Den chinesischen Konzeptkünstler Ai Weiwei lässt das Schicksal der Mittelmeer-Flüchtlinge nicht mehr los. In Prag präsentierte der 59-Jährige am Donnerstag sein bisher größtes Projekt zu dem Thema: Ein 70 Meter langes Schlauchboot, auf dem 258 überlebensgroße, aufblasbare Figuren von Schutzsuchenden sitzen. Die dunkle Installation schwebt an Drahtseilen im Raum. Ein von Rettungswesten umgebenes Prisma spiegelt das Monument.
"Können wir denn wirklich unseren Lebensstil in Europa weiterführen und diese Situation ignorieren", fragte Ai Weiwei in Prag. Europa trage eine große Verantwortung, denn es sei bisher keine Lösung in Sicht. Das gigantische Schlauchboot ist Teil der Ausstellung "Law of the Journey" (Gesetz der Fahrt), die bis zum 7. Januar 2018 in der tschechischen Nationalgalerie zu sehen ist.
Ai Weiwei ließ das Riesen-Plastikboot in einer chinesischen Fabrik herstellen. "Wir haben dort gefragt, wohin gehen eure Boote? Und sie haben gesagt: die Türkei", erklärte der Künstler. Erstmals in Europa ist in Prag auch Ai Weiweis "Laundromat" zu sehen: Er sammelte Kleidung, die Flüchtlinge im griechischen Lager Idomeni zurückgelassen hatten, und bügelte sie.
Allein in diesem Jahr starben nach Angaben der Migrationsorganisation IOM 525 Menschen bei der gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer; im vorigen Jahr waren es mehr als 5000. "Das ist sowohl eine Tragödie als auch ein Verbrechen", sagte Ai Weiwei. Der prominente Kritiker des Regimes in Peking pendelt zwischen Ateliers in Berlin und Peking.
Dass Ai Weiwei seine Mega-Skulptur in Tschechien präsentiert, ist pikant: Nach Umfragen ist die Mehrheit der Menschen in dem EU-Mitgliedsstaat gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Mitteleuropa erlebe derzeit eine Welle der Hysterie, sagte Jiri Fajt, der Leiter der Nationalgalerie in Prag. "Das ist genau der Grund, warum wir dieses Projekt gestartet haben." Die Angst vor dem Fremden sei normal, sagte Ai Weiwei, mahnte aber: "Wir dürfen nur einen Maßstab haben - und das ist die Menschenwürde."