Wenn Sie in Neapel mal an der Metrostation Salvator Rosa ausgestiegen sind, dann kennen Sie Alessandro Mendini. Oder wenn Sie bei Alessi nicht gleich die Nase rümpfen, weil Sie sich noch von Ihrer Oberstudienrat-Kindheit abgrenzen müssen, wo es diesen Korkenzieher in Frauenform samt Gouvernanten-Haarschnitt gab. Beides hat Mendini gestaltet, der Architekt, Designer, Theoretiker, Künstler und sogar auch noch Chefredakteur und Herausgeber verschiedener Magazine.
2019 ist er verstorben, als eine der wichtigsten Figuren des italienischen Radical Design. Und nun widmet sich das Mailänder Designmuseum Triennale mit einer umfangreichen Ausstellung, wie es das auch schon so hingebungsvoll mit anderen italienischen Großmeistern wie Ettore Sottsass oder Enzo Mari getan hat.
Über 400 Werke sind zu sehen, aus privaten und öffentlichen Sammlungen, aus dem Alessandro Mendini Archiv und der Fondation Cartier. Aufgeteilt in verschiedene Räume und Themen macht sie das unterschiedliche Schaffen Mendinis erlebbar. Bunte Modelle von Yachten, seine bekannten Kopf-Skulpturen, die so bunt, so friedlich, aber auch merkwürdig nachdenklich dreinblicken. Goldene Mosaik-Skulpturen, bunte Grafiken, ein Spiegel-Rundbogen. Dazu Architekturentwürfe, die er mit seinem Bruder Francesco und ihrem im Jahr 1989 gegründeten Mendini Workshop umsetzten, die drei Metro-Stationen in Neapel, das Posco-Viertel in Seoul, das Medienzentrum Madsack in Hannover, das Groninger Museum oder die Galleria Mendini in Lörrach.
"Ich bin ein Drachen"
"Die Ausstellung will Mendinis Blick auf die Welt, sein Einfühlungsvermögen für alltägliche Gegenstände und das Geheimnis seiner künstlerischen Philosophie wiedergeben, die selbst das Alltäglichste in eine Überraschung verwandeln kann, die den Zauber des Alltäglichen offenbart", heißt es vom Museum, und das funktioniert. Es gibt den zur Seite gekippten Stuhl zu sehen, Mendinis tragbaren Heiligenschein aus frühen Tagen, einen Sessel aus Strohballen, einen Stuhl gefüllt mit Korn. Auch den Stuhl aus einem Kruzifix geformt. Mendinis Entwürfe für Alessi. Den dickbäuchigen Espresso-Kocher, die Eieruhr mit Kopf. Und so weiter.
In einem Raum hängt ein Comic, von Massimo Giacon gezeichnet, in dem Maurizio Cattelan versucht, Mendini Entwürfe zu unterbreiten, der aber nicht sonderlich überzeugt ist. Bis Cattelan ihm einen gezeichneten Kreis auf einem Blatt bringt, das an der Wand befestigt wird und fortan als Eingang in eine andere Welt mit Strand, Drinks und Sonnenliege dient. "Ich bin ein Drachen" steht auf einem von Mendinis Selbstportraits. Auf einem anderen "Ciao". Das ist alles herrlich komisch. Mit einer gewissen Schwere.
Alessandro Mendini wurde 1931 in Mailand geboren. Er war einer der Denker des Radical Design, das sich von Italien ausgehend in den 60er- und 70er-Jahren vom Funktionalismus lossagte. In seinen Arbeiten spiegeln sich oft auch politische Debatten seiner Zeit. 1974 etwa entwarf er den Lassù-Stuhl, eine Sitzgelegenheit auf einer Pyramidenform platziert. Eigentlich ist es unmöglich, ihn zu erklimmen, ihn zu nutzen, gleichzeitig hat er etwas Thronhaftes. Zwei davon setze er vor dem Büro der Zeitschrift "Casabella" in Flammen, um das Bild für das Cover einer Ausgabe zu verwenden. Solche Arbeiten gaben Mendinis Praxis auch die Aura von Spiritualität – auch etwas Melancholisches.
Design als zeichnerische Gymnastik
Oft heißt es, ein Teil seines Werks sei introspektiv und einsam, während andere Arbeiten in Gruppen entstanden sind. Zum Beispiel in Kollektiven wie Alchimia, dessen Manifeste er verfasste. Design sei lediglich zeichnerische Gymnastik, heißt es etwa darin. Und: "Alchimia glaubt, daß die Menschen heute in einem Zustand der Unruhe und der Unausgewogenheit leben. Vor allem das 'Detail' charakterisiert ihr Leben! Organisatorische, menschliche, industrielle, politische und kulturelle Fragmente… In dieser Zeit des Umbruchs sind die Menschen in unbestimmte Angst versunken aufgrund des Schwindens unzähliger Werte, die einst als unumstößlich galten. Wir müssen uns wiederentdecken."
Und natürlich steht in der Ausstellung auch dieser bekannte bunt-prunkige Sessel und zwar in verschiedenen Größen und Mustern. "Proust" heißt er, der immer etwas an Einrichtungshäuser erinnert, die nach billigen Duftkerzen riechen, und hier doch viel genialer wirkt. Denn Mendini hat mit seinem "Poltrona di Proust" den Kitsch als Readymade geboren.
1985 wurde das Manifest von Alchimia veröffentlicht, das auch auf der Beobachtung beruht, dass es alle Formen bereits gibt und man bestehende Objekte nur umgestalten muss. So wie Mendini es 1978 mit dem Proust-Chair gemacht hat, der den kopierten neobarocken Stil mit Impressionismus-Muster mischt.
Liebevolle Begleitung durch Leben und Tod
"Für Alchimia ist Design ein Zyklus: Alles, was geschehen muß, ist bereits geschehen, und die je eigene Phantasie des Individuums – als Grundlage für das Weiterbestehen der Welt – kann frei durch alle Kulturen und in jeder beliebigen Richtung schweifen, solange sie dies in liebender Weise tut." schrieb Mendini.
Für ihn sollte Design "zart und zurückhaltend" sein. "Design bleibt im Hintergrund und begleitet liebevoll Leben und Tod derjenigen, denen es gefällt." Und wenn man in der Triennale durch Mendinis Entwürfe schweift, dann sieht man immer vor allem auch das Hingebungsvolle. Seinen Alessi- Korkenzieher gab es übrigens nicht nur als Gouvernante, sondern auch in Männer-Form. Muss man sich halt fragen, warum der in der Kindheit nicht vorkam, für das Weiterbestehen der Welt.