La Centrale Électrique, Brüssel

Afrikanische Abenteuer

Es ist nur eine fensterlose Fabrikhalle, aber darin ein ganzes Universum. In der Mitte ein mit Stacheldraht umzäuntes Gelände. Berge von roten Plastikhandschuhen imitieren einen unüberwindlichen Graben und verbreiten schwindelerregend süßliche Ausdünstungen. Das Deckenlicht knallt auf den Insassen so unbarmherzig wie der Blick der privaten Sicherheitskräfte, die ihre Position auf Mauern unter dem Gewölbe eingenommen haben. Das lebensgroße Hybridwesen, das es zu bewachen gilt, gibt sich seltsam unbeeindruckt, als wäre es freiwillig zum Komplizen eines Ionesco-Plots geworden.

Wohl fühlt man sich nicht als Zeuge dieser magischen Schreckenbühne, auf der alles zwar eingefroren scheint, aber die Eskalation hinter jedem Schritt lauert. Die raumgreifende Installation „Security“ (2006/2009) erzeugt die Illusion von diffuser Unterdrückung, entpuppt sich aber als perfide Einladung, das Lebensgefühl einer Gated Community am eigenen Leib zu erfahren.

Diese Wohnform für Wohlhabende ist in dem Südafrika der Post-Apartheid-Ära weit verbreitet. Jane Alexander, 1959 in Johannesburg geboren, wuchs in der Schicht der weißen Privilegierten auf. Das Lebensthema der Bildhauerin, deren Vater 1936 als Jude Berlin verlassen musste, ist das Trauma einer Gesellschaft, die dem Rassenwahn erlegen war; übersetzt in märchenhaft choreografierte und zugleich politisch aussagekräftige Szenerien. Natürlich fehlt auch in Brüssel nicht das „Afrikanische Abenteuer“ (1999/2002), das sie schon in ihrer ersten europäischen Einzelausstellung im Gebäude der Daimler Chrysler Contemporary in Berlin zeigte.

Der Titel bezieht sich auf Reisebüros in Kapstadt, die Expeditionen ins Landesinnere organisieren, auf der Suche nach einem archaischen Afrika, das mit den Erwartungen der überwiegend europäischen Touristen übereinstimmt. Deshalb lässt Alexander die Einheimischen nackt auftreten, nicht selten mutiert zu humanoiden Raubvögeln oder Hyänen, deren schaurige Metamorphose es auszuhalten gilt. Die Skulptur eines dunkelhäutigen Arbeiters versetzt gleich am Eingang in Alarmbereitschaft. Macheten, Sicheln und Minitraktoren hängen an einer Leine um seine Hüften und hinterlassen am rötlich sandigen Boden rätselhafte Spuren. Der Kopf steckt in einem weißen Stoffsack. Ist er ein Vertreter des agrarischen Wiederaufbaus oder doch nur ein Flüchtling, der seine Ketten nicht abzuschütteln vermag? Um das mehrfigurige Gipsensemble der „Bom Boys“ (1998) sollte man sich in diesem unstabilen Umfeld ebenfalls Sorgen machen. Die kindlichen Gestalten, deren Identität und Hautfarbe hinter animalischen Masken verschwinden, strahlen Verlassenheit aus.

Der urbane Dschungel verspricht keine ruhige Adoleszenz, zumal diverse Holzkisten in kabinettartigen Nebenräumen vor Sprengstoff warnen, Madonnenerscheinungen in Hochzeitskleidern an Wänden spuken und eine paramilitärische Truppe, einem aufrecht marschierenden Rattenheer nicht unähnlich, als „Infantry“ (2008/2010) für Unbehagen sorgt. Neben den in ihrer materiellen Unmittelbarkeit unter die Haut gehenden Lektionen der condition humana sind es Serien von Fotomontagen, die sich den Trampelpfaden handelsüblicher Attraktionen widersetzen und einen Blick in ungemütliche Randzonen des südafrikanischen Alltags wagen.

Dazu passt auch der Ausstellungsort vorbildlich, nicht nur, weil sich die suggestiv ausgeleuchteten Räume der ehemaligen Elektrizitätszentrale dank mehrerer Ebenen wunderbar für Alexanders Erfahrungslandschaften eignen. Auch das sämtliche Gegensätze der Stadt aufgreifende Ambiente außerhalb der Museumsmauern, bestehend aus Modeboutiquen, Galerien, Obdachlosenheimen und Kebabbuden, könnte nicht besser gewählt sein.

La Centrale Électrique Brüssel, bis 21. August