Die Vucciria, das einst prächtige Bankenviertel von Siziliens Hauptstadt, bröckelt schon lange einer fernen, gentrifi zierten Zukunft entgegen. Halb verfallene mittelalterliche Palazzi trotzen tags der Hitze, während die mit weißen Lavasteinen gepfl asterten Gassen selbst nachts noch glühen. Auf der zentralen Piazza Garraffello, ein kleiner Platz mit einem uralten Brunnen und zugleich der Ort, an dem 1624 die Pest in Palermo ausbrach, arbeitet der Österreicher Uwe Jäntsch, geboren 1970, seit zehn Jahren an einer sozialen Skulptur immensen Ausmaßes.
Zunächst reagierte Jäntsch, der im obersten Stockwerk eines an die Piazza grenzenden, abbruchreifen Renaissancebaus lebt, auf das unmittelbar Verstörende: Morgen für Morgen stand er vor Abfallbergen, die zwischen den parkenden Kleinwagen abgeladen worden waren – neben stinkendem Hausmüll ganze Wohnungseinrichtungen, Bauschutt oder Lkw-Ladungen mit Spielautomaten der Altersklasse Atari Space Invaders, die irgendwelche Bars ausrangiert hatten. Jäntschs erster Eingriff: Er füllte einen gigantischen Palast, dessen Vorderfront 1995 von den Behörden eingerissen worden war, um den Einsturz zu verhindern, mit dem gesammelten Unrat mehrerer Monate bis zum Dach auf – unter reger Anteilnahme der Bewohner, die den Platz geschäftstüchtig in Besitz nahmen. Die Kommune, die die illegale Entsorgung auf den Straßen bis heute duldet, reagierte so prompt wie verärgert. Und mauerte die vom Künstler als „Kathedrale des Mülls“ bezeichnete Installation mit einem beeindruckenden Aufgebot an Feuerwehr, schwerem Werkzeug und Polizei zu. Jäntsch errichtete danach unter anderem ein mächtiges Christuskreuz aus bunten Limonadenkästen an der Stirn des Palasts, er bemalte verlassene Ladeneinheiten des Vucciria-Markts mit den Emblemen von Esso, McDonald’s und der Banco di Sicilia und bastelte einen mobilen Bancomat, der natürlich kein Geld ausspuckte – eine künstlerische Vorwegnahme dessen, was dem vergammelten Quartier im Falle der Grundsanierung blühen wird.
Die 31. Intervention am 10. Juni geriet zum Happening von in Palermo bislang unbekannten Dimensionen. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Costanza Lanza di Scalea, einer echten Prinzessin alten sizilianischen Adels, hatte Jäntsch Wochen im Voraus 1500 Plakate an Kirchenwände, Polizeistationen und Stromkästen geklebt, die das Ereignis wie eine Volkskundgebung ankündigten. Und tatsächlich wurde die Piazza in der Nacht von Hunderten Schaulustigen besucht und jeder Autoverkehr unmöglich.
Gastronomen bauten Holzkohlegrills auf, auf denen sie stigghiole garten, Harnleiter von Stieren, die Männern Potenzsteigerung versprechen. Vor allem aber setzte die einheimische Spezialität Rauchwolken frei, die im Licht der auf der Piazza Garraffello aufgebauten Scheinwerfer wie Trockeneisschwaden wirkten. In Deutschland undenkbar: Die Polizei ließ sich nicht blicken. Vom deutschen Reichsadler in Leni Riefenstahls Propagandafi lm „Triumph des Willens“ und den Nazi-Memorabilien inspiriert, die auf dem Vucciria-Markt unübersehbar feilgeboten werden, malte Uwe Jäntsch während der sechs Stunden dauernden Aktion auf eine Wand in der obersten Etage des Palazzo mit einer an Schlingensief gemahnenden Provokationslust eine „nazifi zierte“ Version des Stadtwappens: einen dicken Adler, dessen Krallen die Trinacria umgreifen, das stark an das Hakenkreuz erinnernde sizilianische Landeswappen. Nur das Haupt des Vogels malte Jäntsch nicht, sein palermischer „Reichsadler“ blieb kopflos.
Im Gespräch erklärt der Künstler am nächsten Tag, weshalb er den Vogel kopfl os malte, „fett und verschwenderisch wie Hermann Göring“ habe er sein sollen, „kopfl os wie die korrupten Politiker des sizilianischen Parlaments, die zu 80 Prozent mit Vorstrafen belastet sind“. Er selbst werde Palermo im Übrigen bald verlassen. Die Gentrifi zierung in ihrer sizilianisch-anarchischen Version sei schon zu fortgeschritten, als dass mit Interventionen noch etwas zu bewirken sei.
In den früher stillen Gassen der Vucciria haben Dutzende von Kneipen eröffnet, die zu lauter Reggaemusik Tagestouristen mit Bier aus Plastikbechern abfertigen. „Palermo ist in Lloret de Mar angekommen, mit dem Geruch von verbranntem Kunststoff“, sagt Uwe Jäntsch. „Der allgegenwärtige Müll war noch ein Akt der Gesetzlosigkeit und des Chaos. Die neuen Bars stehen mit ihrem Traditionsbruch für eine Playmobilisierung.“ Die Gleichgültigkeit, mit der die Palermer ihre Stadt erst verrotten ließen und nun an Stand-up-Wirte verramschen, überprüft Uwe Jäntsch in einem allerletzten, 32. Eingriff. In der Nacht vor seiner endgültigen Abreise nach Deutschland will er – diesmal ohne Publikum – das sizilianische Sonnenkreuz mit einem riesigen Hakenkreuz übermalen: Mal sehen, wie lange es diesmal dauert, bis die Polizei anrückt.
Zunächst reagierte Jäntsch, der im obersten Stockwerk eines an die Piazza grenzenden, abbruchreifen Renaissancebaus lebt, auf das unmittelbar Verstörende: Morgen für Morgen stand er vor Abfallbergen, die zwischen den parkenden Kleinwagen abgeladen worden waren – neben stinkendem Hausmüll ganze Wohnungseinrichtungen, Bauschutt oder Lkw-Ladungen mit Spielautomaten der Altersklasse Atari Space Invaders, die irgendwelche Bars ausrangiert hatten. Jäntschs erster Eingriff: Er füllte einen gigantischen Palast, dessen Vorderfront 1995 von den Behörden eingerissen worden war, um den Einsturz zu verhindern, mit dem gesammelten Unrat mehrerer Monate bis zum Dach auf – unter reger Anteilnahme der Bewohner, die den Platz geschäftstüchtig in Besitz nahmen. Die Kommune, die die illegale Entsorgung auf den Straßen bis heute duldet, reagierte so prompt wie verärgert. Und mauerte die vom Künstler als „Kathedrale des Mülls“ bezeichnete Installation mit einem beeindruckenden Aufgebot an Feuerwehr, schwerem Werkzeug und Polizei zu. Jäntsch errichtete danach unter anderem ein mächtiges Christuskreuz aus bunten Limonadenkästen an der Stirn des Palasts, er bemalte verlassene Ladeneinheiten des Vucciria-Markts mit den Emblemen von Esso, McDonald’s und der Banco di Sicilia und bastelte einen mobilen Bancomat, der natürlich kein Geld ausspuckte – eine künstlerische Vorwegnahme dessen, was dem vergammelten Quartier im Falle der Grundsanierung blühen wird.
Die 31. Intervention am 10. Juni geriet zum Happening von in Palermo bislang unbekannten Dimensionen. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Costanza Lanza di Scalea, einer echten Prinzessin alten sizilianischen Adels, hatte Jäntsch Wochen im Voraus 1500 Plakate an Kirchenwände, Polizeistationen und Stromkästen geklebt, die das Ereignis wie eine Volkskundgebung ankündigten. Und tatsächlich wurde die Piazza in der Nacht von Hunderten Schaulustigen besucht und jeder Autoverkehr unmöglich.
Gastronomen bauten Holzkohlegrills auf, auf denen sie stigghiole garten, Harnleiter von Stieren, die Männern Potenzsteigerung versprechen. Vor allem aber setzte die einheimische Spezialität Rauchwolken frei, die im Licht der auf der Piazza Garraffello aufgebauten Scheinwerfer wie Trockeneisschwaden wirkten. In Deutschland undenkbar: Die Polizei ließ sich nicht blicken. Vom deutschen Reichsadler in Leni Riefenstahls Propagandafi lm „Triumph des Willens“ und den Nazi-Memorabilien inspiriert, die auf dem Vucciria-Markt unübersehbar feilgeboten werden, malte Uwe Jäntsch während der sechs Stunden dauernden Aktion auf eine Wand in der obersten Etage des Palazzo mit einer an Schlingensief gemahnenden Provokationslust eine „nazifi zierte“ Version des Stadtwappens: einen dicken Adler, dessen Krallen die Trinacria umgreifen, das stark an das Hakenkreuz erinnernde sizilianische Landeswappen. Nur das Haupt des Vogels malte Jäntsch nicht, sein palermischer „Reichsadler“ blieb kopflos.
Im Gespräch erklärt der Künstler am nächsten Tag, weshalb er den Vogel kopfl os malte, „fett und verschwenderisch wie Hermann Göring“ habe er sein sollen, „kopfl os wie die korrupten Politiker des sizilianischen Parlaments, die zu 80 Prozent mit Vorstrafen belastet sind“. Er selbst werde Palermo im Übrigen bald verlassen. Die Gentrifi zierung in ihrer sizilianisch-anarchischen Version sei schon zu fortgeschritten, als dass mit Interventionen noch etwas zu bewirken sei.
In den früher stillen Gassen der Vucciria haben Dutzende von Kneipen eröffnet, die zu lauter Reggaemusik Tagestouristen mit Bier aus Plastikbechern abfertigen. „Palermo ist in Lloret de Mar angekommen, mit dem Geruch von verbranntem Kunststoff“, sagt Uwe Jäntsch. „Der allgegenwärtige Müll war noch ein Akt der Gesetzlosigkeit und des Chaos. Die neuen Bars stehen mit ihrem Traditionsbruch für eine Playmobilisierung.“ Die Gleichgültigkeit, mit der die Palermer ihre Stadt erst verrotten ließen und nun an Stand-up-Wirte verramschen, überprüft Uwe Jäntsch in einem allerletzten, 32. Eingriff. In der Nacht vor seiner endgültigen Abreise nach Deutschland will er – diesmal ohne Publikum – das sizilianische Sonnenkreuz mit einem riesigen Hakenkreuz übermalen: Mal sehen, wie lange es diesmal dauert, bis die Polizei anrückt.