Architektur

Eine ruhige Kugel schmieden

Architekturlegende Oscar Niemeyer hat kurz vor seinem Tod eine spektakuläre Kugel für einen Leipziger Industriebau entworfen. Ein Gespräch mit Bauherr Ludwig Koehne und dem ausführenden Architekten Harald Kern

Herr Koehne, Sie sind Gesellschafter von Kirow Ardelt und HeiterBlick, Unternehmen, die in Leipzig Eisenbahnkräne und Straßenbahnen bauen. Auf der Werkskantine schwebt seit geraumer Zeit eine große Kugel, die einem Restaurant und einer Bar Platz bietet. Was hat es damit auf sich?

Ludwig Koehne: Architektur ist mein Ausgleich. Ich war 2007 geschäftlich in Brasilien und nutzte einen freien Tag, um mir Brasilia anzuschauen. Die Niemeyer-Gebäude dort waren in ihrer Kraft und Vitalität eine Offenbarung für mich. Zwei Jahre später dann lag ich nach einem Ski-Unfall in einem Hotelbett im Engadin. Die Wirtin hatte einen Bekannten, der sich dort von Niemeyer ein Haus bauen ließ. Gleichzeitig hatte ich in Leipzig einen Kantinenchef, der dort mehr als nur Kantinenessen kochen wollte. Ich hatte also Zeit zum Nachdenken: Und da ich von da an ­Zugang zu Niemeyer hatte, kombinierte ich meine Gedanken.

Sie schrieben einen Brief an Niemeyer, in dem Sie vom Besuch in Brasilia und von dem "veritablen Restaurant-Chef" in Leipzig sprachen. Sie fragten ihn, ob er sich vorstellen könne, "einen kleinen Speise- und Tanzsaal auf dem Kantinengebäude zu errichten". Und dann?

LK: Ich bekam tatsächlich einen Termin bei Niemeyer in Rio. Das Projekt passte in seine Gedankenwelt. Er war überrascht, dass ich die Industrie nicht nur als wertmaximierendes Instrument ansah, sondern als etwas, das man mit Kultur kombinieren könnte. Niemeyer hatte volle künstlerische Freiheit. Für mich indes war es ein Bewerbungsgespräch – schließlich wusste ich, dass er Projekte auch immer wieder abgelehnt hatte. Zu meiner Überraschung aber freute er sich über die Aufgabe. Deutschland war für ihn eine offene Baustelle: Potsdam hatte damals seinen Entwurf für ein Spaßbad verworfen, und so war das Wohnhaus im Berliner Hansaviertel von 1957 zu diesem Zeitpunkt der einzige Bau aus seinem Büro.

Hat er Ihnen dann in typischer ­Niemeyer-Manier einen Entwurf mit Filzstift auf eine Papierserviette gezeichnet?

LK: Nein, der Entwurf kam später per Mail: Skizzen, Seitenansichten und Schnitte. Alles war da: der Turm als tragender Schaft, die Kugel mit zwei Ebenen. Genauso, wie wir es später umgesetzt haben. Zuerst war ich geschockt. Die Kugel war bauphysikalisch ein Unding: zwei Drittel Glas mit entsprechender Aufheizung. Auch statisch war der Bau ambitioniert: ein zwei Meter breiter Turm, der von einer Kugel gekrönt werden sollte. Wie soll man so etwas bauen? Ich hatte einen Pavillon erwartet, und dann das. Es dauerte zwei Jahre, um die richtigen Bauexperten zu finden.

Oscar Niemeyer starb dann 2012. War das ein Schlag für Sie?

LK: Ja, absolut. Jedoch hatten wir das Glück, dass Niemeyers engster Mitarbeiter Jair Valera das Projekt zu Ende führen wollte. Unser Ziel war somit die posthume Umsetzung. Hätten wir Jair nicht gehabt, um jedes Detail zu bestimmen, es wäre aus den Entwürfen nichts geworden. Doch Jair hatte seit 1974 mit Niemeyer zusammengearbeitet. Er konnte daher alle Fragen beantworten – in einem Prozess, der bis heute anhält: Die Bar, jeder Tisch, jeder Stuhl, jeder Teppich wurde von ihm im Sinne Niemeyers festgelegt. Man muss so einen Entwurf ja komplett durchziehen, sonst taugt er nichts.

Herr Kern, Sie sind der ausführende Architekt. Wie lief das Projekt ohne den Meister?

Harald Kern: Ich habe in Leipzig immer wieder Pläne vorbereitet, aber die geistige Führung lag in Rio. Wir waren 2013 erstmals bei Jair, um Details mit ihm festzulegen: die Raumproportionen, der endgültige Durchmesser der Kugel, die Kurvenführung. Meine Pläne beruhten ausschließlich auf Niemeyers Entwurf und auf den Workshops mit Jair. So haben wir beispielsweise lange über das Verhalten von Beton und Glas in der Kuppel gesprochen. Jair sprach in diesem Zusammenhang von einer Orange, von der man die Außenhaut abgenommen hätte, um das Fleisch sichtbar zu machen.  

Wann waren Sie sich sicher, dass es mit dem Bau klappen würde?

HK:  Eigentlich erst 2016, als die Baufirma ein Erprobungsbauteil erfolgreich umgesetzt hatte. Es war eine Herausforderung, eine so einfache und leichte Form auch einfach und leicht wirken zu lassen. Beton ist das tragende Element der Kugel und musste von daher so weiß und glatt aussehen wie möglich.

Wie passt die Niemeyer Sphere in das Niemeyer-Œuvre?

LK: Niemeyer mochte Solitäre, er baute gern auf der grünen Wiese oder am Wasser. In Leipzig musste sich das Gebäude in eine Fabriklandschaft einfügen. Er hat das Problem auf sehr niemeyersche Weise gelöst: durch maximalen Kontrast. Die Kugel reiht sich nahtlos ein in Niemeyers Œuvre: So ist das 2002 fertiggestellte Niemeyer-Museum im brasilianischen Curitiba ein schmaler Turm mit einem augenförmigen Aufbau, der einen Niemeyer-Bau aus den 60er-Jahren ergänzt. In Curitiba hat sich Niemeyer selbst ergänzt, in Leipzig einen fremden Bau. Niemeyer hat viele Kuppeln gebaut, aber so eine Kugel nur ein einziges Mal.

Herr Koehne, Sie haben mal gesagt, dass Architektur für ein Unternehmen die beste Werbung sei. Geht es bei der Kugel also mehr um die Ausstrahlung, als um die Architektur?

LK: Es kommen da viele Dinge zusammen, die sich nicht ausschließen – dazu zählen natürlich auch Werbung und Kunst. Wir bauen langlebige Wirtschaftsgüter und wollen unseren Kunden das Vertrauen geben, dass wir noch lange als Unternehmen existieren: Eine Firma, die ein Gebäude für die Ewigkeit schafft, die plant auch langfristig.