Die Aufnahmen Ihrer Serie "me myself and I" sind im Rahmen eines Aufenthaltsstipendiums in der chinesischen Provinz Henan im Oktober 2019 entstanden. Sie waren damals zu Gast im Jigongshan International Art Park, der zwei Autostunden von Wuhan liegt. Wie haben Sie die Stimmung vor Ort damals wahrgenommen?
Das Ganze war ursprünglich als Ausstellungsbeteiligung geplant und es gab seitens des Museums das Angebot, dass wir länger vor Ort arbeiten und Werke für die Ausstellung produzieren. Es gab im Vorfeld Ideen für andere Projekte, weil ich eigentlich neben der Fotografie auch multimedial mit Objekt und Malerei arbeite. Nach einigem Hin und Her habe ich mich gemeinsam mit der Kuratorin Alexandra Grimmer entschieden, vor Ort meine Eindrücke zu sammeln und wieder auf meine Fotoarbeit zurückzukommen, in der ich mich selbst als Bildbausteine verwende. Diese fotografischen Selbstinszenierungen begleiten mich seit mehreren Jahre parallel zu meinen anderen Projekten. Also habe ich mich einfach mit meiner Digitalkamera, meinem Stativ und meinen zwei Arbeitsanzügen auf den Weg nach China gemacht.
Die Motive haben Sie also vor Ort in Reaktion auf ihre Umgebung erarbeitet?
Genau. Ein Motiv hatte ich schon in Wien im Kopf, nämlich das mit dem Riesen und dem Zwerg. Nur deswegen habe ich meine zwei Arbeitsanzüge mitgenommen. Alle weiteren Bilder und Sujets habe ich mir dann vor Ort überlegt. Das Umfeld war sehr inspirierend – auch wegen der klischeehaften Bilder im Kopf, mit denen ich bereits angereist kam und die ich aufarbeiten wollte. Die Ankunft war total schön. Ich hatte Smog und Horden von Menschen erwartet, aber ich landete in einer Umgebung, die wahnsinnig grün und fresh war. Im Museumsareal wird das Gemüse, das man isst, direkt vor Ort angebaut – das bricht total mit den Vorurteilen, dass dort nur Fleisch gegessen und auf Nachhaltigkeit gepfiffen wird. Was auch zur Stimmung in der Fotoserie beigetragen hat, war die Tatsache, dass wir sehr gut behütet wurden, uns auf der anderen Seite aber auch sehr beobachtet gefühlt haben. Die Museumsdirektion wollte, dass wir uns außerhalb des Museums nur in Begleitung chinesischer Assistenten bewegen. Nach und nach hat sich daraus in meiner Fotoserie eine Art kleine Science-Fiction-Story entwickelt. Diese schräge Architektur, die interessanten Farben, diese Zäune rundherum – in dieser seltsam strukturierten Umgebung kam mir eine Idee nach der anderen.
In den Fotos tauchen Elemente wie Gesichtsmasken und Grenzzäune auf, denen man aktuell immer wieder in den Nachrichten begegnet.
Das sind Themen, die uns insgeheim schon länger begleiten. Auf der einen Seite dieser permanente Wettbewerb und auf der anderen Seite das Verlangen nach Zusammenhalt und Solidarität. Wie gehen wir mit unserer Umwelt um, was halten wir von uns fern? Wir wollen uns weltweit frei bewegen, aber es werden doch Grenzzäune aufgezogen. Vieles ist widersprüchlich. Ich hatte vor Ort die Möglichkeit meinen Eindrücken nachzugehen und in meiner Fotoserie Geschichten zu erzählen die mich beschäftigen. Ich war damit zufrieden, wenig zu arbeiten. Ich konnte das alles aufarbeiten, die Umbruchsstimmung und die Spannung, die in der Luft lag.
Wie manifestierten sich diese Widersprüche konkret in Ihrer Umgebung?
Vor Ort hat sich die Belegschaft zum Beispiel total schön um die Gärten gekümmert, aber den kleinen Lotus-Brunnen verwendet, um Putzwasser zu entsorgen. Die Pflanzen können offenbar damit umgehen. Der Lotus ist eine interessante Pflanze, er kann komplett austrocknen und dann wieder erblühen. Die rosarote Maske gehörte eigentlich der Museumsdirektorin, hat aber so super zu meinem Anzug gepasst, dass ich mir dachte, ich muss dringend fragen, ob ich sie mir ausleihen kann. Sie hat sie mir dann auch geschenkt.
Spannend sind auch die Bambusstäbe, mit denen Sie einen Sicherheitsabstand zwischen Ihren Figuren herzustellen scheinen.
Das war inspiriert davon, wie mit Bäumen an öffentlichen Orten umgegangen wird. Egal wo wir hingefahren sind, die Bäume waren immer durch solche Stäbe gestützt, damit sie gerade wachsen. Dieses Bild zu übernehmen, erlaubte mir, Drill und Kontrolle auf einfache Weise darzustellen. Geht es um ein Abstandhalten, geht es um eine Spannung, die aufrechterhalten werden soll? Und natürlich ist es auch ein Material, das vor Ort auf alle möglichen Weisen eingesetzt wird. Im städtischen Bereich werden ganze Baugerüste daraus angefertigt. Ich arbeite oft mit Materialien, die in rauen Mengen vorhanden sind, aber aufgrund ihres Übermaßes an Wert einbüßen – Materialien, die auf Großbaustellen zum Einsatz kommen oder einmal verwendet und anschließend entsorgt werden.
Welche Rolle spielt das Kollektiv in Ihren Bildern?
Ich betrachte es auch in meinem Alltag als sehr wichtig, im Kollektiv zu arbeiten. Ich brauche das neben meiner künstlerischen Arbeit, in der ich mich sehr auf mich selbst und mein eigenes Schaffen konzentriere. Darin, dass sich Menschen, die sich als Gestalter ihrer Umwelt begreifen, gegenseitig unterstützen und inspirieren, sehe ich eine große Chance. Hier in Wien leite ich gemeinsam mit meinem Partner den Kunst- und Atelierraum 'Dessous' , da sehe ich immer wieder, dass man mit mehreren Leuten auch mehr bewegen kann. In den Fotos ist es ein Hin und Her zwischen dieser Überzeugung und dem, was ich vor Ort vorgefunden habe. Am 1. Oktober, direkt nachdem wir ankamen, gab es eine Militärparade zum 70. Jubiläum der Volksrepublik. Diese Massenaufmärsche und diese Gleichschaltung sind eine andere Form von Kollektiv, das gesteuert ist von Patriotismus und Dogmen. Ich wollte dieses Thema in den Fotos aufarbeiten und mich mit dem Konflikt zwischen Individualismus und Kollektiv beschäftigen. In dem Bild beispielsweise, wo ich an der Leiter hänge und von den anderen beobachtet werde, scheint das Ausbrechen unwahrscheinlich.
Wieso duplizieren Sie sich für die Bilder selbst, statt eine Gruppe aus unterschiedlichen Personen zu formen?
Das kommt eigentlich auch von der Idee, dass jedes große Ganze aus einzelnen Teilen besteht. Ich beschäftige mich in meiner Objektgestaltung mit farbenfrohen, teils aus Punkten zusammengesetzten Oberflächen. Bei den Fotoarbeiten ist das dann eine recht einfache Technik. Ich benutze das, was ich eben habe: mich. Ich kann in unterschiedliche Rollen schlüpfen und wechsle zwischen Objekt und Fotografin. Das Ganze bekommt dadurch auch etwas Performatives. Der Prozess ist auch für Außenstehende spannend zu beobachten, weil man im Moment der Aufnahme gar nicht richtig versteht, was ich da eigentlich mache.
Wie hat es sich nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie angefühlt, die mediale Berichterstattung über Wuhan zu verfolgen?
Total seltsam. Bevor wir abgeflogen sind, wusste niemand, wo Wuhan ist. Jetzt hat die gesamte Gegend mit Vorurteilen zu kämpfen. Man muss vorsichtig sein mit diesen ganzen pauschalen Berichterstattungen – es ist ja nicht so, als würde jeder dort Fledermäuse essen. Als ich dort ankam, hatte ich wie gesagt auch mit mehreren Bildern in meinem eigenen Kopf zu kämpfen. Ich fände es schade, wenn weitere Vorurteile über die chinesische Kultur entstehen würden. Das alles hat nicht bloß mit Konsum- und Lebensmittel-Handhabung in China zu tun. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich neue Viren entwickeln. Wir hatten das zuvor schon mit Schweinen, Rindern, Vögeln, und daraufhin haben auch wir meiner Meinung nach nicht genügend an unserem Konsumverhalten geändert.