Das ist jetzt der zweite Sommer, in dem ich mich an der Ausstellung "Kreuzweg – Bekenntnis für Europa" in der Berliner Nikolaikirche 2019 abarbeite. Anlass der mit dem Stadtmuseum Berlin organisierten Schau ist der 100. Jahrestag des Versailler Vertrags und des Endes des Ersten Weltkriegs. Archivbilder der zerstörten Nikolaikirche sind bis heute meine Inspiration: Zerstörung und Aufbau, Vergangenheit und Zukunft als Manifest einer "Frieden" genannten Utopie. Seitdem gibt es Skizzen, Objekte und Assemblagen, Vollendetes und Unvollendetes wie den Ecce Homo alias Digital Jesus, eine Firewall aus Screens als digitale Apokalypse, eine Geisterbahn auf Schienen durch die Gräueltaten der europäischen Geschichte, Golgatha im Geiste, nicht etwa aus Gebeinen, sondern aus Steinen von Europas Staaten.
Das Thema Kreuzweg zieht sich durch mein Leben. Im Kreuzzeichen als Schnittpunkt begegnen sich die Welt des Geistes und der Materie, des Himmels und der Erde. Vom Huppekasten über das Fadenkreuz bis zum Kruzifix, zwischen horizontal und vertikal, vom ehemaligen Folterinstrument bis zum grafischen Zeichen par excellence, vom Symbol des Todes bis hin zur Kreuzung – von Anfang an habe ich viele Interpretationen dieser besonderen Linien umgedacht und umgesetzt.
Als mir Paul Spies, der Direktor des Stadtmuseum Berlin und Chef-Kurator des Humboldtforum, mit holländischem Akzent mitteilte, er habe ein "kleines, feines Kirchlein" in Berlin, das zur Stiftung Stadtmuseum gehöre – wo er letztes Jahr Chiharu Shiota mit ihren Schnüren ausstellte –, war mir zuerst nicht klar, dass es sich um die Nikolaikirche, das älteste Bauwerk Berlins, handelte. Die Kirche ist in ost-westlicher Ausrichtung erbaut als Nukleus, in dem sich Handelswege kreuzten.
Mein Kreuz mit dem Kreuz wurde zur Kreuzung: 2019 wird das Hauptschiff der Nikolaikirche mit einer raumgreifenden Installation eines überdimensionalen, begehbaren Stahlkreuzes, das aus der Senkrechten in die Waagerechte gelegt wird, in einen universellen Kreuzweg transformiert. Professor Lüdeking von der Berliner Universität der Künste schreibt darüber: "Die Geste einer Kreuzniederlegung gleicht einer Waffenniederlegung, die Todesstrafe kann hiermit nicht mehr vollzogen werden. Im Gegensatz zu einer 'Kreuzaufrichtung', wie sie seit dem Mittelalter oft gemalt wurde, könnte man hier also von einer 'Kreuzniederlegung' sprechen. Das Kreuz wird zum Ort, an dem zwei Wege sich kreuzen."
Die Erde, auf der das Kreuz aufgebahrt wird, bringe ich aus dem europäischen Ausland nach Berlin. Unter der Schirmherrschaft von Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung und in Kooperation mit Yasha Young, Direktorin des Urban Nation Museum Berlin, wollen wir Menschen die Möglichkeit geben, diese performative Reise zu verfolgen. Besuchr können selber – a handful of Europe – in Form von Erde nach Berlin schicken, als Geste für den Erhalt Europas.