Ob er noch auf einen Drink mit heraufkomme, fragt die wohlhabende Wienerin ihren jüngeren, nun ja, Lebensabschnittsgefährten an ihrer Gartenpforte. Der winkt ab, weil die Kurzzeitbeziehung gerade abgelaufen ist. "Wir würden uns aber über eine gute Bewertung freuen", fügt Matthias mit professionellem Lächeln hinzu. In seinem Langfilmdebüt erzählt der Österreicher Bernhard Wenger von dem Mitgründer und aktiven Mitarbeiter einer Rent-A-Friend-Agentur. In der Titelrolle der Tragikomödie "Pfau - Bin ich echt?" ist Albrecht Schuch zu sehen - als flexibel einsetzbares Arbeitstier, das sich nach jahrelanger Selbstausbeutung auf die schwierige Suche nach dem wahren Matthias begibt.
Albrecht Schuch, in dem Film "Pfau - Bin ich echt?" kommen neben einem Pfau noch andere Tiere vor: Gänse, ein Hund. Gehen Sie gerne in den Zoo? Sie waren ja in Leipzig, wo es einen berühmten Zoo gibt, an der Schauspielschule.
Ja, das ist ein inspirierender, wenn auch fragwürdiger Ort. Während meines Studiums in Leipzig habe ich eine meiner ersten Rollen in der Serie "Tierärztin Dr. Mertens" gespielt, gedreht im Leipziger Zoo. Wer war ich da? So ein Typ aus der linken Szene, der alle Tiere freilassen will.
In ihrem neuen Film spielen Sie Matthias von der Agentur "My Companion", den man buchen kann, als kultivierten Freund, der Bekannte beeindruckt, oder als Vorzeige-Sohn. Warum wird die Figur mit einem Pfauen identifiziert?
Der Pfau schindet Eindruck durch sein Federkleid. Wenn er Rad schlägt, scheint er richtig gut drauf zu sein. Aber seine Schreie sind echt kläglich, tonal betrachtet. Und für mich passt das sehr zum Hilferuf meines Charakters.
Eine sehr widersprüchliche Figur ...
Ja, total. Und dann bewegt sich dieser Mensch in einem hochpreisigen Segment, was seine Kundschaft betrifft. Dazu passt das Schillernde des Pfauen.
Wie sind Sie an die Rolle gekommen? Gab es da zuerst ein Casting?
Ja, es fing mit einem Casting an. Das wollte ich auch unbedingt. Manche Filmschaffende denken nur daran, dass sie "den Richtigen" suchen. Aber ich suche ja auch "die Richtigen", das heißt, ich will auch rausfinden, ob ich Lebenszeit mit diesen Menschen verbringen möchte, damit wir im Idealfall eine gemeinsame Vision erarbeiten können. Und bei dieser Figur war es echt schwer, das herauszufinden. Ich habe erstmal gar nichts kapiert. Rational und von der Emotion her ging da gar nichts ab. Genau das war aber der erste Schlüssel zur Figur, dass emotional nicht viel abging. Zumindest hat dieser Matthias wenig Kontakt zu seinen Gefühlen. Aber wie stellt man diese Mattheit dar, wie spielt man einen Menschen, der wie ein unbeschriebenes Blatt in den Raum flattert und beschrieben werden will. Wie verkörpert man einen Typen, der wartet, bis man ihn informiert, wie er sein soll, weil mit der Rollenzuschreibung dann erst seine Existenz berechtigt ist. Das war schwer.
Matthias, der auch Inhaber von "My Companion" ist, funktioniert als Miet-Begleiter perfekt. Als Privatmann ist er leer, unentschlossen, antriebsarm. Seine Freundin hält das nicht aus und trennt sich von ihm. Ihnen gelingt aber das Kunststück, den Langweiler sehr eindrucksvoll zu spielen. Ich musste beim Zuschauen immer wieder an einen Schauspieler denken, der an Lampenfieber leidet und beim Auftritt auch noch den Text vergisst. Wie haben Sie die anfänglichen Probleme mit der Rolle gelöst?
Ich kenne einen Schauspielcoach in Los Angeles, der mir sehr am Herzen liegt. Mit dem habe ich an dieser Rolle gearbeitet. Wir haben dann überlegt: Wie sehr kann ein Roboter vermenschlicht sein? Wenn sich Menschen einen Roboter ins Haus holen, dann soll dieser Apparat mit menschlichen Features ausgestattet sein. So haben wir dann geprobt. Die Figur betritt einen Raum, macht das Bett, kocht Kaffee, solche Tätigkeiten. Sie funktioniert mit Batteriestrom und nach einem Logarithmus und sie reagiert immer ein bisschen zu spät auf die Befehle. Vielleicht ist die Batterie zu schwach oder da ist was falsch verlötet. Die Verunsicherung in dieser Maschine, die hat uns interessiert. Sie ist der menschliche Rest, der in dieser Maschine schlummert. Diese humanen Eigenschaften kommen bei Matthias immer mehr hoch, das ist der Konflikt. Beim Funktionieren kommt ihm seine eigene Menschlichkeit in die Quere.
Haben die Tiere im Film eine Kontrastfunktion zu diesem ferngesteuerten Typen?
Vielleicht. Wenn ich eine sehr kontrollierte Person bin, dann passen mir die Viecher überhaupt nicht in den Kram. Bei einem Hund kann ich mich andererseits aufgewertet fühlen. Da bin ich Herr der Lage, fühle mich aufgewertet, weil ich ja "Sitz!" sagen kann. Und so ein Hund ist natürlich auch ein Freund, der die Einsamkeit erträglicher macht.
Sie spielen oft ziemlich extrovertierte Männer, auch Männer mit klaren Konflikten, zum Beispiel den Soldaten Katczinsky in der Remarque-Neuverfilmung von "Im Westen nichts Neues". Matthias beschreiben Sie selbst als roboterhaft. Ein Schritt in eine völlig neue Richtung für Sie als Schauspieler?
Ja, schon. Ich habe gemerkt, dass ich sonst immer Figuren gespielt habe, die eine klare Haltung hatten, mit denen immer eine hohe Energie in den Raum kam. Die standen so unverkennbar für etwas, hatten eine besondere Farbe. Aber dieser Mensch ... Da ist keine Energie. Matthias passt sich immer an, wartet immer auf Input. Er hat eine Riesenangst vor Konflikten, lebt eigentlich in einer konfliktfreien Welt. Konflikte aushalten zu müssen bedeutet auch, sich selbst als ungeformt ertragen zu können. Das ist Matthias nicht gewohnt. Und daher ist er immer bemüht, andere zufriedenzustellen, während er damit selbst immer farbloser wird.
War das Drehbuch, das auch von Bernhard Wenger stammt, schon komplett fertig? Konnten Sie Einfluss nehmen, im Drehbuchstadium oder während der Dreharbeiten?
Bernhard Wenger hat ein extrem ausdefiniertes, quasi architektonisches, in sich stimmiges Gebilde auf den Tisch gelegt. Was völlig irre war. Denn so eine ausgearbeitete Vision ist mir selten untergekommen. Bernhard hat sich die Geschichte über Jahre sehr genau überlegt und, ja, da konnte ich mich einfach nur dranhängen und das so gut wie möglich spielen. Wir haben übrigens auch herausgefunden, dass wir einen ähnlichen Filmgeschmack haben: Es ist wohl ziemlich offensichtlich, dass Ruben Östlund und Giorgos Lanthimos den "Pfau" inspiriert haben.
Ja, das sieht man.
Unsere gemeinsame Arbeit bestand dann vor allem darin, herauszufinden, wie sehr bestimmte Situationen aufgedreht oder gedimmt werden. Es sind ja so absurde Momente drin, die sagen schon genug über den Charakter aus, da kann man sich darstellerisch zurücknehmen. Da gibt es diese Sexszene, während der Matthias' kleiner Hund so zwischen den Beinen der beiden herumwuselt. Das erzählt ja auch viel über die Hauptfigur. Da muss ich als Schauspieler nichts machen.
Der Pfau schlägt sein Rad während der Balz. Matthias hat da wenig Glück. Man denkt viel über das Thema Männlichkeit nach, wenn man den Film schaut. Es gibt verquere Vaterfiguren darin und eine Handwerkerin, die Matthias anfährt, ob er etwa Probleme damit habe, wenn eine Frau die Heizung repariert. Woraufhin er sich beeilt zu sagen: Nein, natürlich nicht! Also, es geht um die Krise der Männlichkeit, wie ja in den meisten Filmen von Östlund, den Sie eben erwähnt haben.
Ja, es geht auch um die Frage, wie ein Mann sein sollte. Matthias versucht's einmal als Retter, indem er eine Situation inszeniert, in der er vor seiner Exfreundin, die er zurückgewinnen will, den Helden spielt. Aber die durchschaut das Spiel. Er ist eben nicht der spontane, zupackende Typ, derjenige, der die Entscheidungen trifft. Matthias ist das unbeschriebene Blatt, das in den Raum flattert und darauf wartet beschrieben zu werden. Aber dieses "Blatt" hat trotzdem sein Eigenleben. Ich hatte immer Rollen mit einem großen emotionalen Kern. Vielleicht hat Bernhard deshalb gedacht, ich könnte der Richtige für diesen Part sein. Weil ich das Emotionale automatisch mitbringe.
Der Regisseur hat sie als Macho gesehen, der jetzt den stromlinienförmigen Gegentyp spielen soll?
Nein, nein, nein, gar nicht. Er hat wohl nur gemeint, bei mir gibt’s noch etwas, das sich nicht ganz ausbremsen lässt, dieses Emotionale, selbst bei einer so reduzierten Figur, die ich hier spiele. Aber das sind alles Hypothesen. Und zuviel Selbstbetrachtung.
Einmal sitzt Matthias im Publikum einer Performance. Auf der Bühne bekleckert sich ein nackter Künstler mit Farbe und springt dann mehrmals gegen eine weiße Hintergrundfläche, die er als lebendes Malutensil zunehmend einfärbt. Matthias bekommt während der Aufführung einen Nervenzusammenbruch. Können Sie mit dieser Art Kunst etwas anfangen? Performance ist ja nicht jedermanns Sache...
Auf jeden Fall. Ich finde zum Beispiel Florentina Holzinger ganz großartig. Und ich gehe sehr gerne ins Museum, gucke mir Tanzaufführungen und eben auch Performances an. Und ich empfand das hier auch als sehr passendes Bild: Da wirft sich jemand lustvoll ins Leere. Und Matthias möchte das eigentlich auch tun. Aber er kommt aus diesem Theater nicht raus.
Die Figur dreht sich ohnehin im Kreis. Am Schluss performt er selber, während eines Auftrags. Es ist ein Ausbruchsversuch, aber die Leute beklatschen ihn. "Pfau" firmiert als Tragikomödie. Hält sich das Tragische und das Komische für Sie in der Waage?
Ja, auf jeden Fall. Ich mag das Dazwischen, weil es sehr poetisch ist und ganz viel mit dem wahren Leben zu tun hat.
Das Komische, heißt es immer, sei schwerer herzustellen.
Das stimmt. Es wird oft vergessen, dass das Komische eigentlich auf dem Dramatischen fußt. Nur dort wird es wirklich komisch, wo Leichtigkeit und Katastrophe nah beieinanderstehen. Wie im Leben. Es braucht diesen Lebensbezug, sonst ist es nicht witzig.
Katastrophe ist das Stichwort. Gerade ist Donald Trump zum Präsidenten vereidigt worden.
Ja, eine Katastrophe, die sich lange angebahnt hat. Und wenn wir den Bezug zu unserem Film sehen wollen: Das Problem liegt in den Äußerlichkeiten, in der Oberflächlichkeit, in der Suche nach einfachen Lösungen. Matthias will immer ein gutes Bild abgeben, den Schein wahren, er blendet die Probleme lieber aus, anstatt sie anzugehen. Er will nach außen hin ein perfektes Bild abgeben und meidet soziale Situationen. Das macht traurig, einsam, depressiv.
Man könnte denken, dass Schauspielerinnen und Schauspieler kaum einsam sind, weil da immer so viel Interaktion mit anderen ist...
Oh doch, das ist bei Schauspielern nicht anders als bei anderen Menschen auch. Gerade der Widerspruch zwischen einem spannenden, vielseitigen, wechselhaften Leben und der Stille, die eintritt, wenn man keine Angebote hat - das ist eine große Herausforderung in diesem Beruf.
Bis in die 2010er-Jahre haben Sie vor allem Theater gespielt, dann vor allem Filme gedreht. Fehlt Ihnen die Bühne?
Ich bin froh, dass ich aus eigenen Stücken entschieden habe: Film ist das, was ich jetzt gerade gerne machen möchte. Das habe ich mir erarbeitet, abgesehen von dem Quäntchen Glück, was immer hineinspielt. Manchmal vermisse ich das Theater, stimmt schon.
Was vermissen Sie daran?
Das Situative. Das Surfen durch einen Abend, der zwischen einer und sechs Stunden lang sein kann. Dass die Reaktionen mal so und mal so ausfallen – was einen besonderen Zauber hat. Diese zauberhaften Momente beim Filmemachen sind viel kürzer. Eher sternschnuppenartig.
Mir ist ohnehin schleierhaft, wie Darsteller bei der Kleinteiligkeit des Filmedrehens den Kontakt zu ihrer Figur behalten.
Naja, das ist die Basisarbeit, die ich leisten muss - für diese eine Szene und in dieser speziellen Stimmung am Start zu sein. Man bereitet sich vor, im Hotelzimmer oder zuhause, falls in der eigenen Stadt gedreht wird.
Sind Ihnen bestimmte Szenen im "Pfau" richtig schwergefallen?
Ach, die ganze Rolle war so schwer.
Es fing schon beim Casting an, haben Sie gesagt.
Ja. Ich habe nichts begriffen. Mir fehlte die Erdung, die Verbindung zum Körper von Matthias, zu seiner Gedankenwelt und seinen Gefühlen. Sonst gelingt mir der Kontakt immer, gleich beim Casting. Erst das Emotionale, dann das Äußerliche, die Gestik und die Mimik. Dass es diesmal nicht funktionierte, hat mich total verunsichert. Ich habe richtig körperliche Krämpfe gekriegt. Dass dieser Mensch nichts macht! Zum Verrücktwerden. Glücklicherweise fand in Wien das ImPulsTanz-Festival statt, da bin ich hingegangen, sooft es der Drehplan zugelassen hat. Und ich bin viel schwimmen gegangen. Alles, um einen Impuls zu bekommen. So konnte ich am Ende sozusagen den Schalter umlegen.
Was für ein Publikum wünschen Sie dem "Pfau"?
In Wien, wo wir gedreht haben, ist mein Lieblingskino: das Gartenbaukino an der Ringstraße. Da habe ich zum ersten Mal erlebt, dass die Leute nach einer Kinovorstellung sitzen geblieben sind. Nicht nur einmal, sondern öfter war es so, dass einige im Publikum den Film im Saal noch nachwirken ließen. Das finde ich sehr schön, wenn ein Film eine Verbindung zwischen Menschen herstellt.