Einmal, im Mai 1973, drehte sie mit versteckter Kamera. Aber der Super-8-Film "Moffitt Building Piece" war nicht als Streich gemeint. Ana Mendieta hatte auf einem Trottoir in Iowa City Tierblut und Fleisch verteilt. Eine Urban-Art-Installation, deren Urheberin sich in einem parkenden Auto duckte. Passanten, denen die Blutlache auffiel – und sie musste auffallen –, hätten eine Mordtat assoziieren können. Aber der Kunst-Tatort wird kaum beachtet. Wenige bleiben einen Moment davor stehen, eine elegante Dame piekst kurz mit ihrem Regenschirm in die rote Pfütze.
Früh habe sie Blut als Material genommen, sagte Ana Mendieta 1980. "Es hat etwas sehr Mächtiges und Magisches an sich. Ich empfinde es nicht als negative Kraft." In der fesselnden Soloschau mit Mendietas Filmen geht es in einem der Obergeschoss-Räume im Gropius Bau nur um Blut. Mendieta filmte sich in Großaufnahme, während ihr Blut auf den Mittelscheitel tropfte und am Gesicht herabrann ("Sweating Blood"). Sie schrieb mit Blut "There is a devil inside me" auf ein weißes Scheunentor ("Blood Sign"). Und sie färbte ihren nackten Körper von Kopf bis Fuß blutrot. Der Super-8-Streifen "Blood Inside Outside" wird in Berlin erstmals öffentlich gezeigt – einer von insgesamt 23 Filmen, die in sechs Themenräumen in Dauerschleife projiziert werden. Mendieta buddelt sich in archäologischen Ausgrabungsstätten ein. Oder sie malt ihre Körperumrisse – mit Blut oder Schwarzpulver, das sie dann in Brand setzt.
Die Künstlerin, 1948 auf Kuba geboren und 1985 unter ungeklärten Umständen in New York umgekommen, zeichnete, fotografierte, schuf Skulpturen und Installationen. Vor allem aber fusionierte sie Land-Art und Performance, und dieses Verfahren, das sie "earth-body work" nannte, wäre ohne die Filme kaum überliefert. In einem mehrjährigen Prozess wurden die Materialien an der Universität von Minnesota hochauflösend digitalisiert. Nach mehreren Stationen in den USA ist ein repräsentativer Ausschnitt aus dem Werk im Gropius Bau zu sehen. "Covered in Time and History" ist die erste von der neuen Direktorin Stephanie Rosenthal verantwortete Ausstellung.
Der Titel geht auf Mendieta selbst zurück. 1973, während ihrer ersten Performance legte sie sich auf eine aztekische Grabstätte in Mexiko und ließ sich mit weißen Blüten zudecken. "Es war, als würden sich Zeit und Geschichte über mich breiten", so berichtete sie später.
Howard Oransky, einer der amerikanischen Kuratoren der Schau, weist auf das Migrantenschicksal der Künstlerin hin. "Aus ihren Werken spricht der Wunsch nach Zugehörigkeit. Im Kontext heutiger Migrationsströme gewinnt ihre Kunst eine besondere Aktualität", sagt Oransky in Berlin. 1961 hatte Mendietas Vater, ein Gegner Fidel Castros, seine Töchter Raquelín und die zwölfjährige Ana in die USA bringen lassen. Die Mädchen sind sicher, doch ein echtes Zuhause finden sie nicht. Im Film "Mirage" (1974) zeigt sie ihren Trennungsschmerz. Die Performerin taucht in einem Spiegel auf, mit Babybauchattrappe, schneidet mit einem Messer hinein und reißt sich büschelweise Hühnerfedern aus dem Bauch. Unbändige Wut sei ihre Triebkraft, sagte Mendieta einmal: "Wenn ich nicht die Kunst entdeckt hätte, wäre ich wohl kriminell geworden."
An der Universität von Iowa, wo sie ab 1967 studiert, entwickelt sie ihre Kunstpraxis, für die sie sich bei diversen spirituellen Traditionen bedient, um rituelle Elemente in die Kunst einzuführen. Überall taucht ihre "Silueta" auf, der weibliche Umriss. Mendieta schüttete weiße Silhouetten aus Salpeter und Zucker auf die Erde, ließ die Kamera laufen und das Pulver zur schwarzen Umrisszeichnung verbrennen. In anderen Filmen leuchtet die "Silueta"-Gestalt als bengalisches Feuerwerk oder wird, aus Sand geformt, allmählich von Meereswellen verzehrt.
Das letzte – im U-Matic-Verfahren aufgezeichnete – Video (von insgesamt 104 existierenden Mendieta-Filmen) bezieht sich auf die synkretistische Santería-Religion auf Kuba. Gefilmt wurde "Óchun" – ein Göttinnen-Name – 1981 als "Silhueta" aus Sand am Ufer von Key Biscayne, Florida. Die Insel ist über das Meer mit Kuba verbunden, "Óchun" wird zur Allegorie für Exil und Rückkehr. Als sie Anfang der 80er endlich wieder in die Heimat reisen kann, meißelt sie ihre Umrisse in Form noch stärker abstrahierter Reliefs in den weichen Kalkstein eines Parks in Havanna.
In der Nacht zum 9. September 1985 stürzt Mendieta aus ihrer Wohnung in Manhattan, 34 Stockwerke tief. Ihr Mann, Carl Andre, wird verdächtigt, sie gestoßen zu haben, 1988 spricht ein New Yorker Gericht den weltberühmten Minimalisten vom Vorwurf des Mordes frei, aus Mangel an Beweisen. Noch heute spaltet der Fall Mendieta die Gemüter. Wo immer Andre – heute 82 Jahre alt – ausstellt, kann mit Protesten gerechnet werden, zuletzt im Juni 2016, als etwa 150 Aktivisten in London verlangten, die Werke des Bildhauers aus einer Schau der Tate Modern zu entfernen. Wenn aber Andre der mutmaßliche Täter ist und Mendieta zwangsläufig das Opfer: Wo bleibt Mendieta, die Künstlerin? Am Schluss einer sonst sehr ausführlichen Zeittafel im Gropius Bau ist ihr jähes Ende nur als magere Notiz angeführt. Hier soll es offenbar nur um die Kunst gehen. Und vielleicht tut der tragische Showdown ja auch wirklich nichts zu Sache. Ana Mendietas Werk bliebe auch so – unvergesslich.