Es ist ein kalter Freitagabend, im C/O Berlin am Bahnhof Zoologischer Garten eröffnen parallel zwei Fotoausstellungen: "Das letzte Bild" und "Nobuyoshi Araki: Impossible Love". Vor dem Amerika Haus steht im strömenden Regen eine kleine Gruppe junger Frauen, die Schilder hochhalten: "NO ARAKI" und "Are you sure your knowledge is correct?"("Bist du dir sicher, dass dein Wissen stimmt?"). Einige Passanten und potentielle C/O Berlin-Besucher sind stehengeblieben und hören den Ansprachen zu. Direkt vor dem Eingang stehen drei Polizisten, ein wenig unschlüssig angesichts der etwa 20 jungen Frauen, die so gar nicht bedrohlich wirken.
Die Ausstellung "Das letzte Bild" widmet sich Fotografien mit dem Thema Tod; "Impossible Love" auf eine gewisse Weise auch. Eines der bekanntesten Bilder des mittlerweile schwerkranken Araki zeigt seine 19 Jahre später verstorbene Frau 1971 schlafend in einem Boot. "In Japan glauben wir, dass man zwischen Leben und Tod den Fluss Sanzu überquert", sagt Araki im Monopol-Interview mit Silke Hohmann. "Jeder interpretierte das Foto als die Überquerung des Sanzu, den Weg ins Reich der Toten. Wenn ich aber heute dieses Bild ansehe, dann zeigt es für mich einen Embryo, der erst noch geboren wird. Für mich geht es in diesem Foto um das Leben, nicht um den Tod."
Eigentlich aber ist der 78-Jährige weltweit für seine Aktfotografie bekannt. Besonders beliebt sind seine Kinbaku-Fotos. Kinbaku ist eine erotische Fesseltechnik aus Japan. Das C/O Berlin möchte den Fokus ein wenig vom kleinen Tod weglenken – hin auf das große Leben des Fotografen. Vielleicht liegt das nicht zuletzt an den Stimmen, die sich an Arakis Frauenbildnissen stören und die in einem Jahr, in dem das Thema sexuelle Übergriffe besonders stark diskutiert wird, auch mehr beachtet werden.
Eine dieser Stimmen ist zum Zeitpunkt der Eröffnung besonders laut zu hören: Hwayong Shin ist Teil der jüngst gegründeten "Angry Asian Girls Association", die laut eigener Angaben "Widerstand leistet gegen sexuelle Ausbeutung im Kunstbetrieb" und die zu der Demonstration vor dem C/O Berlin aufgerufen hat.
Hwayong Shin spricht ins Megafon und erzählt auf Englisch von ihren Erfahrungen: "Ich bin aus Südkorea nach Deutschland gekommen, wegen der sexuellen Diskriminierung. Ich war in Frankfurt, aber auch da war es nicht besser. Wieder gab es sexuelle Diskriminierung gegen uns. Sie existiert überall. Darum kam ich nach Berlin. Ich glaube, Berlin ist eine weniger rassistische und sexistische Stadt. Aber jetzt verstehe ich, dass das nur für weiße Frauen gilt, nicht für asiatische Frauen wie uns." Das sitzt. Sie fährt fort: "Ich bin weggerannt aus Südkorea. Und ich bin weggerannt aus Frankfurt. Und jetzt bin ich hier und ich kann nirgends mehr hin. Deshalb stehe ich heute hier und deshalb äußere ich mich hier, obwohl ich nicht so eine gute Demonstrantin bin." Applaus.
Das C/O Berlin hatte auf die Ankündigung der Demonstration und die Forderungen der Gruppe mit einem Statement reagiert: "Arakis Werk emotionalisiert und polarisiert – damals wie heute, in Japan wie in Deutschland. Kritik an Künstler und Werk im Zusammenhang mit der international geführten MeToo-Bewegung nimmt C/O Berlin sehr ernst. Die Besucher*innen der Ausstellung sind eingeladen, ihre Meinung vor Ort ins Gästebuch zu schreiben oder online mit dem Hashtag #arakidebate an der Diskussion teilzunehmen." Die Gruppe selbst lud Felix Hoffmann, Chefkurator des C/O Berlin, zum Gespräch "zur historischen und aktuellen Rolle von Fotografie" ein.
Shin hält davon nichts. "Wir wollen gar nicht darüber diskutieren, ob Arakis Fotografie Kunst ist oder nicht", sagt sie im Gespräch mit Monopol. "Diese Diskussion wurde schon geführt. Das war in den 90ern und in den frühen 2000ern. Demonstrationen wie diese hier gab es schon 2003, als eine große Araki-Ausstellung in Südkorea stattfand. Feministinnen organisierten eine Demonstration mit dem Titel 'Anti Araki'. Seine Kunst ist unter Westlern sehr beliebt und wir denken, dass das daran liegt, dass sie die Bilder nur als Bilder sehen, als würde man sich eine Landschaft ansehen. Aber wenn wir auf diese Fotos blicken, dann sehen wir uns selbst. Wir sehen uns, die wir mit Geschlechterungerechtigkeit und sexuellen Übergriffen zu kämpfen haben. Diese Ausstellung sollte nicht eröffnen, darum sind wir auch nicht bereit, zu einem Gespräch ins C/O Berlin zu kommen. Damit würden wir nur Werbung für die Ausstellung machen. Darum sagen wir auch: Sich die Ausstellung anzusehen ist Komplizenschaft."
Shin spricht das japanische Model Kaori an, das im April mit Anschuldigungen gegen Araki viel Aufmerksamkeit erregte und nur unter seinem Vornamen zu finden ist. In ihrem Blog beschreibt die ehemalige Araki-Muse ihr Verhältnis zu dem Fotografen und dass sie nie, wie oft behauptet wird, ein Paar gewesen seien. Aber dass sie auf gewisse Weise abhängig gewesen sei, zum einen emotional, aber auch, weil er nie bereit gewesen sei, einen ordentlichen Vertrag mit ihr aufzusetzen. Oft sei sie nicht bezahlt worden, schreibt Kaori.
"Wie kann es sein, dass im Jahr 2018 so eine wichtige Institution für Fotografie einem Künstler wie Araki eine Ausstellung widmet?", fragt Hwayong Shin. Ich entgegne, dass ja keine Bilder von Kaori selbst in der Ausstellung gezeigt werden. Die Aktivistin schüttelt den Kopf. "Sein Ruhm beruht doch zum Teil auf den Fotografien von Kaori."
Und was hält Shin von westlichen Frauen wie Lady Gaga, die sich von Araki in Bondage-Situationen fotografieren lassen und für die das etwas Aufregendes, "Exotisches" ist? "Ich mache ihnen keine Vorwürfe", sagt sie. Dann überlegt sie kurz. "Als ich an der Universität war, hatte ich Bücher über Araki, weil ich gelernt habe, dass diese Art der Fotografie eben auch Kunst ist. Wenn man sagt: 'Das ist keine Kunst', dann ist man plötzlich die Dumme, die keine Ahnung hat. Ich verstehe, dass es Frauen gibt, die mit Araki arbeiten möchten. Aber das Problem ist, dass für einige Frauen diese Art Kunst tatsächlich eine Bedrohung darstellt. Als seien sie Werkzeuge – oder eben eine schöne Landschaft, die es auf einem Foto festzuhalten gilt."