Kondensstreifen sind in Wirklichkeit giftige Chemikalien, die Mondlandung wurde von Stanley Kubrick inszeniert, Elvis lebt, und was die Illuminaten damit zu tun haben, kann sicher auch irgendjemand erklären. Man braucht nur ein, zwei weitere Personen auf Facebook, die an dieselbe Geschichte glauben, fertig ist die Verschwörungstheorie. Solche Theorien erleben in den sozialen Medien eine regelrechte Renaissance. Vielleicht liegt es daran, dass wir im Internet mit zu vielen Informationen bombardiert werden und nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir zu viel von uns preisgeben und dann Angst um unsere Daten haben. Um beides geht es in der Gruppenausstellung "Transparenzen", die der Kunstverein Bielefeld in Kooperation mit Nürnberger Kunstverein seit dem 7. November zeigt. Die Stadt Bielefeld ist übrigens auch Gegenstand einer Verschwörungstheorie, die ist aber mittlerweile zum Kalauer geworden. Bielefeld gibt es, die Stadt nimmt aber auf der Karte der Gegenwartskunst eher eine Randposition ein.
Bielefeld, im Zentrum der Hipness
In der mittelgroßen Stadt in Ostwestfalen ist der Kunstverein gut versteckt. Wenn man die verwinkelten Räume in der Altstadt betritt, hört man als erstes Metahavens Video "Black Transparency." Laut soll die Arbeit sein, sagt Kees de Klein vom Amsterdamer Design-Kollektiv. Und er erklärt, dass "Black Transparency" das Gegenteil von Transparenz ist: wenn man nämlich zu viel sieht. Das Video benutzt eine glatte Ästhetik und besteht aus gefundenem Material. Geleakte Aufnahme aus dem letzten Irakkrieg und die Art von Werbefilmen, die man sofort wieder vergisst. Eine Frauenstimme aus dem Off spricht über Demokratie, Überwachung und Whistleblower, während Bilder von glücklichen Familien in futuristischen Einfamilienhäusern über den Bildschirm flimmern. Diese Art des Essay-Films ist fast schon ein eigenes Genre innerhalb der Post-Internet-Kunst. Vorgemacht haben das Constant Dullaart und Hito Steyerl. "Black Transparency" ist auch als Buch bei Sternberg Press erschienen, der Clip schließt mit einem Trap-Song. Hipper geht es kaum.
Daneben sind Juliette Blightmans Arbeiten erfrischend unhip. Sie zeigt Zeichnungen, und projiziert Bilder, das Ganze mit dem Titel "Portraits and Repetition." Damit bezieht sie sich auf einen Essay von Gertrude Stein, wo Stein das Gleiche wie Blightman tut: den Alltag um sich herum aufzeichnen, nur das Blightman das für ein Jahr online zugänglich macht. Das sieht ein bisschen aus wie ein Rückzug ins Private, der aber dann doch öffentlich gemacht wird.
Die Kunst der Finanzwelt
Was ist sichtbarer als eine Corporate Identity? Nichts, haben sich die Designer von Metahaven gedacht, und gleich eine Reihe von Logos für die Ausstellung gestaltet. Da gibt es das zerschossene VW-Emblem, das Karomuster von Scotch-Tape (dem britischen Äquivalent zu Tesa), alles gerendert und mit einem serifenlosem Schriftzug versehen. Die Gruppe Metahaven ist übrigens auch für das Wikileaks-Merchandise verantwortlich.
Yuri Pattisons Arbeit "the ideal (v. 2.0)" sieht dagegen ein bisschen aus wie klassische Konzeptkunst. Ein Videomonitor, Baumarktregale, Wasserschläuche. Aber es geht um Geld, genauer: um Bitcoins. Bitcoins sind eine Kryptowährung, mit der man ganz legal Dinge kaufen kann. Oder auch Waffen und Drogen im Darknet. Um neue Bitcoins zu bekommen, muss man kryptographische Rätsel lösen. Diese Arbeit erledigen leistungsstarke Rechenzentren, die Bitcoin-Minen. Eine besonders große Bitcoin-Mine steht in der chinesischen Provinz Sichuan, in der Nähe eines Wasserkraftwerks. Dort also, wo Strom und Wasser billig sind. Hier hat der Schriftsteller Eric Mu, Pattisons Kollaborateur, mit einer Go-Pro-Kamera den Alltag in einer Bitcoin-Mine gefilmt. Diese Erklärung braucht man auch, denn der digitale Goldrausch sieht genauso trivial aus, wie man ihn sich vorstellen kann: Sterile Lagerhallen, Doppelstockbetten für die Arbeiter und ein paar wacklige Landschaftsaufnahmen. Die Peripherie ist das neue Zentrum der globalen Geldströme.
Was heißt hier privat?
Post-Privacy-Gesellschaft heißt, dass sich jede und jeder in sozialen Medien transparent macht. Oder zumindest sichtbar. Das will David Horvitz mit seiner Arbeit "Mood Disorder" (seit 2012) zeigen. Horvitz hat schon den "Heads in Freezers"-Meme erfunden. In Bielefeld hat er Ausdrucke aus dem Internet an die Wand gehängt. In allen taucht das Bild des selben Mannes auf. Das ist Horvitz, die Handflächen vorm Gesicht. Mit diesem Bild hat er den englischen Wikipedia-Artikel über affektive Störungen bebildert, das Bild zur Verwendung freigegeben und dann die Verbreitung nachverfolgt. Wie bei einem Meme.
Man mag einwenden, dass es hier, wie bei den meisten Arbeiten der Ausstellung vor allem um ein Statement geht. Darüber, wie das Internet eben funktioniert, oder darüber, was passieren kann, wenn man die Kontrolle über seine persönlichen Daten abgibt. Die Künstler der Ausstellung haben aber auch verstanden, wie das Internet funktioniert. Anstatt Verschwörungstheorien zu erfinden, folgen sie der Logik der digitalen Finanzwelt und der Verbreitung von Bildern.