"Wenn die AfD die Antwort ist, wie dumm war dann die Frage?", steht am Sonntagmittag auf einem Demonstrationsbanner an der Berliner Siegessäule, und eigentlich möchte man es dabei belassen: die lustigeren Sprüche ("Wish you were queer"; "Liberté Egalité FckAfdé"), die bessere Musik, die Schönheit Tausender in der Sonne tanzender Körper, die Faktizität der Freude sind hier, die Botschaft simpel und richtig: gegen den Hass.
Doch der Haufen AfD-Demonstranten am Berliner Hauptbahnhof ist am Sonntag nicht nur von einem Dutzend Gegendemonstrationen umringt, sondern auch von zwei Ausstellungen zu den kulturellen Debatten der 20er- und 30er-Jahre, die auf unheimliche Weise aktuell wirken. Der Hamburger Bahnhof will mit "Hello World" den eurozentrischen Beschränkungen der eigenen Sammlungspolitik entkommen und erinnert an Intellektuelle wie Walter Benjamin und die vielen Künstler der Avantgarde-Bewegungen, die vor Faschismus und Nationalsozialismus fliehen mussten. Während hier Kunstgeschichten jenseits des westlichen Kanons skizziert werden, entwirft das Haus der Kulturen der Welt (HKW) einen Parcours durch die diskursiven Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit – Ausgangspunkt sind die Schriften des Kunsthistorikers, Kritikers, Dichters und Anti-Faschisten Carl Einstein, der sich 1940 auf der Flucht vor den Deutschen das Leben nahm.
Wie unsere Gegenwart war auch jene Epoche geprägt von dem Eindruck nicht enden wollender Krisen: Krise des Kapitalismus, Krise der Demokratie, die Gewalt des Kolonialismus, der Verlust sozialer Bindekräfte, die Verunsicherung des Denkens durch technische Entwicklungen, die Erschütterung des Subjekts durch Psychologie und Ethnologie - in einem Brief von 1931 beklagt Einstein die "Krise" als "Dauerzustand" und als zentrale Kategorie, die die Wissenschaften, die kulturkritische Diagnostik wie die politische Propaganda beherrschte.
Um dem Leben in dieser "falschen Gegenwart" zu entkommen, gab es, damals wie heute, zwei Wege: Abschottung und Revanchismus – oder das Anerkennen von Veränderungen und den Versuch, neue Modelle einer toleranten und humanen Kollektivität aufzubauen. Die formale Kühnheit in den Fotografien, den Filmen, Skulpturen und Malerei der internationalen Avantgarden, vor allem aber die Flut an Publikationen, die das HKW zusammengetragen hat, demonstrieren eine unfassbar lebendige, ausdifferenzierte Debattenkultur – und doch weiß man natürlich auch, wie die 30er-Jahre dann realpolitisch endeten.
Draußen haben sich mittlerweile Zehntausende Gegendemonstranten um das Brandenburger Tor versammelt. Zum sogenannten "Tag der Abrechnung" sind deutlich weniger AfD-Anhänger gekommen, als die Veranstalter erwartetet hatten, und doch ist es ein beklemmendes Gefühl, als plötzlich schwarz-rot-goldene Fahnen über dem Platz geschwenkt werden, die Lautsprecher angehen. Von der Notwendigkeit, eine "Festung Europa" aufzubauen, sprechen die AfD-Redner, von der Beschneidung der Meinungsfreiheit durch ein "Zensurgesetz", von der gescheiterten Angela Merkel, den gescheiterten Parteien, der gescheiterten Europäischen Union, der gescheiterten Integration.
Die bemüht-zackigen Reden lassen die auf dem Platz verstreuten AfD-Anhänger noch etwa verlorener wirken. Man sieht viele vereinzelte herumstehende Männer im Frührentenalter, viele Khakihosen und Trekkingsandalen und Sportler-Sonnenbrillen und verschränkte Arme, von Verbitterung und Bockigkeit geformte Körper. "Merkel - Nein, Islam - Nein, Wollt ihr ewig Sklaven sein?", hat ein Demonstrant auf eine Pappe geschrieben. Der Kreisverband Osterholz-Verden ist mit zwei Mann dabei und der Forderung "Stoppt den Genozid an den Deutschen!"
In Umfragen liegt die AfD zurzeit bei rund 15 Prozent.