Alona Rodeh in Gelsenkirchen

Willkommen in der Interzone

Das Kunstmuseum Gelsenkirchen öffnet nach seiner Umbauphase erneut die Türen. Zum Auftakt blickt die Künstlerin Alona Rodeh mit hyperrealistischen Bildern auf die Fragilität unserer Infrastruktur - das ist beklemmend, erhellend und sogar lustig

In der Einkaufsmeile wirkt das Kunstmuseum Gelsenkirchen nicht so ganz von dieser Welt: ein eigenwilliger Betonbau aus den 80er-Jahren, über eine gläserne Brücke verbunden mit einer weißen Gründerzeit-Villa. Davor die Straßenbahn, gegenüber ein ehemaliges Kino, Leerstand, eine Trinkhalle. Ruhrgebiet eben, Gelsenkirchen, genauer: Buer. Auf diesen Unterschied würden einige Menschen hier Wert legen, aber das ist eine andere Geschichte.   

Der Architekt Albrecht Egon Wittig hat den Bau entworfen, eröffnet wurde er 1984, und seitdem beherbergt er moderne Kunst. Julia Höner, seit zwei Jahren Direktorin, hat zum 40. Jubiläum aufgeräumt und umgebaut. Motto: Das alles haben wir. Stolz kommt hier zum Ausdruck, und er ist berechtigt, auch wenn im Ruhrgebiet ja immer ein wenig Trotz mitschwingt.

Die Kinetik-Sammlung, die zu den größten in Europa gehört, ist das Herzstück des Museums und nun auch räumlich ins Zentrum des Hauses gerückt. Allein die ist jeden Besuch wert. Entstanden ist aber auch neuer Freiraum - erstmals ist Platz für Wechselausstellungen.

Eine hyperrealistische Reise durch die Nacht

Die erste Künstlerin, die sich den Räumen im verwinkelten Untergeschoss widmen darf, ist Alona Rodeh. Eine gute Wahl, denn die Künstlerin, Szenografin und Stadtplanerin kann mit Raum umgehen. Bekannt ist sie für Arbeiten im und zum öffentlichen Raum, insbesondere zur Stadt bei Nacht. Und entsprechend gestaltet sie auch die Ausstellung. Alle Wände sind schwarz gestrichen, rotes Licht setzt Akzente, Sitzgelegenheiten, ja selbst die Steckdosen hat sie in die Gestaltung einbezogen und Bezüge zwischen den Arbeiten geschaffen. 

Besucherinnen und Besucher steigen hinab ins Dunkel, vorbei an zwei Videoscreens, die wie Wächter den Ein- und Ausgang flankieren. "Bollards as Ashtrays" ist die erste von sieben Arbeiten, die sich mit vollständig computergenerierten, hyperrealistischen Bildern an der Ästhetik von Computerspielen orientieren. 

Zwei schwarze Poller mit roten Blinklichtern steigen aus dem Boden auf und versinken wieder darin. Wir kennen das aus dem Straßenbild. Sie sollen die Durchfahrt verhindern oder ermöglichen. Hier folgen die Stelen einem eigenen Rhythmus, auf ihrer Oberfläche haben sich Zigarettenkippen angesammelt. Es wirkt spielerisch, aber auch ein wenig gespenstisch.

Es gibt keine Sicherheit

"Sicherheitsarchitekturen wie solche Poller beschäftigen mich seit langem", erzählt Rodeh. Der Aufwand, der betrieben werde, um zu überwachen, zu beschützen, Grenzen zu ziehen und zu sichern, sei enorm - der Effekt eher zweifelhaft. "Es gibt keine Sicherheit", sagt sie, "wer will, findet immer einen Weg." 

Ein Satz, der ein flaues Gefühl hinterlässt. Rodeh wurde 1979 in Israel geboren, in einem Dorf nahe der Grenze zum Libanon. Bedrohungsszenarien haben ihr Leben geprägt. Der Terrorangriff der Hamas, der Krieg in Gaza - zur aktuellen Situation möchte sie sich nicht äußern. Seit 2013 lebt sie in Berlin, und auch, wenn das alles sie sehr beschäftigt: "Es ist nicht Thema meiner Kunst." Vielleicht nur soviel: Gut hier und Böse dort - das sind keine Kategorien. 

Die Konsequenz? Ein Gefühl der Unsicherheit und der Ambivalenz, das auch die Ausstellung prägt. Alles ist in Bewegung geraten, nicht nur in Rodehs Kosmos. Die Bedrohung und die Verletzbarkeit unserer Infrastruktur sind stets präsent.

Tanz auf dem Vulkan 

In "Black-Silver-Gold" versprühen Zapfhähne entfesselt ihr "schwarzes Gold". Der Krieg findet eben auch an der Tankstelle statt, es geht um Ressourcen und Verschwendung. Nebenan tanzen zwei E-Roller in "Runway Freefall" unter den Sternen durch die Nacht. Dann kommt es zum Sturz, tausende Roller fallen wie Heuschrecken vom Himmel, und die Romantik ist dahin. Das ist alles auch durchaus lustig anzuschauen, perfekt getaktet und von einem einnehmenden Sound getragen. So ist er eben, der Tanz auf dem Vulkan.

Auch das Publikum kann aktiver Teil dieser seltsamen Undergroundparty werden. Rodeh hat mithilfe ihres Teams erstmals zwei Videospiele entwickelt, die man allein oder zu zweit ausprobieren kann. Sie spielt selbst nicht, sagt sie, aber für ihre Themen sei die Gaming-Ästhetik ein perfektes Äquivalent.

In "Wasted" können wir Geldautomaten steuern, die sich auf einer Plattform im Niemandsland bewegen. Es sind anonyme Objekte. Wem sie gehören, spielt keine Rolle, und es ist an uns, sie zum Bersten zu bringen. Das Geld fliegt durch die Luft, Zerstörungswut und -lust machen sich breit. Am Ende - soviel sei verraten - verlieren wir. 

Ein Drohnenflug über die Müllkippe unserer Errungenschaften

Das zweite Spiel kennt ebenfalls keine Gewinnerinnen. Unermüdlich segelt Elektroschrott in einen Automaten, den "Token Eater". Nur selten gelingt es uns, mit dem Greifarm einige der Teile zu erwischen und einzusammeln. Und was nutzt es auch? Sisyphos lässt grüßen. 

Die Automaten und Maschinen sind Teil eines Systems, das Heil verspricht und doch zum Scheitern verurteilt ist. Nicht nur Sicherheit, auch Mobilität, ständige Verfügbarkeit und das damit verbundene Versprechen der Freiheit - alles Illusion. 

In der großen Videoarbeit "Core Dump" kommt es zum traurigen Höhepunkt der Show. Schauplatz ist eine riesige Elektroschrott-Deponie, die von Drohnen wie von Schmeißfliegen umschwärmt wird. Die in Kreisen angelegte Haldenarchitektur inmitten einer Wüstenlandschaft erinnert an reale Kultstätten. Da liegen sie, unsere technischen Errungenschaften. Und es ist fraglich, ob wir - wie im Falles eines Computerabsturzes - diesen dump zur Fehlerdiagnose nutzen und daraus lernen werden.

Das Trauma der Region

"Müll, Geldströme, Technikfetisch, kommerzieller Ausverkauf - das ist es doch, was wir hier erleben. Das ist das Trauma dieser Region", findet Julia Höner, und darüber will die Museumsleiterin ins Gespräch kommen. Der Humor der Arbeiten und die Gaming-Ästhetik helfen ihr dabei: "Es fällt leicht, an diesen Arbeiten anzudocken." 

Die interaktiven Momente, die grundsätzliche Faszination für Technik und Bewegung, der Umgang mit Licht - all das macht Alona Rodeh für sie auch zur idealen ersten Künstlerin nach dem Umbau. Rodeh arbeite durchaus im "Geiste des Museums". Höner: "Wir haben die Ideen der Kinetik in eine neue Welt transferiert." 

Spielte es bei ihrer Entscheidung auch eine Rolle, dass Alona Rodeh Israelin ist? "Ich habe diese Ausstellung bereits vor eineinhalb Jahren mit ihr geplant", erklärt Höner, "aber ja, ich bin sehr froh ihre Arbeiten jetzt und hier auszustellen, denn mir fällt auf, dass aktuell nur wenige israelische Künstlerinnen und Künstler gezeigt werden. Punkt."