Schulden und Oliven
Angela Merkel war medienwirksamer Stammgast bei den Opernfestspielen von Bayreuth, bei der Documenta in Kassel ließ sie sich dagegen nicht blicken. Protagonistin der Weltkunstschau wurde sie trotzdem: Zur Eröffnung der Documenta 14 in Athen inszienierte die argentinische Künstlerin Marta Minujín im April 2017 eine Performance mit einem Merkel-Double. In einer großen Geste zahlte Minujín der "Kanzlerin" die griechischen Schulden zurück - die Währung waren schwarze Oliven.
Dieser eine Satz
Der Satz, der vielen Menschen aus der Amtszeit von Angela Merkel im Gedächtnis geblieben ist: "Wir schaffen das". Der Slogan, der sich auf die Aufnahme von Geflüchteten während der humanitären Krise im Sommer 2015 bezieht, war für einige ein Mantra der Menschlichkeit, für andere die Essenz einer verfehlten deutschen Migrationspolitik. Das Künstlerduo M+M widmete der Merkel-Rede mit der berüchtigten Passage sogar eine ganze Installation. Die beiden wollten der Vereinfachung und der Vereinnahmung dieser Worte etwas entgegen setzen und tapezierten einen Raum mit der kompletten Ansprache, die auch die komplexen Umstände der Aussage thematisiert. Im Monopol-Interview sagten die beiden Künstler 2019, dass Merkel ein kompliziertes Sujet für die Kunst sei - wegen ihrer Undurchsichtigkeit und dadurch auch Unangreifbarkeit.
Allerdings wurde "Wir schaffen das" auch immer wieder gegen Merkel verwendet. Als die Stadt Kassel das "Fremdlinge und Flüchtlinge Monument" von Olu Oguibe ankaufte, wurde das Werk mit dem viersprachigen Bibelwort "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt" vor allem von rechts angegriffen - unter anderem von der AfD. Die "Neue Zürcher Zeitung" bezeichnete das Werk, das zur Empathie mit Geflüchteten aufruft, despektiertlich als "Merkel-Monument".
Dieses eine Bild
Als Bundeskanzlerin wurde Angela Merkel naturgemäß häufig porträtiert. Die Fotografin Herlinde Koelbl hat die Politikerin sogar über 30 Jahre begleitet. Ihr Langzeitprojekt war als Ausstellung im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin zu sehen und ist als Bildband erschienen.
Das eine Kunstwerk, das von Merkel bleiben wird, hat 2017 jedoch die US-Künstlerin Elizabeth Peyton gemalt. Diese schuf das zarte Aquarell als für sie sehr außergewöhnliche Auftragsarbeit für die US-"Vogue", als Trump gerade aus dem Kyoto-Abkommen ausgetreten war. "Jetzt ist sie die Anführerin der freien Welt," dachte die Künstlerin damals, wie sie später in einem Monopol-Interview erzählte. "Als der Anruf kam und jemand mich fragte, ob ich ihr Porträt malen könnte, weil sie zu beschäftigt sei, um sich fotografieren zu lassen, sagte ich ja. Eine Ehre und Herausforderung. Es ist eine Collage von Bildern aus über zehn Jahren, ich habe viele Videos von ihr angesehen. Sie hat viel zu sagen, und sie hat sehr humane Anliegen. Darin wollte ich sie gerne irgendwie unterstützen."
Hoch zu Ross
Historisch bedeutende Männer auf Pferden finden sich als Statuen auf den meisten repräsentativen Plätzen dieser Welt. Frauen gibt es im Genre des Reiterstandbildes nur sehr selten. Denn erstens hatten diese lange keinen Zugang zu Formen der Macht, die eine solche Würdigung nach sich ziehen könnten. Und zweitens war auch das Reiten selbst, zumal im frontalen, breitbeinigen Sitz, in westlichen Gesellschaften für Frauen lange verpönt.
2021 bekam die Kunstform Reiterinskulptur jedoch einen prominenten Neuzugang, denn damals wurde im bayerischen Etsdorf ein lebensgroßes Betondenkmal aus dem 3-D-Drucker enthüllt, das die damals noch amtierende deutsche Kanzlerin Angela Merkel hoch zu Ross zeigt. Verantwortlich dafür war der Künstler Wilhelm Koch, der unter anderem als Leiter des Amberger Luftmuseums bekannt und auch als Verleger tätig ist.
Selbst in dieser prestigeträchtigen Pose zu Pferd wirkt die langjährige Herrscherin der Bundesrepublik Deutschland in Kochs Ausführung eher bescheiden als pathetisch. Die Hände liegen in klassischer Raute im Schoß, ihre unheroische Ausstattung besteht aus der bekannten schlichten Sakko-Kanzlerin-Uniform, und auch das Reittier ist ohne Sattel und Zaumzeug schlicht und schmucklos. Das Ende dieses Kunstwerks war ebenfalls wenig rühmlich. Im September 2023 brach die Betonskulptur zusammen.
Die Kanzlerin und der Nolde im Giftschrank
Normalerweise ist die Kunst in Politikerbüros vor allem ein netter Fotohintergrund. In der Amtszeit von Angela Merkel war das anders, und ihr Wandschmuck wurde Gegenstand von bundesweiten Debatten. 2019 gab die Kanzlerin zwei Bilder des Malers Emil Nolde aus ihrem Amtszimmer zurück, nachdem eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof den Fokus erneut auf den Künstler im Nationalsozialismus gerichtet hatte.
Zwar galten die Expressionisten als "entartet" und Bilder des Malers wurden beschlagnahmt, gleichzeitig war Nolde tief ins NS-System verstrickt und äußerte sich wiederholt antisemitisch. Nach dem Krieg wurde dann die Legende gestrickt, der Künstler habe im Verborgenen und in "innerer Emigration" seine "verbotenen Bilder" gemalt. Merkel musste also nicht nur ein nationales Kunstaushängeschild loslassen, sondern auch ihr Bild auf einen persönlichen Lieblingskünstler neu justieren. Schon als Kind habe sie Nolde gemocht, sagte Merkel im Zuge der Diskussion.
Die Corona-Kanzlerin
In die Amtszeit von Angela Merkel fällt natürlich auch die Zeit des Ausnahmezustands während der Corona-Pandemie. Kulturschaffende waren von den Lockdowns von Museen, Veranstaltungshäusern und Galerien besonders betroffen, vielen freiberuflichen Künstlerinnen und Künstlern brach die gesamte Lebensgrundlage weg. Angela Merkel setzte sich einerseits für die Coronahilfen für Kreative ein. Der Forderung vieler Museen, die gut regulierbaren und gelüfteten Kulturhäuser als soziale Ausweichorte zu öffnen, blieben jedoch unerfüllt. Institutionen blieben monatelang geschlossen. In virtuellen Runden traf sich Merkel auch mehrfach mit Kulturschaffenden. Trotzdem blieb bei vielen Künstlerinnen und Künstlern ein Groll zurück. So lehnte Hito Steyerl 2021 das Bundesverdienstkreuz wegen des Umgangs der Politik mit Kulturschaffenden während der Corona-Zeit ab. Ihr Vorwurf: Es habe sich erwiesen, "dass die Bereiche Bildung und Kultur in der Krise am wenigsten zählen."
Die Lücke in der Galerie
Ein Bild von Angela Merkel fehlt noch: das für die von Helmut Schmidt initiierte "Kanzlergalerie" im Bundeskanzleramt in Berlin. Darin hängt je ein Gemälde von allen ehemaligen Regierungschefs; die Künstler für die Porträts können die Politiker selbst aussuchen (bisher sind sowohl alle Kanzler als auch alle Maler Männer). Auch knapp drei Jahre nach Ende ihrer Amtszeit hat Angela Merkel jedoch noch kein Bild in der Galerie. Wer die Kanzlerin malen könnte, ist ebenfalls unklar. Ein paar Vorschläge haben wir hier gesammelt.
Auch wenn es noch kein offizielles Porträt für die deutschen Annalen gibt, hat die Ex-Kanzlerin jedoch schon jetzt ihre ganz eigene Ästhetik geschaffen, die im Land nachwirkt. "Merkelcore" kann man das Phänomen nennen, das sich aus solider Langweiligkeit und Pragmatik zusammensetzt. Einen Essay zum Erbe des Merkeligen in Deutschland lesen Sie hier.