Andreas Mühe in Berlin

Komm kuscheln, Bunker!

Andreas Mühe als Kind
Foto: privat

Andreas Mühe als Kind

Andreas Mühe, eigentlich für seine Foto-Arbeiten bekannt, hat das Kunsthaus Dahlem mit 6000 Plüschbunkern geflutet. Das Erbe der Kriegsbauten führt dabei vom D-Day über die Europawahl bis zu DDR-Spielplätzen

Um die 6000 sind es. So viele Bunker in verschiedenen Formen, Größen und Grautönen hat der Künstler Andreas Mühe für seine Ausstellung "Realer Raum der Geschichte" im Kunsthaus Dahlem arrangiert. Elf verschiedene Bautypen sind hier vertreten, von denen man einige im Berliner Stadtbild schon häufiger gesehen haben dürfte.

6000 Bunker, die beinahe die gesamte Fläche der Ausstellungshalle bedecken und einen Anblick bieten, auf den man nicht vorbereitet war, wenn man vor allem Mühes fotografische Arbeiten im Kopf hat. Diese Bilder, deren Atmosphäre sich im Gedächtnis einprägt, als Stempel eines vielschichtigen Kunst-Erlebnisses: schön, verstörend, ernst und zuweilen auch lustig, immer fesselnd. 

Nun wird man im Kunsthaus Dahlem zwar von einer Fotografie empfangen, die eingangs auf ein Wandpanel gedruckt ist. Sie zeigt Kinder, die in Kriegsruinen spielen. Doch hierbei handelt es sich eben nicht um eine von Mühes präzise arrangierten Bildkompositionen, sondern um eine historische Aufnahme. Dahinter wird der Blick frei auf die raumgreifende Installation. 

Einfach fallen lassen

Wie man sich dieser Masse aus Bunkern am besten nähert, demonstriert Mühe ein paar Tage vor der Eröffnung selbst am besten: Einfach fallen lassen. Man landet weich, denn die Repliken der Beton-Monster sind allesamt aus Plüsch, je nach Modell ergänzt um samtige Partien und Filz-Applikationen. Die größten haben ungefähr die Maße einer Archivbox, die kleinsten passen in eine Erwachsenenhand. Zusammen ergeben sie eine graue, unebene Landschaft, aus der drei farbige Konstruktionen ragen: Es handelt sich um originalgetreue Abgüsse von DDR-Spielplatzelementen, in denen Mühe als Kind herumtobte. 

Man liegt also dort, den Kopf auf einem kuscheligen Generalitätsbunker gebettet, in der Hand einen drolligen Einmann-Bunker – früher auch Splitterschutzzelle genannt. Zwischen den Momenten beinahe kindlicher Freude findet man zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit diesen Bauwerken, die als unverwüstliche Reste der Vergangenheit noch heute überall in Europa zu sehen sind: in zahlreichen europäischen Städten, in der Bretagne, am Ärmelkanal, entlang des Atlantiks von Norwegen bis zur spanischen Grenze. 

Manche sind Touristenattraktionen oder Partylocations geworden, andere beherbergen Kunstsammlungen und Galerien und dienen als Unterbau luxuriöser Wohnungen. Andere drängen der Landschaft, in der sie stehen, ihre Präsenz auf. Diese ist ein Überbleibsel des Krieges, das die Zeit überdauert. Man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob diese aus einer anderen Zeit stammenden Schutzräume den heutigen Kriegs- und Waffentechniken etwas zu entgegnen hätten. 

"Der D-Day war das größte Geschenk, das Europa gemacht wurde"

Verbirgt sich also unter all der Flauschigkeit eine dystopische Zeitdiagnose? Im Gegenteil. Denn Mühe, dessen Auseinandersetzung mit den Bauten durch seine Reisen an den französischen Atlantik und durch die Lektüre von Paul Virilios "Bunkerarchäologie" angeregt wurde, möchte mit seiner Installation an den D-Day erinnern. Die Landung der Alliierten in der Normandie, und somit der Anfang vom Ende des Zweiten Weltkriegs, jährte sich am Tag der Ausstellungseröffnung, dem 6. Juni, zum 80. Mal. 

"Der D-Day war das größte Geschenk, das Europa gemacht wurde. Es ist der Beginn des demokratischen Europas", so Mühe. Dem Zusammenschluss der Alliierten, der gemeinsamen Entscheidung, den Faschismus zu bekämpfen und dem gewaltigen Kraftakt, der hierfür aufgebracht wurde, hat Mühe seine Arbeit gewidmet. Auch heute brauche es wieder gemeinsame Entschlossenheit, um dem Faschismus entgegenzutreten. Glücklicherweise müssen wir uns dazu nicht durch einen Atlantikwall kämpfen, dafür aber die Demokratie stärken, beispielsweise durch unsere Stimme bei der Europawahl, die am 9. Juni stattfindet.

Begonnen hat Mühe die Arbeit an der Installation vor drei Jahren, die Wahl des neuen Mediums sei dabei dem Objekt der Auseinandersetzung, dem Bunker, geschuldet. "Ich jagte diese grauen Formen, damit sie mir einen Teil ihres Geheimnisses preisgäben", heißt es bei Virilio und damit ist auch Mühes Drang beschrieben, diese Bauwerke zu verstehen, diese "von Menschen geschaffenen Fremdkörper", wie er sie bezeichnet. Den kulturphilosophischen und kunsthistorischen Kontext zu seinem "Bunker-Bällebad" bietet eine Präsentation in einem zweiten Ausstellungsraum. Hier sind Werke unterschiedlicher Künstlerinnen und Künstler zu sehen, die die Materialität, Historizität und soziale Bedeutung von Bunkern untersuchen. 

Künstler als Geschichtenheraufbeschwörer

Ob im Medium Fotografie oder, wie nun erstmalig, bei der Arbeit im Raum: Mühe bleibt seiner Rolle als Geschichtenerzähler treu. Oder besser: als Geschichtenheraufbeschwörer. Er bespielt den gesamten Ort, bindet ihn in eine Dramaturgie ein, die die Besuchenden durch mehrere Akte führt. Da ist das Durchqueren der Bunker-Landschaft, der etwas unbeholfene Gang, das Liegen, Tasten, Fühlen. Dann der Aufstieg auf die Empore und der Blick auf die dort oben installierten großformatigen Fotografien von Bunkerbeschussplatten. Von hier der Blick nach unten auf den gesamten Raum: das ehemalige Staatsatelier des Bildhauers Arno Breker, der die nationalsozialistische Ideologie in Stein meißelte. Eine monumentale Architektur, die jetzt mit 6000 plüschigen Bunkern gefüllt ist. 

Von oben sieht das alles fast wie ein überdimensionales abstraktes Bild aus. Wieder unten schließt eine Fotografie von Barbara Klemm den Raum ab. Zu sehen ist ein junges Mädchen, das in einer Sporthalle an Ringen in der Luft hängt. Unter ihr Schaumstofffetzen als Aufprallschutz. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst bis ängstlich. Die Aufnahme spannt inhaltlich einen Bogen zu den Spielplatzelementen: "Von der Kita wurde ich zwei Mal die Woche zur Leichtathletik abgeholt – vom Staat so vorgeschrieben", so Mühe, und weiter: "Heute blicke ich auf das Klettergerüst und erstaune, wie sehr es einem Bunker ähnelt. Erziehung, Spiel und Sport zum Sieg!"

Spaß und Ernst, Leichtigkeit und Schwere – von diesen Gegensätzen ist das Erlebnis der Installation geprägt. Da ist der Blick in die Vergangenheit, der zwei Diktaturen passieren muss, an Dunklem nicht vorbeikommt, aber auch Auftrieb geben kann. Gemeinsame Anstrengung macht Gutes möglich. Und da ist die Einladung an die Besuchenden (wieder) zum homo ludens zu werden, sich fallen zu lassen und im Spiel neue (kulturelle) Möglichkeiten zu erproben, die wiederum Zukunft möglich machen.