NRW-Forum Düsseldorf

Als Fliegen noch richtig Geld kostete

Er hatte sie alle vor der Linse: Sol Lewitt, George Segal, Willem de Kooning, Kenneth Noland, Bob Indiana, Marisol, Yoko Ono, Marcel Duchamp oder Christo mit Jeanne-Claude ließen sich von ihm in ihren Ateliers ablichten. Als Fred W. McDarrah, Fotograf der Beat-Generation und Dokumentarist der New Yorker Kunstszene, Eva Hesse 1968 in ihrem Bowery Studio fotografierte, da konnte er nicht wissen, dass sie nur noch zwei Jahre zu leben hatte. Gezeichnet von schweren Augenringen kniet sie neben ihren zylinderförmigen Skulpturen und fixiert den Eindringling mit ungerührter Mine.

Ähnlich ahnungslos begegnete wohl Diane Arbus vier Jahre zuvor dem damaligen Seifenoperstar Mia Farrow. Sie nahm sie im BH und Unterrock in einem abgedunkelten Zimmer auf, eine verletzliche 19-Jährige, deren Durchbruch mit „Rosemaries Baby“ noch auf sich warten ließ. Und so schwebt ein Damoklesschwert über diesen Aufnahmen. Einsamkeit und Zweifel, ob der eingeschlagene Weg der richtige sei, Krankheit und Depression einer Fotografin, die für Oberflächenreize nichts übrig hatte. Keine Spur von Selbstinszenierung eines erfahrenen Jet-Set-Mitglieds, zu dem Farrow später wurde und Hesse oder Arbus nie werden wollten.

Obwohl eigentlich Fremdkörper, fügen sich diese gänzlich unglamourösen Frauenporträts erstaunlich gut in das mit 450 Fotografien auftrumpfende Defilée von Bildzeugnissen eines Dolce Vita zwischen Paris, London, New York, Côte d´Azur und St. Moritz. Zeitlich reicht die opulente Sammlung, die es jetzt im NRW-Forum Düsseldorf zum ersten Mal zu bestaunen gilt, von den Swinging Sixties bis zur ausschweifenden Disco-Ära des „Studio 54“. Zusammengetragen hat sie die Schweizer Sammlerin Nicola Erni. Es ist ihr hoch anzurechnen, dass sie Kontraste in ihrer Auswahl zugelassen hat. Nicht immer gelingt die Feier des Lebens und manch ein Blick erzählt von den Schattenseiten des Zwangs zur Bedeutsamkeit.

Die Bildliste liest sich wie ein Who-Is-Who der damaligen Pop-Helden, von Jane Birkin bis Salvador Dali, von Roman Polanski bis Uschi Obermaier. Protagonisten der Macht und des Geldes suchen auf einmal die Nähe von Filmstars und Künstlergrößen. Berühmte Fotografen wie Richard Avedon, Robert Mapplethorpe oder Andy Warhol finden sich hinter und vor der Kamera auf Partys wieder, die scheinbar nie zu Ende gehen und auf denen der unverwüstliche Truman Capote als Maskottchen nicht fehlen darf.

Selbst Kunstavantgardisten, früher soziale Außenseiter, verfügen plötzlich über Sexappeal. Dennis Hopper fokussiert mit Vorliebe seine Freunde. Ob Jasper Johns, Roy Lichtenstein oder Robert Rauschenberg, die Herren erliegen nicht ihrem Ego und halten Abstand zur exaltierten Geste. Jeanloup Sieff schaut Godard gar beim Nachdenken zu, einem eher spröden Intellektuellen, der heute wohl nicht mehr den Weg in die Glitzerwelt fände. Ein Hingucker sind auch die Einblicke von Bruce Davidson in Warhols Factory. Da konkurriert schon mal der Meister mit Robert Indiana um die einzige Sitzgelegenheit im vollgestellten Studio und präsentiert sich als zartfühlender Katzenliebhaber.

Es will schon etwas heißen, dass die Mischung von Milieus und Gattungen, von der ästhetisch anspruchsvollen Kunstfotografie mit schnelllebigen Presseaufnahmen, funktioniert. Vielleicht liegt es neben der gelungenen Ausstellungsarchitektur, die mit wandgroßen Schwarz-Weiß-Ikonen und geschmackvoller Farbauswahl Akzente setzt, auch daran, dass beide, die Fotoerneuerer und die Sensationsjäger einen revolutionären Zeitgeist einfingen, ein Versprechen von Freiheit und Kreativität, das sich in nie dagewesener Mode, Musik, Filmen und Kunst äußerte.

Die mit dem Aufbruch einhergehenden politischen Umbrüche zu dokumentieren, ist indes nicht Sache der Sammlung. Der schöne Schein dominiert das kurzweilige Panorama. Aber selbst dieser bewusst vernachlässigte Aspekt schleicht sich in eine Modekampagne ein, wenn 1969 auf einem mit „Baader Meinhof“ übertitelten Hochglanzbild ein unterkühlt blickendes Model mit einem Gewehr posiert und den aufkommenden Terrorismus zum morbiden Accessoire in der Tradition von Bonnie und Clyde verkürzt.
 
NRW-Forum, Düsseldorf, bis 15. Mai 2011