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"Ich kann den Potsdamer Platz nicht finden. Hier? Das kann er doch nicht sein", sagt der Engel Homer in Wim Wenders Vor-Wende-Klassiker "Der Himmel über Berlin". Er sieht sich auf dem Brachland um, wo einst die Lichter der Großstadt funkelten. Der Platz im historischen Stadtkern wurde nach dem Krieg und der deutschen Teilung zum Nicht-Ort. Nichts erinnerte im Herbst '87 mehr an die goldenen Nächte der Weimarer Republik.
Seit einigen Jahren wandelt sich der Potsdamer Platz, der einst Künstlercafés wie das Josty oder Vergnügungspaläste wie das sagenumwobene Haus Vaterland beherbergte, wieder zu einem Ort des öffentlichen Miteinanders, der von der Nachbarschaft zu Museen, Kinos und Konzerthäusern profitiert.
Nun soll auch hier die Kultur wieder zum Leben erweckt werden: Pünktlich zur Berlin Art Week feiern die Potsdamer Platz Arkaden nach ihrer Renovierung unter dem neuen Namen The Playce am 15. September Wiedereröffnung. Das Spielen steckt im Titel und das Erleben im Fokus des Projekts, das bis 2025 sukzessive zur Vollendung gebracht werden und den Ort rund um das Gebäude grundlegend transformieren soll. Anknüpfend an die Berlinale, als deren zentraler Veranstaltungsort der Potsdamer Platz dient, bildet ein kuratiertes Kulturprogramm eine der Säulen von The Playce. Den Anfang macht eine Ausstellung mit acht lokalen wie internationalen künstlerischen Positionen im Innen- und Außenbereich.
Als Begegnungsraum für Kunst, Architektur und Design möchte die "Art Extravaganza", so der Titel der Ausstellung, an die Geschichte des Potsdamer Platzes anknüpfen. Die unterschiedlichen Interventionen setzen sich intensiv mit seiner Historie auseinander – widmen sich jedoch auch der Metropole im Europa des 21. Jahrhunderts, in der unterschiedliche Kulturen zusammentreffen, und der Stadt als kreativem Experimentier-Raum.
So sind etwa die "Breathing Chandeliers" des Design-Teams um Katharina Mischer und Thomas Traxler eine Hommage sowohl an die kulturelle Vielfalt Berlins als auch an die Ballsäle in der Hauptstadt der goldenen Zwanziger. Die kinetischen Deckenobjekte in Form bunter Kronleuchter sind inspiriert von vier Ländern, die die Geschichte Deutschlands grundlegend geprägt haben: Syrien, die Türkei, Italien und Polen. Die türkische Grafikerin Esra Gulmen verhandelt in ihrem Beitrag, einem mit comichaften Emojis verzierten Torbogen am Eingang der Arkaden, die Offenheit, für die die Hauptstadt heute steht.
Ode an Berlin
Die Praxis der Berliner Künstlerin Claudia Wieser knüpft an das Wirken von Künstlern wie Wassily Kandinsky und Paul Klee an. Als gelernte Kunstschmiedin lässt sie auch Anleihen an das Kunsthandwerk in ihre Arbeit einfließen. Ihre Raumobjekte, Drucke und Vasen erwecken Assoziationen an die Farbenlehre von Johannes Itten und die grafischen Muster der Wiener Werkstätten.
Dass Berlin vor allem für seine Club-Kultur bekannt ist – in den alten wie den neuen Zwanzigern – ist nicht zu leugnen. Mit seinen interaktiven Klang-Skulpturen in Form bunter verschlungener Trompeten spannt der japanische Soundkünstler, Bildhauer und DJ Yuri Suzuki zugleich einen Bogen zur nahegelegenen Berliner Philharmonie. Ein visuelles Pendant bieten die Spiegel-Installationen des Kanadiers Jordan Söderberg Mills, die mit ihren Lichtbrechungen einen Blick in multiple Reflexionen der Realität erahnen lassen - eine Analogie zu den Multiversen im digitalen Raum.
Das Untergeschoss dient schließlich als Ausstellungsfläche für eine Reihe von großen Wandarbeiten. Der Pariser Damien Poulain greift für seinen Beitrag auf geometrische Grundformen zurück. Seine Reihe schräger Vögel, die "Potsdamer Platz Birds", blickt neugierig auf die Vorbeilaufenden.
Die Arbeit des Mailänder Duos Carnovsky, bestehend aus Francesco Rugi und Silvia Quintanilla, wirkt auf den ersten Blick geradezu psychedelisch. Das Wimmelbild im RGB-Schema eröffnet überlagerte Bildräume, ein Säulengang wird zu einer mittelalterlichen Märchenwaldszene. Es ist ein Spiel mit Innen und Außen, eine Untersuchung von Architektur und Raum. Der letzte Künstler in der Liste ist der in Berlin ansässige Sebastian Haslauer. In seiner Collage verbindet er historische Fotos des Potsdamer Platzes mit bunten Gestaltungselementen. Und wer genau hinsieht, entdeckt gleich zwei Mal die 1924 in Betrieb genommene Ampelanlage auf den historischen Bildern – die erste Berlins in der Ära der Weimarer Republik.