Wenn ein internationaler Tanz-Star wie die Belgierin Anne Teresa De Keersmaeker zum Experimentieren aufgelegt ist, dann ist das ein ungewöhnliches Geschenk. Mit Grundkonstanten ihrer Handschrift ist stets zu rechnen: Klarheit, Repetition und mathematische Strenge. Das Pariser Centre Pompidou, die Londoner Tate oder das New Yorker Museum of Modern Art dienten ihr bereits als Bühne für eines ihrer Stücke. In diese illustre Gesellschaft reiht sich jetzt das Kölner Kolumba ein.
Das Museum des Erzbistums hat für die Tänzer ihrer Compagnie "Rosas" die Räume geleert und versucht sich mit der Ausstellung "Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir" an einem ungewöhnlichen Format. Die acht geplanten Kapitel erstrecken sich über ein ganzes Jahr. Mit De Keersmaekers eigens für die Architektur von Peter Zumthor entwickelten Arbeit "Dark Red" zu beginnen, erweist sich als ein Glücksfall. Nicht weniger als über den Zeitraum von einer Woche hat man sich während der regulären Öffnungszeiten im lichtdurchfluteten zweiten Stockwerk die direkte Konfrontation mit dem Publikum vorgenommen.
Eine Kombination von Dix und Beatles mit Gegenwartsbezug
De Keersmaeker studierte im Vorfeld gründlich die örtlichen Gegebenheiten, um in dem statischen "Körper des Museums", wie sie sagt, bewegliche Körper agieren zu lassen. Wer über die fensterlose Treppe in das erste Stockwerk gelangt ist, bekommt beinahe Flügel, wenn er den Vögeln folgt, die sich in dem schwarz-weißen Kurzfilm von Jan van Ijken zu riesigen Verbänden zusammengeschlossen haben. Neben ihren eigenen Zeichnungen, die De Keersmaekers Notationssystem aus Zirkeln und Ellipsen preisgeben, hat die Choreografin weitere Werke aus der hauseigenen Sammlung ausgewählt, darunter in einem abgedunkelten Kabinett einen Totenschädel aus der Mappe "Der Krieg" von Otto Dix. Dass gleichzeitig in ihrer persönlichen "Hängung" der Beatles-Song "Blackbird" zu hören ist, irritiert zunächst, ist aber mit reichlich politischem Aktualitätssinn platziert. Der Text nimmt Bezug auf die Bürgerrechtsbewegung der USA und die Unruhen im Frühjahr 1968.
Im zweiten Stockwerk trifft man in einer Wandecke zunächst auf Kopien von El Grecos berühmten Apostel-Porträts. Der spanische Vorläufer der Moderne malte sie mit der Bestimmung, im gleichen Raum gezeigt zu werden. Dass nebenan die im Kreis stehenden Tänzer durchsichtige Blusen in just den Kleiderfarben der Apostel tragen, überrascht da nicht weiter. Schon eher, dass ihre kaum merklichen Bewegungen aus winzigsten Gesten bestehen: einem angehobenen Finger, einem ausgestreckten Bein.
Zu den Klängen der "Opera per Flauto" des italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino, live gespielt von zwei Musikern vor Ort, nehmen die Tänzer allmählich Posen an, die an die weltentrückte Körpersprache auf den Gemälden erinnern. Man wähnt sich mitten in einem Tableau vivant und zugleich als Teil eines Schwarms, der urplötzlich den Kreis verlässt und einen einzigen Solisten zurücklässt. Als Mobile aus Fleisch liefert dieser eine wilde Interpretation jener geometrischen Muster, die auf dem weitläufigen Boden aufgezeichnet sind.
Man muss nicht über Stunden vor Ort ausharren, um den Eindruck eines flüchtigen Labors vermittelt zu bekommen. Die Präsenz der Tänzer ist auch schon nach wenigen Minuten überwältigend. Das sich allmählich entwickelnde Geschehen aus nächster Nähe erleben zu dürfen, ist schlicht beglückend, vorausgesetzt, man kreist mit den "Aposteln" und schaut ihrem zirkelhaften Gleiten von allen Seiten zu – und das ganz ohne die üblichen Demarkationslinien.