Schon der Titel des Films lässt frösteln. Das biblische Zitat „Over Your Cities Grass Will Grow“ läutet das Ende irdischen Treibens mit einer derart morbiden Vehemenz ein, dass man sogleich jeder Zivilisation entsagen möchte. Kein Wunder, dass die ersten Bilder dieser Dokumentation zur Arbeit des Künstlers Anselm Kiefers aus der Bodenperspektive durch das Berg-Atelier von Barjac führen, getragen von einer unheilschwangeren Musik, die, wie könnte es anders sein, von György Ligeti stammt.
Der gewaltige Prolog verfehlt nicht seine Wirkung. Sofort glaubt man sich erleichtert, als auf der Erdoberfläche ein ganz banaler Schrotthaufen auftaucht und der erste von vielen Assistenten die staubige Bühne betritt. Immerhin nicht der Leibhaftige persönlich. So lange sich der Mann an dem glühenden Ofen zu schaffen macht, erkundet das Auge das weitläufige Terrain. In dem südfranzösischen Dorf Barjac kaufte sich Kiefer ein 35 Hektar großes Grundstück. Er taufte es „La Ribaute“, wegen der labyrinthischen Gänge, der Betontürme, Fabrikreste und verschlossenen Höhlen: ein begehbares Kunstprojekt, das sich dem Einsatz von Baggern und Bohrmaschinen verdankt.
Die Regisseurin Sophie Fiennes, Schwester der Schauspieler Ralph und Joseph Fiennes, schaut sich auf leisen Sohlen an diesem aufgeladenen Ort um. Sie möchte weder eine Biografie, noch ein Porträt abliefern. Das Ergebnis, das im Sommer bereits in einer kürzeren Fassung auf "Arte" zu sehen war und nun in die Kinos kommt, ist eine beglückende Meditation, die den Beweggründen ihres Objekts mit Staunen nachspürt. Fiennes kann sich in dem Freilichtmuseum kaum sattsehen an Stein, Asche und Beton.
Sie zeigt Kiefer bei der Arbeit in Barjac, aber auch bereits in der Nähe von Paris, wohin er inzwischen gezogen ist. Im schwarzen T-Shirt und Badelatschen orchestriert er hier enthusiastisch die Werkphasen seiner monumentalen Gemälde, schmettert riesige Glasscheiben in den Raum oder streut Kalk, der das Atelier für Minuten in eine Nebelbank verwandelt.
Zwischen diese aus der Distanz gefilmten Beobachtungen schneidet Fiennes ein Gespräch mit dem Journalisten Klaus Dermutz hinein. Das gerät zu einem aufschlussreichen Duell, zumal die Vorstellungen über die Intentionen des Künstlers mitunter weit auseinander liegen. Kiefer weicht gerne ab und spricht über den Urknall, Heidegger und die Langweile, das Meer, zu dem wir alle zurückwollen und die Schönheit, die für ihn lediglich „der Popanz ist, der vor mir getragen wird. Deshalb laufe ich immer weiter“. Und wir mit ihm, beseelt von der Lust, seine postapokalyptischen Stadtruinen vor Ort in Augenschein zu nehmen.
„Over Your Cities Grass Will Grow“, ab Donnerstag im Kino
Im Kino: „Over Your Cities Grass Will Grow“