ziemlich sexy: Die Künstlerin hat glatte und runde Objekte aus Marmor geschaffen und mit sadomasochistisch anmutenden Lederriemen umwickelt, auf Fell gebettet und mit rosafarbenen Quasten behangen. Unter dem Druck der Riemen scheinen die Steine an einigen Stellen nachzugeben – auch deshalb oszillieren sie zwischen weich und hart und wirken stellenweise beinahe organisch. Die Arbeiten wirken wie besonders avantgardistische Sexspielzeuge – und entwerfen genau wie diese ein neues, feministisches Bild der Sexualität jenseits von Körperidealen und Genderzuschreibungen.
Skulpturen bei Counter Space
Konzeptuelle Arbeiten findet man bei Kunstmessen eher selten. Die Züricher Galerie Counter Space bildet mit ihrem unter dem Motto "Sculpture? / Sculpture" stehenden Stand eine eindrucksvolle Ausnahme. Vittorio Santoros Skulpturen, darunter ein mit Spiegel versehenes Schachbrett, in das der Künstler zwei Origami-Tiere, eine Eule und eine Sphinx, eingeschlossen hat, lassen den Geist des Dada aufleben. Daneben ein formell anziehendes Bücherregal: sowohl das Brett als auch die Bücher sind aus unbehandeltem Porzellan gefertigt, die Buchrücken stellenweise wie durch häufige Benutzung leicht eingedellt. Beim Blick auf die Titel stellt sich ein mulmiges Gefühl ein, denn neben “Robinson Crusoe” und Kants “Kritiken” stehen hier auch Henry Fords “Der internationale Jude – ein Weltproblem” und Madison Grants "Der Untergang der großen Rasse". Sebastian Utzni hat durch aufwendige historische Recherche die Bibliothek Adolf Hitlers rekonstruiert und sie in ein zwiespältiges und kontroverses Werk übersetzt. Statt eines zu Verkaufsgesprächen einladenden Sesseln stehen in der Mitte des Galetriestands zwei Stühle von Maxime Bondu – es sind Nachbildungen der Stühle, auf denen 1972 das Finale der Schachweltmeisterschaft zwischen den USA und Russland stattfand und die im Anschluss an das Turnier geröntgt wurden, um den russischen Verdacht auf den Einsatz von mechanischen und chemischen Ablenkungsmanövern zu prüfen. In ihrer Performance “Obsidian” lotet Anne Rochat zudem die Grenzen des Skulpturalen aus: Eine Stunde lang umarmte sie nackt einen Eisblock und formte durch die Abdrücke ihres Körpers eine ephemere Skulptur, die im Verlauf der Messe nun langsam dahinschmilzt.
Valio Tchenkov und Martina Vachevas bei Sariev Contemporary
Bulgarische Galerien, erzählt Galeristin Vesselina Sarviera, machen selten den Schritt auf den internationalen Markt. Und so ist ihre Galerie auf der Art Brussels ebenso wie bei vielen anderen internationalen Messen die einzige aus Bulgarien. Allein um einen seltenen Einblick in die Kunstszene des osteuropäischen Landes zu erhaschen, lohnt es sich also, bei Sariev Contemporary vorbeizuschauen. Zudem gibt es amüsante figurative Malereien von Valio Tchenkov zu sehen, die dieser mit Fuchsschwänzen, Pullovern und Rahmen aus Kartonage versehen hat. Wunderbar passen dazu die von bulgarischen Legenden und Märchen inspirierten Erde-, Stock- und Ton-Statuen Martina Vachevas.