Neue Sammlungspräsentation im ZKM

"Alles, was 'nen Stecker hat"

Das ZKM in Karlsruhe ist nicht nur Ausstellungshaus, sondern auch ein riesiges Archiv für Medienkunst. Nun werden in der ersten Sammlungspräsentation unter Alistair Hudson viele vergessene Kostbarkeiten gezeigt

Medienbasierte Kunst ist mehr als nur Bildschirme. Das ZKM zeigt algorithmische Zeichnungen von Vera Molnár, eine halluzinogene Hypnosemaschine von Nam June Paik, eine Zwangsjacke und einen in einen Kreis gezwungenen Rollstuhl von Rebecca Horn, dazu pixelbasierte Designs auf Japanpapier von Hiroshi Kawano. 

Es ist die erste unter dem neuen Direktor Alistair Hudson ausgerichtete Sammlungspräsentation – ein Schritt in eine neue Richtung. Hudson werde kein zweiter Peter Weibel: Er betont das Team, begibt sich in die Rolle des Koordinators. Die Auswahl der über 100 Werke erfolgte in enger Absprache mit Restauratorinnen und Technikerinnen des Hauses. Nicht nur die bekannten Namen sollen gezeigt werden. Rein in die verstaubten Kisten und dunklen Ecken, was über Jahrzehnte im Depot versauerte, wird mit fünf Themenschwerpunkten endlich gewürdigt. 

Seit über 30 Jahren wurden zum Beispiel die Arbeiten der österreichischen Künstlerin Pezoldo (früher Friederike Pezold) nicht mehr im ZKM gezeigt. In den 90ern fragmentierte sie den weiblichen Körper in einzelne Videos, die sie wiederum in architektonisch anmutende Konstrukte als neue Leiber zusammenführte.

Yoko Ono schreit lautlos 

Ein weiteres Highlight ist die verschollen geglaubte Aufzeichnung der Performance "Silent Piece" (1972) von Yoko Ono und John Lennon, welche durch einen glücklichen Zufall im Aldo-Tambellini-Archiv entdeckt wurde. Luftgitarre, stilles Getrommel und lautloser Gesang wird im Park vor Publikum aufgeführt. Yoko Ono schreit ohne einen einzigen Pieps ins Mikro. Oprah Winfrey hätte vielleicht gefragt: "Were you silent? Or were you silenced?"

"Alles, was 'nen Stecker hat": So beschreibt Alistair Hudson lachend die Zuständigkeit des Hauses. Seit seiner Gründung versteht sich das ZKM als vermittelnde Instanz zwischen Öffentlichkeit und Technologie. Der Anspruch ist, Medienkompetenz zu fördern, um befähigt mit Technologien umzugehen. 

Ein optimistischer Ansatz, aber sicher kein naiver. Der Themenschwerpunkt "Kritik und Utopie" beleuchtet unter anderem, wie Künstlerinnen und Künstler schon seit Jahrzehnten vorausahnend thematisierten, was heute als Cyberfaschismus Form annimmt. Lynn Hershman Leesons interaktives Gewehr "America’s Finest" (1993-94) bietet den Nervenkitzel, Menschen anzuvisieren – egal ob Soldat oder Kind – und gefahrlos abzudrücken. Ob man dies nochmal machen will, sobald der eigene Hinterkopf ins Visier gerät, ist einem selbst überlassen.

Hausbesetzung durch Ameisen

Der im Bildschirm gefangene Wachhund in Paul Garrins "Yuppie Ghetto with Watchdog" (1989) lässt mich nicht an den Zaun heran, der mich von den poshen Bonzen auf ihrer Party trennt. Dass hinter ihnen durch das Fenster der Weltuntergang zu sehen ist, scheint sie nicht zu stören. 

Die erhaltende Arbeit, die die Präsentation der Werke erst ermöglicht, steht in der Schau klar im Vordergrund. Drei Restaurierungsinseln bieten Einblicke hinter die Kulissen. Der kuratorische Traum ist oftmals der konservatorische Albtraum. Ein ausgestelltes Objekt konnte leider (noch) nicht gerettet werden: Aufgrund einer Hausbesetzung durch Ameisen wurden wichtige Elektronikteile von Edmond Couchots "Sémaphora II" (1965) stark in Mitleidenschaft gezogen. 

Aber auch vollständig digitale Arbeiten zeigen sich als besonders fragil. Nicht trotz, sondern gerade wegen des rasanten technologischen Wandels. Mit jeder Umwandlung und Anpassung an neue Gegebenheiten verliert eine Datei ihre ursprüngliche Form. Aber das ZKM nimmt sich auch herausfordernden Objekten an: Unberechenbare Bio Art, an die sich bisher nur wenige Sammlungen herantrauen, soll gezielt angekauft werden. Aus dieser Kategorie ist von Claudia González Godoy die Installation "Hidroscopia Loa" (2018) zu sehen, die die Wasserverunreinigung am Chilenischen Río Loa untersucht. 

"Was halten Sie von der ästhetischen Forschung mithilfe eines Computers?"

Auch die CryptoPunk-NFTs von John Watkinson sind dabei. Das ZKM hat diese Arbeiten schon 2017 angekauft, noch vor dem Hype um Beeple und seinen Auktionsrekord bei Christie's. Von NFTs kann man halten, was man will, aber sie sind nun mal Teil der Medienkunstgeschichte. 

Und diese Gattung hatte es noch nie leicht. Das zeigen die Reaktionen auf Manfred Mohrs Frage "Was halten Sie von der ästhetischen Forschung mithilfe eines Computers?" von 1971. Die wenigen ernsthaften Antworten werden von Kritzeleien und absurden Kommentaren überlagert. Mal sehen, was die Besuchenden von heute alles sagen werden, wenn sie ihre Eindrücke und Fragen über den QR-Code im "Living Room" der Ausstellung teilen.