Architekturwoche Basel

Wir können so nicht weiterbauen

Städtebau ist im Umbruch, und in Basel wird darüber gestritten. Die erste Architekturwoche stellt drängende Fragen zu Demokratie und Ökologie

Wer sich Basel nähert, kann zwei erste Eindrücke bekommen. Der eine ist der einer modern-kühlen, autogerechten Messestadt, wo Autobahnauffahrten den Blick auf Pharmakonzernzentralen freigeben. Der andere der einer gemütlichen mittelalterlichen Fußgängerstadt. Beide stimmen natürlich nicht ganz. Man hört, dass die Schweizer Metropole nach New York und Tokio die meisten Bauten von Pritzker-Preisträgerinnen und Preisträgern aufweist. Ständig wird gebaut, und es wird darüber gesprochen und gestritten. Basel sieht sich als Architekturhauptstadt.

Nun soll die erste Architekturwoche Basel eine Art dezentrale Konferenz sein. Sie trägt den Titel "Reale Räume", ganz so, als wäre es nun endlich wieder Zeit, sich aus dem – nicht nur – pandemiebedingten Rückzug ins Digitale hervorzuwagen, auch für Architekten und Architektinnen. Teilhabe, Durchmischung und Nachverdichtung lauten die Schlagworte, die Chrissie Muhr, die künstlerische Leiterin, im Foyer der Hochschule für Kunst und Gestaltung auf dem Dreispitzareal in den Raum wirft. Das passt gut, denn gerade an diesem Ort im Osten der Stadt treffen sich viele Fragen, um die es bei der biennal geplanten Architekturwoche gehen soll.

Das Quartier Dreispitz – was auf der Karte wirklich dreieckig ist – kann als Labor gelten, dafür, wie alte Industrieareale transformiert werden, wie Kunst als Motor für Gentrifizierung funktioniert, wie aus Gleisbetten Aufenthaltsorte und aus Lagerhallen Kunstinstitutionen werden. Das Areal ist noch das größte geschlossene Gewerbegebiet von Basel. Das Land gehört der Christoph-Merian-Stiftung, die auch unter den Sponsoren der Architekturwoche ist. An der Grenze zwischen den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Land, wo man kaum hundert Meter geradeaus gehen kann, ohne über einen Schienenstrang zu stolpern, trifft seit 2009 Industrie auf Wohnbebauung, Kunst und Bildung. Im Schaulager (von Herzog & de Meuron) lagert eine private Kunstsammlung, in unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich die Hochschule für Gestaltung und das Haus der Elektronischen Künste, wie ein Brückenkopf der kommenden Umnutzung. Demnächst soll hierher auch das Kunsthaus Baselland ziehen.

Nur mal zum Vergleich: Wenn man in Berlin über Gentrifizierung spricht, bekommt man leicht den Eindruck, es handelte sich dabei um einen perfiden Prozess, der etwas mit Galerien und Cafés zu tun hat und nicht mit intransparenten Immobilienspekulationen. Wenn Pierre de Meuron über dem Modell des Dreispitzareals erklärt, die Stadt sei für alle da, klingt der Begriff schon anders, zielgerichteter und nach einer transparenten, sanften Top-Down-Planung, und auch so, als müssten solche Prozesse nicht desaströs für die Anwohnerschaft verlaufen.

De Meuron betont die demokratische Einbindung der Bevölkerung in die Prozesse. Sein Architekturbüro Herzog & de Meuron ist verantwortlich für die städtebauliche Studie, die sich mit dem Gebiet und seiner Umwandlung befasst. 90 Prozent der Fläche, erklärt der freundliche Schweizer, werden hier immer noch für Logistik und Gewerbe genutzt. Hier ist der Boden noch versiegelt, der Grund ist noch verseucht, und es stehen noch unzählige Lagerhallen, Parkhäuser, die auf den Strukturwandel warten. Es stellen sich Fragen von bezahlbarem Wohnraum, von klimaverträglichen Städten und von nachhaltigem Bauen. Die Veranstaltung mit de Meuron ist eins der zahlreichen Partnerevents der Architekturwoche, deren Hauptveranstaltungen radikal und größer in die Zukunft denken.

Es gehe um die alltäglichen Lebensräume, das Gebaute und das Ungebaute, sagt die Architektin und Kuratorin Chrissie Muhr, und das alles in über 100 Veranstaltungen, in drei Segmenten: "Forum" ist ein dialogisches Format, bei dem anhand von Entwicklungsarealen – zum Beispiel dem riesenhaften Büro- und Laborneubau am Bachgraben –, Projekte vorgestellt werden.

Dann gibt es die "Trouvailles", das heißt Fundstücke, einen Wettbewerb, der sich mit dem Möglichkeitsraum der Architektur befassen soll. Für die "Trouvailles" habe man, so Muhr, einen Auftrag in den nicht gebauten Raum vergeben. Den Anfang macht das Architekturbüro Truwant Rodet Freudiger. "Was, wenn Straßen Flüsse und Brunnen Thermen wären?", fragen sie und ziehen Linien entlang dieser mal verborgenen, mal als Stadtgewässer gezähmten Bach- und Flussläufe. Sie veranstalten Konzerte, und richten eine beheizte Badestelle an einer vergessenen Skulptur im öffentlichen Raum ein. Denn man könnte, wenn man will, eine topographische Geschichte Basels anhand seiner Wasserläufe erzählen. Bachgraben, so heißt eine Siedlung beispielsweise, und sie ist benannt nach einem Zulauf zum Rhein, den es schon lange nicht mehr gibt. Die Schichten unter der Stadt erzählen von keltischen Dörfern, römischen Ruinen, Bleibelastung aus dem Spätmittelalter, von dem Ort, an dem der Chemiker Albert Hofmann seine berühmte Fahrradtour machte und den ersten LSD-Trip erlebte, so erklärt Dries Rodet, Kokurator der Trouvailles, auf einer Betonrampe nahe der Autobahn im Osten der Stadt. Geschichten fallen auch in den Zuständigkeitsbereich der Architektur, daher trägt dieses Segment den Übertitel "Zyklische Erzählungen".

Zirkuläres Bauen

Das dritte Format ist der Basel Pavillon, der aus einer weltweiten Ausschreibung hervorgegangen ist und zeigt, dass das Wiederverwenden eine schöne Praxis sein kann. Die Wettbewerbsauflage war, dass der Pavillon, der über einem alten Gleisbett entstanden ist und der Schienenkurve sanft folgt, aus verwerteten Bauteilen errichtet wird. In diesem Fall müsse man vom Material her denken, sagen Marta Colón de Carvajal und Juan Palencia vom Studio isla aus Mallorca, die den Gewinnerentwurf gestaltet haben. Als Grundlage diente ihnen ein Fundus von Bauteilen aus der Umgebung: eine Sammlung von Profilen, Holz, Ziegeln, alles aus kürzlich rückgebauten Häusern. Der Pavillon bekommt eine skulpturale Qualität, wie eine große Assemblage – viel altes Holz, eine Kolonnade aus verschiedenen Materialien, verschweißte Tischbeine als Stützpfeiler, Bleche geformt zu einer Sitzbank. Er bleibt sechs Monate und wird während der Art Basel Platz für Veranstaltungen bieten – ein wohlgestaltetes, geplantes Provisorium.

Zirkuläres Bauen war lange ein Nischeninteresse, aber mittlerweile interessieren sich auch die Riesen der Branche – wie Herzog & de Meuron – für diese Themen. Ungefähr 40 Prozent der CO2-Emissionen entstehen schließlich durch den Bau und Betrieb von Gebäuden, das ist auch in der Bundesrepublik jetzt ein Thema. Im Berliner Abgeordnetenhaus wurde im vergangenen November das Abfallwirtschaftskonzept 2030 beschlossen, das Wiederverwendung im Bauwesen vorsieht. Lukas Gruntz, ein weiterer Protagonist der Architekturwoche und Mitinitiator des Pavillons, spricht in der Hochschule am Dreispitz über die Dringlichkeit dieser Themen. Beton, Glas und Stahl müssen abgelöst werden, sagt er: "Wir können so nicht weiterbauen."

Die Architekturwoche Basel funktioniert wie ein Schwamm, der alles in sich aufsaugt, was in der Stadt passiert. Institutionen, Architekturbüros, Künstlerinnen und Künstler machen mit. Besonders aber gibt sie jungen Architektinnen imd Architektren eine Bühne, Architektur über das Bauen hinaus denken, nämlich als einen Bestandteil von Gesellschaft und Ökologie. Wer Basel danach verlässt, bekommt den Eindruck: Alles geht die Architektur an.