Während Kaffeeliebhaber noch mitten in der so genannten Third Wave stecken, der dritten Welle der Kaffeekultur mit einem neuen Bewusstsein für Filterkaffee und Espresso, ist die zeitgenössische feministische Kunst schon bei der vierten Welle. In den sozialen Medien nennen sich die Künstlerinnen artwerk6666, bloatedandalone4evr1993, artbabygirl oder einfach nur thisismayan. Ihre Ausstellungen in Galerien tragen Titel wie "Still in Bed", "All my Feelings are Mine", "The Daydreamers" und "From my Bedroom to Yours". Ihr Snapchat-Kanal heißt artgirltv, ihr Mode-Label its_meandyou. Irgendwoher müssen sie ja die pinken Pullis und pinken Höschen bekommen. Mit der Aufschrift "Feminist", mit der deutlichen Anweisung "Don't Touch" oder mit dem rebellisch dahin geseufzten Statement "Hate it here". Oder die goldenen Kettchen, die sie in geschwungener goldener Schrift als "Bad Bitch" ausweisen.
Sie sitzen mit ihren Selfie-Sticks in ihren pinken Mädchenzimmern, liegen mit ihren Freundinnen verträumt in Smartphones guckend auf ihren Betten und zeigen Haare an Beinen, in Achselhöhlen und im Intimbereich. Blondes Haar, das sich aus dem pinken Höschen unschuldig und provokant zugleich hervorkräuselt. In der Dusche sitzen sie auf dem Boden, filmen, wie das Wasser auf ihren Körper herabprasselt und schauen dabei immerzu in die Kamera, die immer nur ganz kurz davor ist, ein bisschen zu viel von ihren Körpern zu zeigen.
Wenn sie ganz großes Glück haben, liegt Petra F. Collins neben ihnen im Bett oder sitzt gemeinsam mit ihnen nackt in einer Badewanne. Die kanadische Fotografin hat es dahin geschafft, wohin all die tagträumenden jungen Feministinnen einmal möchten. Auf Titel von internationalen Magazinen, in Gruppenausstellungen und in Fotobücher. Sie fotografiert, produziert und kuratiert. Ryan McGinley durfte sie vor einigen Jahren auf einen seiner Roadtrips durch Amerika begleiten, nachdem sie sich zufällig auf einer Tanzfläche in Toronto begegneten. Sie war eine von denen, die für den amerikanischen Fotografen nackt durch die Natur purzelten und von Felsen ins Wasser sprangen. Inzwischen ist dieser Ausflug in die Natur und in das Fotobuch des gefeierten Kollegen nur eine von vielen Stationen in ihrem Leben. Zu Ryan McGinley muss sie längst nicht mehr aufblicken. Die "New York Times" hat ihr Fotobuch "Babe" zu den besten des Jahres 2015 gewählt. Auf Instagram hat sie 274.000 Follower, Ryan McGinley, sein Hund Dick und seine singende Mama Mary haben nicht einmal 100.000 Follower.
Das soziale Fotonetzwerk war es auch, das sie 2013 in die Medien und in Talkshows katapultierte. Ihr Account wurde gelöscht, weil sie ein Foto von sich in einem Bikini-Höschen postete. Das klingt erst einmal nicht anstößig. Als unanständig empfanden einige Nutzer die Haare, die sie sich einfach nicht wegrasiert hatte.
"Das Glatte ist die Signatur der Gegenwart. Es verbindet Skulpturen von Jeff Koons, iPhone und Brazilian Waxing miteinander", schreibt der Pop-Philosoph Byung-Chul Han in seiner Schrift über die Ästhetik des digitalen Zeitalters. Dessen junge Feministinnen möchten sich nicht damit abfinden, dass die heutige Positivgesellschaft nur das Glatte als schön empfindet. "Das Glatte verletzt nicht. Es heischt Like", hört man ihn beim Lesen beinahe beschwörerisch murmeln.
Vom Pop-Philosophen haben die jungen amerikanischen Feministinnen in ihren pinken Mädchenschlafzimmern vermutlich noch nie gehört. Sie haben am eigenen Leib erfahren, dass nicht glatt rasierte Frauenkörper ganz offenbar Widerstand provozieren, der haufenweise in Kommentaren wie "disgusting" oder "horrible" geäußert werden muss. Bei herabwürdigenden Kommentaren belassen es die erschütterten Instagram-Nutzer meist nicht, sie melden die Fotos. Denn anders ist nicht zu erklären, dass reihenweise Bilder zensiert werden, die nicht gegen die so genannten Community Guidelines des amerikanischen Unternehmens verstoßen.
Bald soll es ein Buch geben, das all die Bilder versammelt, die von Instagram als unangemessene Beiträge gelöscht wurden. Die schwedische Künstlerin, Fotografin und Bloggerin Arvida Byström hat zusammen mit der amerikanischen Künstlerin Molly Soda auf Instagram um Beiträge für das Buchprojekt gebeten. Gemeinsam wolle man herausfinden, was eigentlich als angemessen empfunden werde, wenn es um die Darstellung des weiblichen Körpers ginge, und man wolle sich Gedanken darüber machen, wie Körperbilder online und von der Gesellschaft überwacht werden.
Wenn den digitalen Künstlerinnen vorgehalten wird, das hätte es alles schon einmal gegeben, Feminismus in der Kunst, der weibliche Körper als Objekt der Lust, bei Cecily Brown, Tracey Emin und in der Performance-Kunst, wissen sie, was sie sagen müssen. Ja, die jungen Männer, die jungen Künstler, wenn die ein um das andere Mal mit abstrakter Malerei anfingen, mit Gemälden, auf denen alles und nichts dargestellt sei, dann sei das schließlich auch okay.
Vielleicht übersehen die in pinke Bademäntel gehüllte Künstlerinnen, auf deren Rücken in großen pinken Buchstaben "Bad Bitch" steht, dass der auf Höschen gedruckte Feminismus plötzlich in den sozialen Medien ebenso nach Likes und Aufmerksamkeit heischt wie die Ästhetik des Glatten. Der Erfolg von Petra Collins hat eine Reihe von Klonen hervorgebracht, wie sie durch die Netflix-Serie "Orphan Black" geistern. Nur sitzen hier die Akteure in ihren pinken Mädchenschlafzimmern, die aussehen, als hätten Hello Kitty und Prinzessin Lilifee persönlich bei der Einrichtung mitgeholfen. Und Regina Regenbogen auf ihrem Pferd Sternschnuppe hat noch mehr pinke Farbe vorbeigebracht.
Wenn diese stereotype Girly-Girl-Attitüde allerdings dazu führt, dass Haare an Frauenkörpern bald genauso alltäglich sind wie der Bart im Gesicht des Filterkaffee trinkenden Hipsters, dann sollte diese vierte Welle noch ein wenig mehr überschwappen.