Abwesenheitsnotiz: Alexander Bornschein

"Mein Erfahrungshorizont reicht vom Fernsehgarten bis zum Berghain"

Was machen Künstler im Sommer? In unserer Serie "Abwesenheitsnotiz" bitten wir um ein Lebenszeichen. Alexander Bornschein geht mit Bands auf Tour 

Mit den Pogromen in Chemnitz auf der Titelseite ist das Sommerloch offiziell beendet, dabei habe ich in letzter Zeit kaum eine Minute in irgendeiner lochähnlichen Umgebung oder Zustand verbracht. Mit im Durchschnitt drei Gigs die Woche war ich die letzten zwei Monate immer nur mit kurzem Halt in Berlin unterwegs, habe für Pop-, Funk-, Soul-, Schlager-Acts den Sound gedreht und bin von den Seen und Bergen der Schweiz und Österreich bis in die tiefste flache deutsche Provinz gereist. Doppelstöckiger Tourbus, Prärie-Gasthof mit schlechtem Wifi-Empfang, Hotel mit defekter Klimaanlage bei 35 Grad und mein erster Businessclass-Flug mit gratis Gulaschsuppe in der Frankfurter Lufthansa-Lounge, mein Erfahrungshorizont reicht vom ZDF-Fernsehgarten bis zum Garten des Berghain. 

Auf Tour mit Bands gehe ich bald zehn Jahre. Im Sommer stehe ich fast jedes Wochenende irgendwo am Mischpult. Wenn es morgens früh hell wird, tut die Fahrt zum Flughafen nach ein paar Stunden Schlaf nur halb so weh und den Stress konnte ich schon immer besser vertragen, als einen Kater nach zu vielen Drinks in der sogenannten Freizeit. Wenn ich dann nachts um 2.30 Uhr am Steuer des Mietautos meinen Mix aus Princess Nokia, Haftbefehl und Katy Perry aufdrehe, um noch bis zum Hotel durchzuhalten, bin ich froh, mit Menschen unterwegs zu sein, die das auch gut finden. 

Ins Atelier schaffe ich es im Sommer nur für kurze Bestandsaufnahmen. Hier am Kottbusser Tor lässt sich die Hausverwaltung nun auch seit letztem Herbst bitten, einen Wasserschaden zu reparieren, der alles etwas lahmlegt. Unter der Decke hängt noch das Blatt mit meiner Schrift "Jetzt bloß nicht aufhören" und ich überlege, wie ich die Reihe an kleinen Ausstellungen und Screenings nenne, mit denen ich hier Ende September anfangen werde. Dafür wollte ich die Tage schon eigene englische Untertitel für Fassbinders TV-Serie "Acht Stunden sind kein Tag" schreiben, auf der deutschen Kauf-DVD fehlen die nämlich. Mit dem US-Import ließe sich diese Lücke schließen, also ist der Traum von meiner Untertitel-Poetik für eine westdeutsche Arbeitergeschichte erst mal ausgeträumt. An Aktualität lässt sich der Fünfteiler aus den 70ern wohl kaum überbieten.

So bin ich eigentlich immer in Bewegung, war einmal kurz im Prinzenbad und sonst auf Produktionen. Ein Zustand, der nicht wenig Einfluss auf meine Kunst hat und über dessen Entfremdungseffekte ich auch schon mal dachte, dass es den Bassisten auf der Bühne – und das war damals der von Kendrick Lamar – mehr beschäftigt, ob das wirklich Thunfisch auf seinem Salat war, als in welcher Stadt er gerade auftritt. Eine richtige Pause mache ich erst Ende September, vorher gucke ich mir die ganzen Traumurlaubs-Stories der Anderen auf Instagram an und freue mich über den Gedanken, dass Urlaubsfotos meistens auf Tinderprofilen landen.