Frau Hoppe, als Fotografin arbeiten Sie dokumentarisch vor allem zu Orten und ihrer Geschichte und besonderen Architekturen. Seit drei Jahren arbeiten Sie an einer Serie mit Porträts alleinerziehender Eltern mit ihren Kindern. Wie kamen Sie darauf?
Ich bin selbst alleinerziehende Mutter. Ich hatte schon lange die Idee, diese Familienform ins Bild zu setzten und stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Das konventionelle Familienmodell mit Mutter, Vater und Kind oder Kindern ist in unserer Gesellschaft als ideales Familienbild noch immer fest verankert. Das wurde mir besonders während des ersten Lockdowns in der Corona-Pandemie bewusst. Damals war offiziell nur der Kontakt zur Kernfamilie erlaubt. Menschen, die solche Gesetze machen, gehen davon aus, dass die Kernfamilie ein Paar mit Kindern ist. Meine Kernfamilie waren mein damals dreijähriger Sohn und ich. Das hätte die totale Isolation bedeutet. Ich war auf den Kontakt zu guten Freunden und auch auf deren Hilfe angewiesen. Ohne die hätte ich diese Zeit nicht überstanden. Die Serie thematisiert den Mangel an gesellschaftlicher Wahrnehmung und Anerkennung für alleinerziehende Eltern und ihre Kinder.
Sie zeigen die Familien zu Hause als Doppelporträts. Die Bilder geben auch immer einen Einblick in die Wohnsituation und Einrichtung. Haben Sie das Setting gewählt oder haben die Familien entschieden, wie sie abgebildet werden wollen?
Das Setting ist immer an die Wohnsituation gebunden. Die Porträts finden im persönlichen Umfeld der Familien statt, also zu Hause, im Hof oder im Garten. Ich schaue mir die Räume an und entscheide häufig zusammen mit den Familien, wo das Bild entsteht. Das Licht spielt dabei natürlich eine Rolle. Ich arbeite mit Tageslicht. Die Wohnsituation spiegelt oft das Familienmodell – alleine mit Kind – wieder. Zum Beispiel stehen am Küchentisch nur zwei Stühle. So thematisiert die Serie auch die Abwesenheit eines Elternteils. Ich habe mich in früheren fotografischen Arbeiten in anderer Form mit Abwesenheit und Verschwinden beschäftigt, etwa mit verschwundenen Bildern aus der DDR . Das sind Themen, die mich begleiten – im Leben und in meiner künstlerischen Arbeit.
Wie haben Sie die Familien gefunden?
In meinem persönlichen Umfeld gibt es viele alleinerziehende Eltern. Auch über den Kindergarten meines Sohnes und andere Eltern habe ich Kontakt zu Alleinerziehenden bekommen, die sich meiner Anfrage gegenüber fast immer sehr offen gezeigt haben. Über das Netzwerk "Mehr Mütter für die Kunst" habe ich einen Aufruf gestartet. Daraufhin haben sich binnen kürzester Zeit etwa 15 Familien gemeldet. Auch andere haben offensichtlich das Bedürfnis, das Thema öffentlich zu machen und ins gesellschaftliche Bewusstsein zu rücken. Immerhin 18 Prozent der Familien in Deutschland sind alleinerziehend, sprich das Kind oder die Kinder leben nur mit einem Elternteil zusammen. Gemeint sind explizit Familien, bei denen die Kinder von nur einem Elternteil betreut werden und der andere Elternteil – anders als etwa beim Wechselmodell – abwesend ist. Der Titel der Serie ist daher auch "Mono-Eltern". Im Griechischen bedeutet "mono" so viel wie "allein" oder "einzig". Im Französischen sagt man "monoparental" zu Alleinerziehenden. Und es erinnert an den Klang einer Musikanlage. Eben nur Mono, nicht Stereo.
Sie sind, wie Sie sagten, selbst alleinerziehende Mutter eines inzwischen sechsjährigen Sohnes. Was ist die größte Herausforderung dieses Familienmodells?
Permanenter Zeit- und Gelddruck! Alleinerziehende sind mit Beruf und Familie doppelt belastet. Weil die Lobby so klein ist, gibt es in Deutschland viel zu wenig Unterstützung. Auch die Betreuungsangebote sind oft nicht ausreichend, wobei die Situation in Ostdeutschland mit Kindergrippe und Schulhort noch besser ist als in Westdeutschland. Die meisten Familien leben zudem nicht mehr im Umfeld der Großeltern und haben keine Unterstützung durch ihre Familie. Auch die finanziellen Nachteile, die Familien Alleinerziehender in so einem reichen und entwickelten Land wie Deutschland haben, sind erstaunlich.
Inwiefern?
Alleinerziehende sind in einer niedrigeren also schlechteren Steuerklasse als verheiratete Paare ohne Kind. Das muss man sich schon mal auf der Zunge zergehen lassen! Unser Staat fördert großzügig die Ehe, aber nicht die Menschen, die Kinder erziehen! So erging es uns auch mit der Betreuung in der Pandemie: Paare mit Kindern, bei denen ein Elternteil in einem sogenannten systemrelevanten Beruf tätig ist, hatten Anspruch auf Kinderbetreuung, auch wenn der andere Elternteil zu Hause war. Alleinerziehende berufstätige Eltern hatten keinen Anspruch auf Betreuung. Alle alleinerziehenden Mütter, die ich für die Serie fotografiert habe, sind berufstätig und auf Kinderbetreuung angewiesen – bis auf eine Frau mit einem Neugeborenen. Diese Gesetze wurden wahrscheinlich von verheirateten Familienvätern gemacht, die in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten. Das muss sich ändern! Gerade wurde das Kindergeld erhöht. Das wird Alleinerziehenden aber direkt wieder abgezogen, da es als Einkommen auf den Unterhaltsvorschuss für das Kind angerechnet wird, der sich dadurch verringert. Da bekommt man direkt zu spüren, wie wenig die Familienmodelle Alleinerziehender bei politischen Entscheidungen mitgedacht werden. Alleinerziehende brauchen eine stärkere Stimme und eine Lobby, die auf solche Gesetzgebungen in Zukunft Einfluss nimmt!
Welche Wünsche haben Sie noch an die Politik?
Ich wünsche mir mehr Wahrnehmung, Anerkennung und Förderung für Alleinerziehende. Viele haben sich bewusst dafür entscheiden, ihre Kinder allein zu erziehen. Aus unterschiedlichsten Gründen. Manchmal sind es auch schwere Schicksale, die zu diesem Familienmodell führen. Es gibt im Französischen den Spruch "C´est mieux d´être seul que mal accompagné". Das bedeutet so viel wie: Man ist besser allein als in schlechter Begleitung. Davon bin ich überzeugt. Trotzdem wird einem das Gefühl gegeben, man müsste in einer Partnerschaft oder Ehe leben, um seine Kinder erfolgreich zu erziehen. Viele Alleinerziehende arbeiten in Vollzeit, da sie auf das Geld angewiesen sind. Trotzdem leben sie oft in prekären Verhältnissen, da sie finanziell alleine für sich und die Kinder sorgen müssen. Bei Vollzeitbeschäftigung bleibt wiederum kaum Zeit für Kind und Haushalt. Ich wünsche mir, dass es Arbeitsmodelle gibt, mit denen Beruf und Familie wirklich zu vereinen sind, und Alleinerziehende mitgedacht werden. Alleinerziehende brauchen bessere Gehälter, bei Vollzeitbeschäftigung Unterstützung im Haushalt, zum Beispiel durch Haushaltshilfen und eine gute Betreuungssituation für ihre Kinder.
Was war und ist die größte Herausforderung des Projekts?
Zum einen habe ich bisher nur sehr wenige Väter gefunden. Es gibt auch viel weniger alleinerziehende Väter als Mütter, bei neun von zehn Familien Alleinerziehender sind es Mütter mit Kind. Aber mir ist es wichtig, auch sie zu zeigen. Zum anderen nimmt das Projekt viel Zeit und Geld in Anspruch. Für die ersten sechs Monate hatte ich eine Förderung der Stiftung Kunstfonds. Diese hat mir ermöglicht, erste Familien zu portraitieren und Filmmaterial zu kaufen. Ich arbeite analog mit Mittelformatkamera und fotografiere auf Film. Die Kosten für Filmmaterial und Entwicklung sind in den letzten zwei Jahren sehr stark angestiegen. Ich habe bisher hauptsächlich im Raum Leipzig fotografiert, wo ich lebe. Ich möchte gern Familien in ganz Deutschland fotografieren. Aber dafür brauche ich eine Finanzierung, allein um die Fahrtkosten zu decken. Ich arbeite trotzdem weiter daran, weil mir das Projekt sehr wichtig ist.
Wie wird die Serie nach Fertigstellung präsentiert?
Ich würde sehr gern ein Buch machen, in dem die Familienportaits mit den Ansichten der Wohnräume zu sehen sind und dazu begleitende Texte zum Thema. Auch eine Ausstellung wäre natürlich möglich! Sehr gut vorstellen könnte ich mir die Einbindung in eine größere Ausstellung, bei der es um Familien- oder Rollenbilder geht. Oder um das Menschenbild im Allgemeinen.
Werden Sie die Bilder um Informationen oder Interviews mit den Familien ergänzen?
Mir ist das Bild wichtig. Interviews wird es von mir nicht geben. Im Titel werden die Namen der Portraitierten genannt, sowie der Ort und der Beruf des Elternteils. Insbesondere die Nennung des Berufes ist mir wichtig. Es gibt so oft das Vorurteil, auch in der Politik, dass Alleinerziehende nicht arbeiten würden. Das ist absurd. Wir können es uns nicht leisten, nicht berufstätig zu sein. In einer Paarbeziehung kann man es sich leiten, Hausfrau oder Hausmann sein. Ich möchte diese Entscheidung nicht abwerten. Dieser Beruf ist nicht zu unterschätzen und die Partner sollten einen entsprechenden Lohnausgleich zahlen. Aber Alleinerziehende haben diese Möglichkeit gar nicht. Sie müssen Geld für sich und ihre Kinder verdienen und sind angestellt oder wie ich freiberuflich.
Kunst und Elternschaft ist seit Jahren ein immer präsenteres Thema. Was sind Ihre Erfahrungen als Alleinerziehende in der Kunstwelt?
Die Kinderbetreuung an Museen ist in Deutschland noch unterentwickelt. Als mein Sohn ein Jahr alt war, waren wir zusammen in einem Museum. Eine Aufsicht hat mich angesprochen und angemerkt, dass mein Sohn zu laut sei! Ich bin aus Protest gegangen, denn wir waren zu diesem Zeitpunkt die einzigen Besucher in der Ausstellungen und hatten also niemanden gestört. Ich finde so ein Verhalten absolut inakzeptabel! Museen sollten während der Öffnungszeiten Kinderbetreuung anbieten oder Kinder in Ausstellungen respektieren, auch wenn sie mal etwas lauter sind. Museen haben einen Bildungsauftrag, da gehört es dazu, dass auch Kinder selbstverständlich im Museum sein können. Ein gutes Programm bietet die Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig. Da fühle ich mich auch mit Kind immer willkommen!
Hatten oder haben Sie als Künstlerin Nachteile als Alleinerziehende?
Die Galerien, mit denen ich arbeite sind kinderfreundlich, was auch damit zu tun hat, dass sie teilweise selbst Familie haben. Das erleichtert vieles. So hatte und habe ich immer das Angebot, meinen Sohn zum Ausstellungsaufbau oder zur Eröffnung mitnehmen zu können. Als freiberufliche Künstlerin habe ich viele Projekte im Ausland realisiert, etwa in Residenzen, wie der Cité international des Arts in Paris oder mit verschiedenen Goethe-Instituten weltweit. Für mich ist die Entscheidung, mehrere Goethe-Institute, darunter Washington und Bordeaux, zu schließen, eine große Fehlentscheidung der Politik. Ich konnte auch als Mutter mit Unterstützung der französischen Goethe-Institute Ausstellungen und Projekte in Frankreich und jetzt zuletzt in Thessaloniki realisieren. Mein Projekt "Südwall" entstand von 2017 bis 2020 während einer Residenz in Marseille in Kooperation mit dem Goethe-Institut. Mein Sohn war auch oft mit in Marseille, schon als Einjähriger. Das war eine sehr gute und wichtige Erfahrung für uns beide.
Leider gibt es zu wenige familienfreundliche Residenzen, die etwa wie die Villa Massimo in Rom anbieten, dass die Familie mit zieht und die Kinder in die Schule gehen können.
Arbeitsaufenthalte mit Kind sollten selbstverständlich sein! Auch in Frankreich gibt es einige Residenzen, bei denen Eltern ihre Kinder mitnehmen können und ein Schulplatz zur Verfügung gestellt wird. Diese Residenzform "Familie mit Kind" muss ausgebaut werden! Auch das deutsche Schulsystem muss flexibler werden und Eltern ermöglichen, ihre Kinder mit ins Ausland zu nehmen. Aufenthalte im Ausland sind für Künstlerinnen und Künstler mit Kindern extrem wichtig. Sie ermöglichen uns, zu arbeiten, im Austausch zu bleiben, Netzwerke aufbauen und den europäischen Gedanken zu stärken. Kunst und Reisen gehören für mich zusammen. Auch für Kinder sind Aufenthalte im Ausland eine Bereicherung. Sie lernen eine neue Sprache, lernen, was es bedeutet, in der Fremde zu sein. Das fördert ihre Entwicklung und stärkt die Familie.
Wie lange wollen Sie noch an dem Thema arbeiten?
Ich möchte noch etwa zehn Familien fotografieren. Das wird sicherlich noch etwas dauern. Interessierte Alleinerziehende können sich gern bei mir melden, insbesondere Väter. Ich weiß auch nicht, ob die Arbeit an der Serie dann wirklich beendet ist oder ob mich das Thema vielleicht mein Leben lang beschäftigen wird. Vielleicht fotografiere ich die Familien auch noch einmal in zehn Jahren.