Herzog & de Meuron dürfen jetzt also eine große Scheune in Berlin bauen. Die Aufregung ist größer als die Scheune je sein wird, was nicht anders zu erwarten war bei diesem Entwurf. Immerhin geht es um ein Museum des 20. Jahrhunderts für Berlin, das sich gut machen soll neben der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe und der Philharmonie von Hans Scharoun. Mit dem Konzept der guten Nachbarschaft ist das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron vertraut. Das haben sie mit ihrem Erweiterungsbau für die Londoner Tate Modern bewiesen. Neben den ganzen Hochhäusern aus Glas sieht das das Gebäude aus, als hätte es sich nur kurz einen Strickpulli übergeworfen. Zum Leid der Nachbarn, den Bewohnern der Neo Bankside Pavilions. Die wohnen zwar neben der Tate, was wahnsinnig gut klingt, aber deren Besucher können ihnen nun alle ins Wohnzimmer glotzen. Das ist besonders doof, wenn man nicht einmal zurückgucken kann, wofür die Architekten natürlich gesorgt haben – mit dem Strickpulli.
Mit Scheunen aus einfachem Backstein kennen sie sich auch aus. So schlimm wird das in Berlin sicherlich alles nicht werden. Wer es nicht glauben oder abwarten mag, der setze sich ins Auto und fahre von Berlin aus Richtung Schweiz. In Weil am Rhein, ganz in der Nähe von Basel, steht nämlich schon so eine ähnliche Scheune. Ein Flachbau mit Satteldach, ohne Fenster und drinnen: viele, viele Stühle. Der Bau fungiert auf dem Vitra Campus als Schaudepot für die Sammlung des Vitra Design Museums. Auf Instagram kommt das Gebäude ziemlich gut an. Im Juni wurde es eröffnet, nach fünf Monaten gibt es bereits über 1.000 Beiträge unter dem Hashtag #Schaudepot. Wer also gerade keine 860 Kilometer zurücklegen möchte, könnte sich für einen ersten Eindruck durch Instagram klicken.
Die Scheune ist minimalistisch gebaut, auf alles Überflüssige wurde verzichtet, Fenster gehören dazu, man begnügt sich mit Backsteinen, auch der Vorplatz und die Treppen sind geziegelt – auf den Fotos auf Instagram fließt alles ineinander. Wenn der Himmel blau strahlt, scheint die ziegelrote Scheune zu glühen. "Tatsächlich kann man diese Backsteinhalle auch als Teil einer ästhetischen Ruralisierung der Stadtzentren lesen: In den Cafés des Berliner Zentrums, in den dörflich schmalen, verkehrsberuhigten Straßen servieren Menschen in Karohemden auf handgesägten, rohen Holzbrettern rustikale lokale Speisen", schreibt Niklas Maak in der "F.A.S.". Er spricht von "der Idee der ästhetischen Beruhigung, Befriedung, der kollektiven Einkehr und Heilung durchs Archetypische, durch die vormodernen Formen des Tempels und des Futterspeichers."
Da passt es doch, dass die Scheune sich auf Instagram so gut macht wie der Flat White mit Latteart. Für Instagram haben Herzog & de Meuron natürlich nicht gebaut. Trotzdem gut, wenn so eine Scheune auch fotogen ist. Berlin kann sich also beruhigt zurücklehnen und sich auf die eigene Scheune mit Kettenhemd-Optik freuen.
In Weil am Rhein musste das Schaudepot überhaupt erst gebaut werden, da im Museum kein Platz mehr für die Präsentation der eigenen Sammlung war. Auch hier sind die Nachbarn namhaft. Das Vitra Design Museum selbst wurde von Frank Gehry entworfen, der Konferenzpavillon von Tadao Ando und das Feuerwehrhaus von Zaha Hadid, das tatsächlich als Feuerwehrstation konzipiert und genutzt wurde, nachdem ein Brand das Gelände größtenteils zerstört hatte und man fortan die Feuerwehr direkt vor Ort haben wollte. Der Vitra Campus ist eigentlich in erster Linie das Produktionsgelände des Schweizer Möbelherstellers, über die Jahre wurden Produktionshallen ergänzt, beispielsweise vom japanischen Architekturbüro SANAA oder ein Rutschturm von Carsten Höller. Und dann ist da natürlich noch das VitraHaus von Herzog & de Meuron, der Flagshipstore, der sich aus zwölf langgezogenen Giebelhäusern zusammensetzt und ein bisschen aussieht, als hätte jemand zwölf Schuhkartons in eine Ecke geschmissen und sich dabei Mühe gegeben, dass es nach geordnetem Chaos aussieht. An beiden Enden des Geländes stehen jetzt also Bauten von Herzog & de Meuron. In dem einen kann man sich die Produkte ansehen und kaufen, im anderen wird die Geschichte des Möbeldesigns erzählt.
400 Ausstellungsstücke stehen im Schaudepot in Regalen, die man abschreiten kann. Man braucht dafür nicht lange, wenn man einfach nur läuft und schaut, als würde man sich zwischen den Regalen eines schwedischen Möbelherstellers bewegen, um die neue Wohnungseinrichtung an einem Samstag noch schnell zu ergänzen. Nimmt man sich die Zeit und beschäftigt sich mit den einzelnen Ausstellungsstücken, wird man daran erinnert, dass beispielsweise die Eames Plastic Chairs tatsächlich einmal als Sitzmöbel gedacht waren. Klar, Stuhl, sitzen, was sonst? Deshalb überhaupt erst der ganze Aufwand des Ehepaars Charles und Ray Eames, sich über mehrere Jahre mit der Idee einer einteiligen körpergerecht geformten Sitzschale zu beschäftigen. Bequem sollte der Stuhl beim Sitzen sein, deshalb auch die Möglichkeit, die Sitzschale je nach Anwendungszweck und Sitzposition mit einem anderen Untergestell kombinieren zu können.
Multifunktionale Stühle? Papperlapapp, so kompliziert muss es gar nicht sein. Eine Funktion reicht völlig. So ein weißer Plastic Eames Chair muss nur eins können: Auf Fotos gut aussehen, wenn man den Followern auf Instagram die neuen Turnschuhe präsentieren will. Oder wenn man mal kurz die Story vom gemütlichen Sonntag allein zu Haus erzählen möchte. Weißen Stuhl vor die weiße Wand, das Kinfolk Coffee Table Book darauf gelegt, eine Kaffeetasse wiederum auf das Buch gestellt, daneben eine Vase mit irgendwelchen hübschen Blumen drin – ja genau, auch auf das Buch stellen die Vase, daneben eine Brille legen. Und jetzt? Foto machen, auf Instagram posten, das Hashtag #onmyeames verwenden. Fertig. Den Rest des Sonntags damit verbringen, die Likes zu zählen. Geschafft, wieder ein Sonntag verbummelt. Und vielleicht regrammt der Account @onmyeames ja irgendwann das eigene Bild, macht drei Follower mehr. Schön. Der Stuhl hat seinen Zweck erfüllt.
Was ist das eigentlich für 1 Mikro-Trend, Kakteen für ein Foto auf einen Stuhl zu stellen, daneben ein neues Kleidungsstück zu drapieren, um einen schönen Tag zu wünschen? Sorgt so ein Kaktus auf einem Stuhl nicht eher für Unbehagen? Man stelle sich einmal vor, jemand setzt sich versehentlich darauf!
Falls sich das gerade jemand fragen sollte: Das Hashtag #onmysevenchair gibt es nicht. Vielleicht, weil man den Holzstuhl von Arne Jacobsen eher in schwarzer Farbe zu Hause hat und Dinge auf Schwarz fotografieren nicht so gut funktioniert. Status: Es ist kompliziert.
Und dann wünscht man sich, während man zu Hause die Sammlung Online des Vitra Design Museum durchstöbert und sich über Modelle, Materialien, Hersteller und Designer beliest, dass der Karikaturist Saul Steinberg heimlich eine Runde drehen würde durch all die Wohnungen, in denen weiße Eames Plastic Chairs stehen, um Karikaturen auf den Schalen der Stühle zu hinterlassen. Wie damals, als er Charles und Ray Eames in ihrem Büro in Los Angeles besuchte, einen Stift in die Hand nahm und Cartoons auf die Möbel malte. Einer dieser Stühle ist in Weil am Rhein ausgestellt, er zeigt den Umriss einer nackten Frau. Er ist wohl der am meistfotografierte Stuhl in der Sammlung. Nur das Hashtag #onmyeames fehlt, wenn ihn die Besucher auf Instagram posten.