Ai Weiwei

Alle offenen Türen eingerannt, keinen Ausweg gefunden

Der Hyper-Aktivist Ai Weiwei hat den Künstler Ai Weiwei längst überholt. Auf der Strecke geblieben sind beide

Natürlich darf er ein Selfie mit Alice Weidel machen. Vielleicht hatte Ai Weiwei, der seit 2015, aber nun bald nicht mehr in Berlin lebt, einfach keine Ahnung, wer diese Frau ist und wofür ihre Partei steht. "Niemand hat das Recht, über sie persönlich zu richten", erklärte Ai der dpa. Das ist doch ein weiser Satz, den man immer und überall gut nachreichen kann. Ai Weiwei ist Fundamental-Humanist. Schade nur, dass kaum jemand von seinem Humanismus wirklich profitiert, abgesehen von der AfD-Fraktionsvorsitzenden.

Die Macht der Kunst ist beschränkt. Euphemistisch formuliert: "Alle Kunst ist politisch", irgendwie, und mit dieser Hilflosigkeitsformel begründete Klaus Staeck bei einer Ausstellungseröffnung 2013 im Martin-Gropius-Bau, warum man den Aktivisten Ai nicht vom Künstler Ai trennen dürfe. Wenn wir es trotzigerweise doch tun, fällt das Gros dessen, was Ai in drei Karrierejahrzehnten produziert hat, zusammen wie ein Holztürenturm bei Windstärke 8.

Berühmt wurde Ai Weiwei als Über-Duchamp: massenhaft zusammengetragene Türen, 100 Millionen handbemalte Sonnenblumenkerne aus Porzellan, eine Installation aus Tausenden von historischen Hockern.

Für Ai Weiwei sind solche Werke Mahnungen (an seine Landsleute), die traditionellen Wurzeln nicht zu vergessen. Seine Entwurzelung ist inzwischen zum Problem geworden. Der Dissident stört ja nur im eigenen Land. Woanders kann es passieren, dass er lauter offene Türen einrennt.

In der Diaspora hat sich der Künstler ein neues Themenfeld suchen müssen – und in der Flüchtlingskrise gefunden. Zu sagen hat er dazu wenig. Ai Weiwei wirkt einfach nur hilflos, wenn er sich in der Pose eines toten Flüchtlingsjungen an den Strand von Lesbos legt. Auch seiner 140-Minuten-Doku "Human Flow", für die Ai 25 Filmteams ein Jahr lang an verschiedensten Migrations-Brennpunkten um den Globus Material sammeln ließ, mangelt es an Reflexion – sie ist dafür randvoll mit Lippenbekenntnissen des Künstlers und peinlichen Selbstinszenierungen als tatkräftiger Helfer.

Seine Kunst wird immer platter. Ein überlanges, aufblas­bares Schlauchboot mit Menschenfiguren auf der Sydney-Biennale, 300 Zäune in New York, die – ach, was! – als Botschaft gegen Zäune gelesen werden sollen. Es scheint, als habe der Hyper-Aktivist den – seiner Mittel halbwegs bewussten – Künstler längst überholt. Auf der Strecke geblieben sind beide.