Augmented-Reality-Kunst

LSD-Trip im Apple Store

Apple bietet gemeinsam mit Künstlern wie Nick Cave, Cao Fei, John Giorno und Pipilotti Rist Augmented-Reality-Kunstsessions an. Eine gute Idee, doch der Selbstversuch unserer Kolumnistin Anika Meier im Hamburger Apple Store eskalierte beinah

"Erleben Sie ein Universum positiver Energie." Was nach Werbung für einen Mindfulness-Workshop oder ein Yoga-Studio klingt, ist aus einer Pressemitteilung von Apple. Ende Juli kündigte das Unternehmen eine Serie von Augmented-Reality-Kunstsessions an: einen geführten "[AR]T Walk", co-kuratiert vom New Museum in New York, bei dem die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sich auf dem Weg über ihr Smartphone Kunst von Nick Cave, Nathalie Djurberg und Hans Berg, Cao Fei, John Giorno, Carsten Höller und Pipilotti Rist anschauen können. Ein "[AR]T Lab" mit 90-minütigen Workshops, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen, selbst Augmented-Reality (AR) zu schaffen. Und "[AR]T", man kann es sich denken, Kunst, die man sich weltweit in den Apple Stores ansehen kann.

Das klingt wirklich nach positiver Energie, man wird da ja sonst immer nur sehr viel Geld los. Die Walks allerdings gibt es nur in ganz großen Großstädten wie San Francisco, New York, London, Paris, Hongkong und Tokio.

Technisch bin ich nicht sehr begabt. Gar nicht, um genau zu sein. Also fällt auch das Lab aus. Außerdem muss man sich für die Sessions anmelden. Bleibt noch das Kunsterlebnis.

"Wo finde ich denn hier die Kunst?", frage ich einen Mitarbeiter im Store am Jungfernstieg in Hamburg. Der Laden ist wie immer an einem Samstag gut gefüllt, der Mitarbeiter ist gerade dabei, Smartphones wieder ordentlich in die Halterungen zu stellen. Er guckt mich leicht irritiert an. "Sie wissen schon, die AR-Geschichte von Nick Cave." Jetzt weiß er, worüber ich rede. "Ja, also, nein", sagt er, "das ist schon vorbei. Das haben Sie verpasst. Aber Sie können sich online anmelden."

Jetzt weiß auch ich, worüber er redet. Ich erkläre ihm kurz, dass ich auch in einer längeren Session vermutlich nicht lernen werde, wie ich selbst irgendwas mit AR bauen kann. "Die Kunst von Nick Cave möchte ich sehen", sage ich, ziehe mein Smartphone aus der Tasche und zeige ihm die Pressemitteilung. Da müsse er einen Kollegen fragen. Sekunden später ist er wieder da, zeigt mir, welche App ich herunterladen und wo ich drücken muss, damit es los geht.

"Kunst ist ein Katalysator, um ernste Themen zu bearbeiten"

Es geht übrigens nicht um DEN Nick Cave. Nicht der Musiker hat sich an Kunst versucht, sondern der amerikanische Bildhauer und Maler hat eine seiner bekanntesten Installationen in ein anderes Medium übertragen und abgewandelt beziehungsweise dem Umfeld angepasst. In seinem Werk reflektiert Cave, was es bedeutet, schwul und schwarz zu sein, erfährt man im knapp fünfminütigen Video in der Apple-Store-App. "Until" entstand als Reaktion auf rassistische Polizeigewalt in Amerika. Der 17-jährige Michael Brown wurde im August 2014 von einem weißen Polizisten auf der Straße erschossen. Die Fälle von Polizeigewalt gegen People of Color häuften sich, Cave reagierte. Die Installation "Until" besteht aus vielen, vielen Drehelementen, die von der Decke herab wie Girlanden im Raum hängen.

Das alles ist schön anzusehen, Farben und Bewegung sollen die Menschen anziehen. Erst wenn man näherkommt, sieht man, dass die Installation aus Pistolen, Kugeln und Tränen besteht. "Kunst ist ein Katalysator, um ernste Themen zu bearbeiten", sagte Cave einst in einem Interview. "Mit seiner Ästhetik behandelt er Themen wie Rassismus und was es bedeutet, Person of Color zu sein", erklärt die stellvertretende Direktorin des New Museum im Video.

So stelle ich mir einen LSD-Trip vor

Aus "Until" wurde im Store "Amass", das funktioniert wie Pokémon GO im Schnelldurchlauf. Statt virtueller Fantasiewesen sammelt man virtuelle Icons ein. Und Schnelldurchlauf, weil man nach nicht einmal fünf Minuten alle Icons eingesammelt hat. Suchen muss man nämlich nicht lange. Alle paar Schritte ploppt eines der Drehelemente auf dem Bildschirm auf, fünf Stück müssen eingesammelt werden, unter anderem ein Herz, ein Stern, ein Smiley. Das Drehelement dreht sich dann also ein bisschen und wandert langsam Richtung Decke, wo wie zuvor in der Installation "Until" viele, viele Drehelemente schweben. Das alles ist schön anzusehen, Farben, Bewegung, Victory-Zeichen, Sterne, Smileys, Herzen. So stelle ich mir einen LSD-Trip vor.

Und während man selbst also dieses Universum positiver Energie erleben soll, kann es passieren, dass einige Kunden im Store irritiert sind. Mir zumindest ist es so ergangen. Man läuft nämlich mit seinem Smartphone scheinbar filmend durch die Tischreihen, an Smartphones und Laptops und Menschen vorbei, die dort sind, um wie üblich sehr viel Geld loszuwerden. Und während ich also mit meinem Smartphone einem Smiley durch den Raum folgte, fing eine ältere Dame an, sich furchtbar aufzuregen und laut zu werden. Immer wieder rief sie, ich solle aufhören, sie zu filmen. Der Smiley derweil war an die Decke gewandert, mein Smartphone und ich folgten ihm zu den Herzen und Sternen, auf die ältere Dame war die Kamera in keiner Sekunde gerichtet.

"Da schauen Sie, wie schön das alles anzusehen ist. Die Kunst von Nick Cave hier virtuell im Raum", sagte ich, nett und verständnisvoll gemeint, und hielt ihr mein Smartphone hin, damit sie sich mein kurzes Video ansehen und sich selbst davon überzeugen kann, nicht im Bild zu sein. Die Dame leider reagierte, als wäre ihre Seele längst in meinem Smartphone gefangen, als führte kein Weg mehr zurück. "Ich will das nicht sehen", schrie sie jetzt sehr laut, "hören Sie auf mich zu filmen."Ich bat einen Store-Mitarbeiter um Hilfe. Der versuchte ihr zu erklären, dass hier im Raum via Smartphone ein Universum positiver Energie erlebt werden könne. Davon allerdings wollte die Dame nichts wissen und eilte aus dem Store, nicht ohne die anwesenden Kunden wissen zu lassen, dass ich durch den Laden laufe und sie alle filme.

Hat Apple die Aktion zu Ende gedacht?

Nach dieser Szene waren alle Anwesenden sensibilisiert. Die Blicke der Kunden verfolgten mich, eine Mitarbeiterin kam zu mir und fragte, was ich denn da filmen würde. Sie wollte meinen Screen sehen, um zu überprüfen, ob ich mir wirklich "Amass" ansehe und ob ich auch wirklich nicht filme. Sie erzählte mir von der Szene mit der Kundin, ich sagte ihr, dass ich eine der beiden Protagonistinnen war. Sie nickte verständnisvoll. Ich fragte, ob es vielleicht eine Lösung sein könnte, im Store mit Plakaten auf das virtuelle Universum positiver Energie hinzuweisen und ein oder zwei Mitarbeiter abzustellen, die das Kunsterlebnis begleiten. Sie dankte freundlich für das konstruktive Feedback.

Hat Apple die Aktion zu Ende gedacht? Im Store in Hamburg ist das neue Kunstprogramm "[AR]T" nicht angekündigt, es gibt keinen Informationsbereich und kein Informationsmaterial. Menschen laufen jetzt scheinbar filmend durch den Laden, Kunden sind verständlicherweise irritiert und beunruhigt.

Museen und AR

Die Tate Britain hat sich aktuell mit Facebook zusammengetan und über die Plattform Spark AR einen virtuellen Flügel mit acht Kunstwerken eröffnet, der vor Ort über Instagram betreten werden kann. Die Besucher sollen so mehr über die Kunst erfahren und einen persönlicheren Zugang zu den Werken finden. Das ist natürlich nicht neu. Schon im Juli 2015 beispielsweise hatten zwei Absolventen der UdK Berlin, Carla Streckwall und Alexander Govoni, als Abschlussarbeit eine Ausstellung mit AR für die Gemäldegalerie Berlin entwickelt. Die wollten damit nur nichts zu tun haben, also wurde daraus eine Guerilla-Aktion. Auf dem Handout zur Ausstellung stand: "Bitte beachten Sie die Hausordnung des Museums, Refrakt ist keine öffentliche von den Berliner Museen zugelassene Ausstellung!"

Neu ist, dass sich jetzt Apple und Facebook mit je einem großen Museum zusammengetan haben, um den Markt aufzurollen. Im Museum stört es nicht weiter, wenn Smartphones auf Kunstwerke gerichtet werden, um die Augmented Reality zu erleben. Außer es stört sich jemand daran, dass man nicht einmal im Museum das Smartphone in der Hosentasche lassen kann. Im Store derweil wird es unangenehm, wenn sich Kunden gestört und ihre Privatsphäre verletzt fühlen. Apple scheint hier nicht weit genug gedacht zu haben. Wie soll kontrolliert werden, wer was oder wen filmt, während das Universum positiver Energie erlebt wird?

Fehlte Apple letztlich der Mut?

Vielleicht wäre es außerdem interessanter gewesen, mit jungen KünstlerInnen zu arbeiten, die sich längst einen Namen in den sozialen Medien mit ihren AR-Arbeiten gemacht haben, statt etablierte KünstlerInnen auf ein neues Medium anzusetzen. Fehlte da der Mut? Mit Instagrammern, die sich auch außerhalb des sozialen Netzwerks als Fotografen etablieren konnten wie Dan Rubin aus Großbritannien, Maria Moldes aus Spanien und Konrad Langer aus Deutschland hat Apple in den vergangenen Jahren öfter zusammengearbeitet, wenn es um Smartphone-Fotografie ging. Warum also nicht Social Media Artists zeigen lassen, was mit Augmented Reality möglich ist?

Im Video zu "Amass" wird Nick Cave als politischer Künstler eingeführt, er sagt Sätze wie: "Wir leben in einer Welt, in der meine Hautfarbe eine Bedrohung ist." Als es dann um AR geht, wird er gefragt: "Was hältst du von Technologie und deinem neuen Projekt hier?" Cave antwortet: "Für mich ist es sehr interessant. All die jungen Leute mit ihren neuen kreativen Techniken. Sie hoffen, dass ich ihnen eine Richtung gebe und Lösungen habe."Es wäre ein starkes Statement gewesen, "Until" eins zu eins in AR zu übertragen.