Andrea Pichl gelingt es in ihrer Ausstellung "Wertewirtschaft", Joseph Beuys’ Arbeitsgruppe "Wirtschaftwerte" vom Kopf auf die Füße zu stellen - so, wie es schon Karl Marx mit dem Denken von Hegel getan hat. Dieser kritische Perspektivwechsel deutet sich schon im klug gewählten Titel der Ausstellung an, der das Beuys-Werk zitiert und zugleich umkehrt: "Wertewirtschaft".
Beuys stellte damals Mitte der 1970er-Jahre Produkte des täglichen Bedarfs aus, die aus der ehemaligen DDR stammten. So wollte er diese Waren, etwa Nahrungsmittel und einfache Haushaltsgeräte, mit ihren schlicht gestalteten Verpackungen der vermeintlich glanzvollen Überflussgesellschaft des kapitalistischen Westens gegenüberstellen und als "Energiespeicher" idealisieren, die angeblich keinen monetären Mehrwert erzielen sollten.
Die in der DDR und Moskau aufgewachsene Andrea Pichl möchte erklärtermaßen "die Geschichte der DDR nicht verklären". Und so deckt sie in ihrer fulminanten Präsentation auf, dass Beuys damals übersehen hat, dass es in der DDR sehr wohl eine "Wertewirtschaft" gegeben hat. Zweck des Unternehmens: Es sollten ausgesuchte Waren gewinn- und devisenbringend an den Westen verkauft werden. Als Beispiel hierfür stehen im Hamburger Bahnhof jetzt vier schwarz gestrichene Modelle von kleinen, ja beengten Bungalows in einfacher Modularbauweise. Diese wurden in dem sogenannten Genex-Katalog angepriesen und im Westen als Geschenke für befreundete DDR-Bürger zum Verkauf angeboten. Bezahlt wurden diese Gaben, dazu zählten auch Lebensmittel und Kleidung, Motorräder und Autos, dann mit Devisen. Die Waren aber blieben in der DDR.
Einblicke in die banale Ästhetik der Stasi
In Pichls Ausstellung dienen besagte Bungalows nicht nur als skulpturale Verweise auf das kapitalträchtige Genex-System. Sie sind auch begehbare Mini-Ausstellungshäuser, die Themenkomplexe wie die Geschichte der Entwicklung ihrer Architektur, die alltägliche Nutzung modularer Bauten auch nach der DDR-Zeit und - den Blick auf das gesellschaftspolitische Umfeld öffnend - das Interieur in der damaligen Stasi-Zentrale in Ost-Berlin behandeln.
Letzteren Aspekt diskutiert die Künstlerin hier mit kleinformatigen Zeichnungen nach eigenen Fotos, die in fast schon poetischer Präzision von der muffig-piefigen Ausstattung des Stasi-Hauptquartiers erzählen. Die Banalität dieser Ästhetik täuschte dann geschickt über die beinahe omnipotente Macht dieses autoritären Überwachungsapparates hinweg. Auf einem der Blätter ist eine kleine Skizze zu sehen, die genau vorschrieb, wie der Frühstücktisch von Stasi-Chef Erich Mielke jeden Morgen von den Bediensteten eingedeckt werden musste – penible Kontrolle rund um die Uhr und bis ins letzte Detail, vom Beuys'schen Credo des "selber denken!" keine Spur.
Ein gut 100 Quadratmeter großer Vorhang schließlich trennt die sehenswerte Ausstellung im Hamburger Bahnhof so, dass je zwei Bungalows rechts und links in exakt geplanter Spiegelung aufgestellt sind. Dieser nicht "eiserne", sondern textile Vorhang setzt sich aus DDR-Stoffen zusammen, deren ebenfalls recht spießige Gestaltung ästhetisch dem braven Mitlaufen der "systemtreuen" Bürger des "Arbeiter- und Bauernstaates" entspricht. Übrigens: Die Textilindustrie im Osten, so nachzulesen im klug gemachten Katalog, war eine der ersten Betriebssysteme, die die Treuhand nach der Wiedervereinigung 1990 eingestellt hat.