In der Festung Suomenlinna, die mehrere kleine Inseln vor Helsinki zu einer Wehranlage verbindet, wohnen 850 Menschen, aber in einer kalten Nacht fühlt es sich dort an, als sei man ganz allein. Der Ostseewind pfeift durch die Mauerschluchten der Bastion, „die Botschaft des Todes / im Laut von Tausenden Kanonen“, die einst der Poet Johan Ludvig Runeberg in seinem Gedicht über dieses „Gibraltar des Nordens“ besang, schläft in den überall auf den Inseln vor sich hin rostenden Geschützen.
Die finnische Künstlerin Nina Backman wirkt in ihrem dicken Parka wie eine Polarforscherin. Tatsächlich sie hat eine Mission in diese Festung der Einsamkeit geführt: Im Rahmen eines Aufenthaltsstipendiums des staatlichen Helsinki International Artist Programme (HIAP) verbarrikadierte sie sich im Winter wochenlang in Suomenlinna, um mit anderen Künstlerinnen aus Europas Norden über die Stille nachzudenken. „Ich glaube, dass nordische Frauen ein ganz eigenes Verhältnis zur Stille haben“, sagt die in Lappland aufgewachsene Backman (hier im Interview). Sie sieht den Grund dafür im Jedermannsrecht: In Skandinavien sind Land und Wälder für alle da, selbst auf Privateigentum darf gewandert und gezeltet werden. Es gibt somit genug Rückzugsmöglichkeiten.
Backman, die heute in Berlin lebt, möchte herausfinden, ob diese Tradition auch in der Großstadt einen Platz findet. Über Performances im Stadtraum, die sie auf Film festgehalten hat, ist sie schnell bei der Frage gelandet, wo dort überhaupt Ruhe zu finden sei. Daraus ging ihr „Silence Project“ hervor. Es soll Essays, Soundarbeiten, Apps, Ausstellungen und andere Events umfassen.
Hinter den dicken Mauern von Suomenlinna haben die Künstlerinnen eine erste Schau eingerichtet. Die Isländerin Rebekka Guðleifsdóttir, beliebt bei der Online-Fotocommunity Flickr, präsentiert Aufnahmen, auf denen sie selbst in der spektakulären Natur ihrer Heimat zu sehen ist. Sie erzählt, dass sie als Kind begeistert vor dem Radio hing und bei den Wetternachrichten von all den abgelegenen Orten auf Island hörte, auf denen meteorologische Stationen stehen: Akureyri, Ásgarður, Blönduós, Húsafell, Ingólfshöfði, Sandskeið ... reinste Poesie. Ihre Fotos entstanden an diesen Orten. Die Künstlerin hat sich dort als menschliche Wetterstation inszeniert: Das Wehen ihres Kleides, das Aufrichten des Haares im Wind zeigen das Wetter an, sind selbst Teil davon.
Die Finnin Marja Helander fotografiert menschenleere Orte bei Nacht, aber bei ihr wirkt das Leuchten einer Tankstelle im Schnee nicht wie ein postapokalyptisches Relikt der Moderne, sondern wie ein Element der Landschaft. Die Stille umfängt alles. Die Stille ist bei allen Künstlerinnen positiv besetzt. Sie ist nicht: Verlassenheit, Entsolidarisierung, Zweifel, Schmerz.
Für die Künstlerinnen ist Stille nicht nur Thema, sondern Voraussetzung ihrer Arbeit. Im Studio suchen sie eine Atmosphäre, die Kontemplation ermöglicht. Stille ist hier weit mehr als die Abwesenheit von Lärm, sie ist Kraftquelle, Ethos und vielleicht auch Erfahrung einer metaphysischen Dimension. Politisch wird sie bei Nina Backman und Sari Palosaari, die mit ihren Video- und Fotoarbeiten auch städtebauliche Verteilungskämpfe um Ruhenischen ansprechen. Stille hat, wer über Geld verfügt.
Im Rahmen des „Silence Project“, das auf Suomenlinna ausgeheckt wird, entsteht in Zusammenarbeit mit dem Berliner Programmierer und Kunstsammler Ivo Wessel eine App, die zu den leisesten öffentlichen Orten der Stadt führen wird. Außerdem sammelt das Projekt Ideen von Künstlern, Wissenschaftlern, Urbanisten, Flaneuren oder auch nur ruhebedürftigen Bürgern aus aller Welt. Und jetzt wird die Ausstellung zum „Silence Project“ im Berliner Projektraum Meinblau gezeigt.
Es ist paradox: Seit Nina Backman das „Silence Project“ gestartet hat, kommt sie kaum zur Ruhe. Selbst beim „Silence Dinner“, an dem für einen Abend die beteiligten Künstlerinnen stumm miteinander essen, steht sie im Flur und dirigiert flüsternd die Kellner. Ein Stunde lang hört man nur das Klappern des Bestecks und den Wind, der an den schweren Festungstüren rüttelt. Dann schlägt Nina Backman einen Gong – 60 Minuten sind vorbei. Sofort klingelt irgendwo im Raum ein Handy.
„Silence Project“, Projektraum Meinblau, Berlin, 5. bis 30. April; Eröffnung: 4. April, ab 18 Uhr
Die finnische Künstlerin Nina Backman wirkt in ihrem dicken Parka wie eine Polarforscherin. Tatsächlich sie hat eine Mission in diese Festung der Einsamkeit geführt: Im Rahmen eines Aufenthaltsstipendiums des staatlichen Helsinki International Artist Programme (HIAP) verbarrikadierte sie sich im Winter wochenlang in Suomenlinna, um mit anderen Künstlerinnen aus Europas Norden über die Stille nachzudenken. „Ich glaube, dass nordische Frauen ein ganz eigenes Verhältnis zur Stille haben“, sagt die in Lappland aufgewachsene Backman (hier im Interview). Sie sieht den Grund dafür im Jedermannsrecht: In Skandinavien sind Land und Wälder für alle da, selbst auf Privateigentum darf gewandert und gezeltet werden. Es gibt somit genug Rückzugsmöglichkeiten.
Backman, die heute in Berlin lebt, möchte herausfinden, ob diese Tradition auch in der Großstadt einen Platz findet. Über Performances im Stadtraum, die sie auf Film festgehalten hat, ist sie schnell bei der Frage gelandet, wo dort überhaupt Ruhe zu finden sei. Daraus ging ihr „Silence Project“ hervor. Es soll Essays, Soundarbeiten, Apps, Ausstellungen und andere Events umfassen.
Hinter den dicken Mauern von Suomenlinna haben die Künstlerinnen eine erste Schau eingerichtet. Die Isländerin Rebekka Guðleifsdóttir, beliebt bei der Online-Fotocommunity Flickr, präsentiert Aufnahmen, auf denen sie selbst in der spektakulären Natur ihrer Heimat zu sehen ist. Sie erzählt, dass sie als Kind begeistert vor dem Radio hing und bei den Wetternachrichten von all den abgelegenen Orten auf Island hörte, auf denen meteorologische Stationen stehen: Akureyri, Ásgarður, Blönduós, Húsafell, Ingólfshöfði, Sandskeið ... reinste Poesie. Ihre Fotos entstanden an diesen Orten. Die Künstlerin hat sich dort als menschliche Wetterstation inszeniert: Das Wehen ihres Kleides, das Aufrichten des Haares im Wind zeigen das Wetter an, sind selbst Teil davon.
Die Finnin Marja Helander fotografiert menschenleere Orte bei Nacht, aber bei ihr wirkt das Leuchten einer Tankstelle im Schnee nicht wie ein postapokalyptisches Relikt der Moderne, sondern wie ein Element der Landschaft. Die Stille umfängt alles. Die Stille ist bei allen Künstlerinnen positiv besetzt. Sie ist nicht: Verlassenheit, Entsolidarisierung, Zweifel, Schmerz.
Für die Künstlerinnen ist Stille nicht nur Thema, sondern Voraussetzung ihrer Arbeit. Im Studio suchen sie eine Atmosphäre, die Kontemplation ermöglicht. Stille ist hier weit mehr als die Abwesenheit von Lärm, sie ist Kraftquelle, Ethos und vielleicht auch Erfahrung einer metaphysischen Dimension. Politisch wird sie bei Nina Backman und Sari Palosaari, die mit ihren Video- und Fotoarbeiten auch städtebauliche Verteilungskämpfe um Ruhenischen ansprechen. Stille hat, wer über Geld verfügt.
Im Rahmen des „Silence Project“, das auf Suomenlinna ausgeheckt wird, entsteht in Zusammenarbeit mit dem Berliner Programmierer und Kunstsammler Ivo Wessel eine App, die zu den leisesten öffentlichen Orten der Stadt führen wird. Außerdem sammelt das Projekt Ideen von Künstlern, Wissenschaftlern, Urbanisten, Flaneuren oder auch nur ruhebedürftigen Bürgern aus aller Welt. Und jetzt wird die Ausstellung zum „Silence Project“ im Berliner Projektraum Meinblau gezeigt.
Es ist paradox: Seit Nina Backman das „Silence Project“ gestartet hat, kommt sie kaum zur Ruhe. Selbst beim „Silence Dinner“, an dem für einen Abend die beteiligten Künstlerinnen stumm miteinander essen, steht sie im Flur und dirigiert flüsternd die Kellner. Ein Stunde lang hört man nur das Klappern des Bestecks und den Wind, der an den schweren Festungstüren rüttelt. Dann schlägt Nina Backman einen Gong – 60 Minuten sind vorbei. Sofort klingelt irgendwo im Raum ein Handy.
„Silence Project“, Projektraum Meinblau, Berlin, 5. bis 30. April; Eröffnung: 4. April, ab 18 Uhr