Lob der Abwesenheitsnotiz

Ich bin dann mal weg

Filmtafel in der HfG Karlsruhe, 2018
Foto: Jörg-Stephan Carl

Filmtafel  von Philip Lawall in der HfG Karlsruhe, 2018

Out-of-Office-Nachrichten sind ein Phänomen sommerlicher Ungerechtigkeit: Die einen schwitzen im Büro, die anderen sind im Urlaub. Dabei sollte man den Texten mehr Aufmerksamkeit widmen: Denn sie können eine ganz eigene Kunst sein

Miteinander zu sprechen ist oft Enttäuschung. In seinem Text "Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation" von 1981 nennt der Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann all die Unzulänglichkeiten, die verhindern, dass wir uns verstehen. Nicht kommunizieren ist allerdings auch keine Lösung - denn dann gibt es laut Luhmann keine menschlichen Beziehungen. Also reden und schreiben wir weiter vor uns hin und leben mit den sozialen Rückschlägen.

Im Sommer, wenn sich gefühlt alle Welt aus den Bürostühlen stemmt und in den Urlaub entschwindet, ereignet sich zuverlässig eine besondere Art der kommunikativen Enttäuschung: Auf einen beträchtlichen Teil der Arbeits-E-Mails zwischen Mitte Juni und Ende August folgen prompt und unerbittlich Abwesenheitsnotizen. Der Wunsch, den der Absender geäußert hat, bleibt vorerst unerfüllt, Fragen müssen der Antwort harren und die gesendeten Informationen, so relevant sie auch sein mögen, landen im digitalen Limbo.

Out-of-Office-Nachrichten in der Ferienzeit zementieren die Ungerechtigkeit des Sommers: Die einen schwitzen sich vor dem Rechner durch die Extremtemperaturen, die anderen (so zumindest die Projektion der Daheimgebliebenen) stecken die Füßen in blaue Ozeanwellen und nippen an gekühlten Getränken in Orangetönen. Schon der Erhalt einer Abwesenheitsnotiz durchbricht die meist gut geölte Kommunikationsmaschine der Schreibtischjobs und erinnert daran, dass tatsächlich Menschen mit Bedürfnissen am anderen Ende der E-Mails sitzen. Noch zumindest.

The artist is not present

Aber auch die Nachrichten selbst sind eine spezielle Art der Kommunikation, die ihre ganz eigene Poesie entfalten kann. Natürlich gibt es die nüchternen Formulierungen: weg bis dannunddann, bitte an Xy wenden. Doch gerade in der Kunstwelt scheint es einen Hang zu etwas mehr Pathos zu geben. Hier trudeln teilweise automatisch-extrovertierte Antworten wie diese ein: "Ich bin auf Nordexkursion - auch Urlaub genannt". "Die nächsten drei Wochen gehören nur mir und meiner Familie". "While you're sending this I will probably be watching the sunset." "Ich sammle gerade Erfahrungen und Eindrücke." Die eigene Abwesenheit wird hier fast künstlerisch inszeniert, die Fantasie der Leserinnen komplettiert die Andeutungen. The artist is not present.

Auch in der Kunst gibt es Beispiele von performativem Verschwinden, die legendär geworden sind. So zum Beispiel Lee Lozanos "Dropout Piece" von 1970, mit dem die US-Konzeptkünstlerin ihre zehnjährige Karriere als Akt der Selbstbestimmtheit beendete. Eine Abwesenheitsnotiz, aber für immer. Auch Charlotte Posenenske, Marcel Duchamp oder Christian Frosi haben ihren Rückzug aus der traditionellen Künstlerrolle sorgfältig inszeniert - und sind heute gerade auch für diese Gesten der Verweigerung bekannt.

Abwesenheitsnotizen ermöglichen auch Nicht-Künstlerinnen ihren mikroskopischen Lozano-Moment, und die Mini-Manifeste im Mail-Programm kann man selbst gestalten. Allerdings gibt es auch immer wieder das Phänomen, dass eine offenbar arbeitswütige Person zwar eine Out-of-Office-Mail verschickt, eine halbe Stunde später aber trotzdem persönlich antwortet. Hier ist die Unterbrechung des Kommunikationsflusses eine Finte, die Abwesenheit eine Illusion. Klingt irgendwie nach Selbstausbeutung - oder nach Performancekunst.