Über die Bedeutung von Follower-Zahlen

Like mich am Arsch

Immer mehr Kunstwelt-Akteure benutzen Instagram. Doch lässt sich die Bedeutung eines Künstlers oder Kurators anhand von Follower-Zahlen auf einer kommerziellen Foto-Plattform messen?

Anton Corbijn ist verzweifelt. Vielleicht ist er aber auch einfach nur ein bisschen enttäuscht angesichts der Ankündigung von Instagram, die Sortierreihenfolge der Beiträge werde sich in Zukunft ändern. Das Wort Algorithmus fiel, da ist der Kopf schnell beim Zuckerberg. Und seinem Unternehmen Facebook, zu dem Instagram seit 2012 gehört. Und da Facebook generell schlecht ist, man darf ja nicht einmal irgendwas mit weiblichen Brustwarzen zeigen, ist sicherlich auch schlimm, was Instagram von Facebook übernimmt, in diesem Fall also der Algorithmus.

Beiträge sollen nicht mehr wie bisher chronologisch angezeigt werden, ein Algorithmus entscheidet fortan über die Reihenfolge. Das führte in den vergangenen Tagen zu einem Aufschrei auf Instagram, der mindestens so laut gewesen wäre, wie fünf Fußballstadien voller Fans mit Vuvuzuelas, die zwei Tage durchtröten – wäre er denn zu hören gewesen. Anton Corbijn warf sich also tapfer in die Menge und trötete mit. Wie fast alle copy und pastete er einfach eine Nachricht, die mit den Worten "Dear Instagram" beginnt. Das Folgende kommt also von Herzen.

@Instagram #dontchangemyfeed repost if you feel likewise

A photo posted by Anton Corbijn (@antoncorbijn4real) on

 

Seine Follower, knapp 58.000 an der Zahl, bat er, es ihm gleichzutun, sollten sie empfinden wie er. Instagram solle den chronologischen Bilderstrom beibehalten, sonst würden viele Künstler in der bald über alle hereinbrechenden Flut untergehen. Und sie, die Künstler, sie seien doch so abhängig von der Sichtbarkeit, zu der Instagram ihnen bisher jedenfalls verholfen habe. Aber diese Nachricht, die teile er nicht aus Eigennutz, sondern für das Wohl all dieser Künstler. So in etwa seine Worte, die wie gesagt einem dieser Kettenbriefe entstammen, wie sie gerne mal auf Facebook geteilt werden, wenn angeblich wieder die Datenrichtlinien geändert wurden und die Nutzer sich rechtlich absichern wollen. Hey Facebook, mein geistiges Eigentum, nicht Deins. Und jetzt eben: Hey Du, Instagram, Du gehst kaputt, wie MySpace vor Dir, und wir Künstler mit Dir.

Dass Anton Corbijn, der Filmemacher und Fotograf, der David Bowie, U2 und Joy Division vor der Kamera hatte, sich solidarisch zeigt, ist nett. Ihm selbst kann es gewiss herzlich egal sein, ob ihm nun 100 oder 100.000 Menschen auf Instagram folgen. Er selbst muss sich außerdem keine großen Sorgen machen, dass er etwas auf der Plattform verpasst. Er folgt insgesamt vier Leuten, einer überschaubaren Menge, zwei davon, also zwei Accounts davon, gehören seiner Lebensgefährtin. Und die wird ihm sicherlich nachts ins Ohr flüstern, was sie den Tag über Berichtenswertes erlebt hat.

Irgendwie wünscht man jetzt all diesen Künstlern, wer auch immer sie sein mögen, dass Constant Dullaart kommt, noch einmal 5.000 Dollar in die Hand nimmt, noch einmal 2.5 Millionen Follower kauft und sie noch einmal verteilt, auf die Künstler, die den Kettenbrief auf Instagram geteilt oder zumindest darum gebeten haben, dass man für ihre Beiträge die Benachrichtigungsfunktion einstellt. Viel hilft bekanntlich viel. Das gilt inzwischen auch für Follower auf Instagram, sogar wenn es sie eigentlich gar nicht gibt. Wie das eben so ist mit gekauften Followern, die nichts anderes als Fake-Profile sind. Der Konzeptkünstler Constant Dullaart hatte im Oktober 2014 auf wichtige Personen aus der Kunstwelt, auf Galerien, Künstler und Magazine 2.5 Millionen Follower verteilt, so dass all diese Accounts auf 100.000 Follower kamen. Alle sollten sie gleich wichtig sein.

@richardprince4 100k we can be equal

A photo posted by aart (@constantdull) on

 

Jerry Saltz, Klaus Biesenbach, Jeff Koons, Amalia Ulman, Ai Weiwei, Hans Ulrich Obrist, Stefan Simchowitz, die Gagosian Gallery und das dis Magazine. Das hat sogar so gut geklappt, dass kaum jemand mehr von dieser Intervention weiß. Yilmaz Dziewior, der Direktor des Museum Ludwig, führt Biesenbachs Followerzahl auf die sexy klingende Beschreibung in dessen Profil auf Instagram zurück. "Director, MoMA PS1 & Chief Curator at Large, The Museum of Modern Art, New York." Biesenbach hat natürlich auch so viele Follower, weil das MoMA mit seinen inzwischen 1,4 Millionen Followern gelegentlich seinen Chief Curator verlinkt und der außerdem gern Selfies macht, weil das auf Instagram dazugehört. Wie kürzlich mit Michael Stipe, der mit seinem sehr langen und sehr grauen Rauschebart offenbar ein Herz für Künstler, Musiker und Kuratoren hat.

 

Das alles ist gut für die Betroffenen, schlecht für den Künstler Constant Dullaart, noch schlechter für die Künstler, die nicht zu den Betroffenen zählen und vielleicht nichts von all dem wissen, aber unbedingt so viele Follower haben wollen wie Ai Weiwei. Der hat bei seinen über 220.000 Followern im Schnitt nur 800 Likes, Amalia Ulman hat bei ihren fast 120.000 Followern, wenn es hoch kommt, ebenfalls nur 800 Likes im Schnitt. Man sieht, da stimmt etwas nicht, aber so genau schaut keiner hin. Die Zahl der Follower klingt beeindruckend und sie tut das so sehr, dass der Kopf offenbar in den Bewunderungsmodus springt. 100.000 Follower auf Instagram? Das ist ja ein Ding, toll! Guter Mann, gute Kunst.

Der Künstler selbst, Constant Dullaart, hat kein Verständnis dafür, dass sogar die "New York Times" in der Berichterstattung über Künstler und Galeristen auf Instagram mit der Gleichung "Je größer das Publikum, desto wertvoller der künstlerische Beitrag" arbeitet. Im Vorfeld zu einem Bericht, der im August 2015 erschienen war, sprach eine Journalistin mit ihm, er erzählte ihr von seiner Manipulation, nannte Namen, schickte Screenshots, nur fand nichts davon im Text über die wachsende Bedeutung von Instagram für den Kunstmarkt Erwähnung. Also schrieb er später selbst darüber. Natürlich mit weit weniger Resonanz als ein Hinweis in der "New York Times" über seine künstlerische Intervention zur Folge gehabt hätte, und eine Infragestellung der inzwischen gängigen Praxis, die Bedeutung eines Künstlers oder Kurators anhand von Zahlen auf einer kommerziellen Fotosharing-Plattform bemessen zu wollen, die zudem nachweislich gefälscht sind.

Da ist es nur gut, dass es inzwischen Snapchat gibt, das verspricht für Erleichterung zu sorgen, denn es kommt ganz ohne sichtbare Zahlen aus. Keiner weiß, wer wem folgt und wessen Snaps wie oft und von wem angesehen und via Chatfunktion kommentiert werden. Paul Ripke, der Weltmeister-Fotograf ist unter dem Namen @ripky schon da und isst dort genüsslich mampfend sein Butterbrot. Oder der Magnum-Fotograf Alec Soth, @littlebrownmush, der am liebsten Selfies im Flugzeug macht. Selbstdarstellung um der Selbstdarstellung willen also. Und nicht als Währung, wenn es um die Ökonomie der Aufmerksamkeit in einem sozialen Fotonetzwerk geht.