Die Frau mit der gewagt gefärbten Pilzkopffrisur sitzt auf der Bühne eines Opernhauses. Für das filmische Porträt "Varda par Agnès" blickt die im vergangenen Jahr mit 90 Jahren verstorbene Regisseurin natürlich nicht chronologisch zurück. Ihre Gedanken springen entlang einer Begriffskette von Inspiration, Kreation und dem Teilen assoziativ hin und her. Die Anekdoten reißen nicht ab. Die Methode entspricht der für sie typischen "Cinécriture" aus Sprüngen, Brüchen, persönlichen Beobachtungen und Mischformen wie dem dokumentarischen Realismus.
Mal erzählt sie von den Vorteilen der Digitalkamera, mal von der Entstehung des Kurzfilms "Uncle Yanco" von 1967, der von einem Verwandten in Kalifornien handelte. Beruf: Maler. Das Private wechselt mit Bildern, die tief in die Zeitgeschichte eintauchen, brennende Autos, Proteste und Gewalt. Dazu gehören auch Vardas Erlebnisse mit amerikanischen Hippies und den Black Panthers, die Zeit als Fotoreporterin oder die Zusammenarbeit mit Andy Warhol und Jim Morrison für den Film "Lions Love" von 1969.
Die wandelnde Kartoffel in Venedig
Der Frauenbewegung setzt sie 1977 mit "Die eine singt, die andere auch" ein Denkmal. Weibliche Filmschaffende, mit denen sie gearbeitet hat, nennt sie Komplizinnen: Jane Birkin, Nurith Aviv oder Sandrine Bonnaire, die Landstreicherin aus "Vogelfrei". Aber auch die Händler und Handwerker der Pariser Rue Daguerre, wo auch die berühmte Fotografin Gisèle Freund jahrzehntelang wohnte, werden mit einer Hommage gewürdigt. Dann folgt man der sich selbst kuratierenden Ikone mit dem unzerstörbaren Optimismus an die Côte d’Azur, reist nach Kuba und Los Angeles.
Und natürlich nach Venedig zur Kunstbiennale, wo sie frisch vom Acker kommende Kartoffelherzen in einer Installation ausstellte und verkleidet als fleischgewordene Riesenkartoffel durch die Giardini flanierte. Der Strand, ihr liebster Aufenthaltsort, darf ebenfalls nicht fehlen. Hier plaudert sie mit dem Streetart-Künstler JR. Dazwischen flimmern Ausschnitte aus ihren Filmen vorbei, begleitet von klugen Gedanken über Glück, Angst, Empathie und Tod. Stendhal, den sie mit dem Satz zitiert, ein Selbstporträt sei wie ein wandelnder Spiegel, wäre wohl zufrieden mit dieser hoch konzentrierten Recherche im eigenen Lebensfluss. Zum Schluss legt sich Nebel über die Wellen und saugt die zierliche Gestalt ein. Ein schwebend heiteres Bild zum Abschied. Bon voyage, Madame Varda!