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9 Kunst-Filme, die sich im Juni lohnen

Edvard Munch bereist die Gegenwart, der Kunstmarkt zeigt sich in neuem Gewand und die Billigmode offenbart ihren wahren Preis: Das sind unsere Filme des Monats


Wie wird man heute in der Kunst erfolgreich?

Die richtige Kunsthochschule, eine gute Galerie, und dann kommt die Anerkennung der Sammlerinnen und Sammler und am besten die erste Museumsausstellung: So war der klassische Weg zum Erfolg für junge Künstlerinnen und Künstler. Doch heute gibt es noch viele andere Wege zum Kunst-Olymp. Über die sozialen Medien können sich Emerging Artists selbst eine Fanbase aufbauen. Und neue Sammlerschichten drängen in den Markt, die die üblichen Gatekeeper der Kunstwelt ignorieren. Wird das alte Galeriensystem überflüssig? Wie wandelt sich der Kunstbetrieb, wer bestimmt den neuen Kanon, was verändert die junge Generation?

Diesen Fragen geht die Fernsehdokumentation "Galeriendämmerung? Wie junge Künstler mit Instagram den Kunstmarkt aufmischen" nach. Filmemacherin Tita von Hardenberg flaniert darin durch die Berliner Kunstszene, besucht das diesjährige Gallery Weekend und eine Eröffnung der Künstlerin Hannah Hallermann in der Hoto-Galerie. Sie interviewt die französische Künstlerin Johanna Dumet, die über Instagram sehr erfolgreich eine Sammlerschaft aufbaute, bevor sie von der Galerie Kewenig ins Programm genommen wurde. 

Der Galerist André Schlechtriem erzählt ihr von den Synergien, die bei seiner Zusammenarbeit mit dem ebenfalls in den sozialen Medien populären Monty Richthofen entstehen. Judy Lybke von der Galerie Eigen & Art bekommt die Rolle des konventionellen Galeristen zugeschoben und spielt sie charmant. Und auch in der Monopol-Redaktion macht Tita von Hardenbergs Fernsehteam einen ausführlichen Besuch. 

Sie ist dabei, als die Geburtstagsedition von Daniel Richter in der Redaktion ankommt und spricht mit Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr über die Mechanismen des Erfolgs im Kunstmarkt. "Ein Künstler wird erst durch die Anerkennung der Fachwelt relevant. Galerien, Sammler und Museen werden weiterhin bestimmen, wer dazugehört", so Buhrs Fazit.

"Galeriendämmerung", 3-Sat Mediathek, bis 24. Mai 2025

Künstlerin Johanna Dumet in "Galeriendämmerung", Filmstill, 2024
Foto: ZDF / Daniel Waldhecker

Künstlerin Johanna Dumet in "Galeriendämmerung", Filmstill, 2024


Der Mode ganz nah

Was ist Haute Couture? Diese Frage stellt der französische Produzent Loïc Prigent in seinem künstlerischen Dokumentarfilm über die Crème de la Crème der Mode immer wieder. Er besucht mit seiner Kamera zahlreiche Ateliers der großen Luxusmarken wie Chanel, Dior, oder Yves Saint Laurent. Dabei trifft diese eine Frage auf die unterschiedlichen Mitarbeitenden der Konzerne: Designerinnen und Designer, Atelierleiterinnen und Näherinnen. Die meisten tun sich schwer mit einer konkreten Antwort. Für sie ist Haute Couture alles.

Auch Loïc Prigent ist in diesem Film vieles auf einmal – Produzent, Interviewer, Kameramann, Eingeweihter und unverstellt naiv Fragender. Er hat einen wunderbaren Schwarz-Weiß-Film geschaffen, der mit Liebe zum Detail in die Ateliers eintaucht und mit leicht wackelnder Kamera Stars der Modewelt wie Karl Lagerfeld und Donatella Versace fragt, was diese ganz besondere Art der Kleidung für sie bedeutet. 

Er fängt Momente ein, die sonst selten nach außen dringen: Eine Anprobe, bei der der Designer Stéphane Rolland drei Viertel des Kleides, das ein Model trägt, einfach mit der Schere abschneidet. Die kleinteilige Arbeit einer Mitarbeiterin bei Schiaparelli, die seit mehreren hundert Stunden an einer Jacke häkelt und kaum Zeit zum Schlafen hat, weil die nächste Show bevorsteht. Oder die mühsame Herstellung von Faltenstoffen im Atelier Lognon, die nur in abgestimmter Teamarbeit möglich ist. 

Wie durch eine Body Cam sehen die Zuschauenden das, was Prigent betrachtet, und sie hören dabei seine neugierigen Fragen. Es hat etwas Beruhigendes, wie er eine Näharbeit filmt und die Arbeitsprozesse und kunstvollen Details hinter der Mode zeigt. Der Film kommt ohne aufwendige Schnitte aus, meistens ist nur die geschäftige Akustik der Ateliers zu hören.

Dazu gehören auch Aussagen der sonst so unnahbar wirkenden Modedesignerinnen und -designer. Zitate wie "Du siehst zum Anbeißen aus! Du darfst aber heute nichts mehr essen, höchstens einen Schluck vom Essig meiner Großmutter, der hat dieselbe Wirkung wie dieses Korsett!" oder "Heute sind es, nun ja, eher neureiche Kundinnen, die bei uns kaufen. Es ist teilweise sehr speziell und anspruchsvoll, es ihnen recht zu machen", wirken wie zufällig eingefangen und entlarvend spontan. 

Diese Nähe macht die Dokumentation besonders. Am Ende weiß man zwar immer noch nicht so genau, was Haute Couture ist. Aber man lernt, wie viel Hingabe und Aufwand in einem einzigen Teil steckt.

"Was ist Haute Couture", Arte-Mediathek, bis 23. Juni


Mit Munch auf der Techno-Party

Am Ende von "Munch" bekommt man in einer Einblendung die Info, der Künstler habe mehr als 30.000 Werke geschaffen. Endlich, denkt man, denn viel mehr an biografischen Fakten sickert durch das avantgardistisch-flüchtige Szenengewebe nicht durch. Selbst der für Munch traumatische Tod seiner älteren Schwester wird nur angedeutet. Dafür herrscht an Zeitsprüngen kein Mangel. Der norwegische Regisseur und Autor Henrik Martin Dahlsbakken konzentriert sich auf vier Episoden. Gespielt werden die unterschiedlich alten Künstlerversionen von vier verschiedenen Schauspielern. 

Der junge Edvard Munch verliebt sich mit 21 Jahren in die verheiratete Milly. Es ist Sommer, die Farben leuchten im Scope-Format, die Kamera streift mit dem Einzelgänger und Vollwaisen durchs hohe Gras. Zukunft hat die unglückliche Beziehung nicht. Mit 30 reist er nach Berlin, trinkt exzessiv und kritzelt eine erste Version seiner Ikone "Der Schrei" auf den Boden seines Ateliers. Auf Einladung des Vereins Berliner Künstler stellt er erstmals aus. Es ist die Schau, die wegen ihrer frühzeitigen Schließung als "Der Fall Munch" in die Kunstgeschichte einging. 

Dass dies alles in der Gegenwart des heutigen Kreuzberg geschieht und man dem Stammgast von Technopartys in verfallene Fabriken folgt, verwundert nicht weiter. Denn Dahlsbakken lässt von der ersten Minute an keinen Zweifel daran, dass Munch seiner eigenen Zeit weit voraus war. Kein Wunder also, dass das unverstandene Genie 15 Jahre später in einer Nervenklinik landet. Das Bild wechselt nun zu Schwarz-Weiß im 4:3-Format, das die Enge seiner düsteren Stimmung spiegelt.

In der finalen Episode spielt eine Frau den inzwischen arrivierten Großkünstler. 1943 halten deutsche Truppen Oslo besetzt. Der 80-Jährige bekommt in seinem mit Bildern vollgestopften Haus Besuch von einem Nazi-Offizier, den es offenbar nicht stört, dass unzählige Werke des Malers im Rahmen der Aktion "Entartete Kunst" aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt wurden. Er wittert ein Geschäft und zeigt sich unbeeindruckt. Ob er nicht ins bildhauerische Fach wechseln wolle, fragt er den Greis. Ein Schlag ins Gesicht, der den empfindsamen Munch in Rage bringt.

Wieder gerät die Perspektive durcheinander und die Bilder fallen buchstäblich aus dem Rahmen, wenn sich jump cuts auf die Spur von Bewusstseinsaussetzern machen. Dahlsbakken erkennt die sich wiederholenden Erfahrungen von Ablehnung als Ursache für Munchs Wahnsinn. Wie groß der Anteil der gesellschaftlichen Strömungen der Zeit an dem inneren Elend ist, interessiert ihn leider nicht sonderlich. Trotzdem ist das Stimmungs-Wirrwarr sehenswert: als unkonventionelles, lückenhaftes Lebensmosaik, das sich niemals erschöpfend schließen lässt.

"Munch", auf Amazon Prime zum Leihen und Kaufen

Der alte Edvard Munch (Anne Krigsvoll) in seinem Atelier im Biopic "Munch"
Foto: Splendid Film

Der alte Edvard Munch (Anne Krigsvoll) in seinem Atelier im Biopic "Munch"


Die Rache der Untergebenen

Der Sohn einer ärmlichen Familie lässt sich unter Vortäuschung falscher Tatsachen bei wohlhabenden Leuten als Privatlehrer anstellen. Nach und nach gelingt es dem jungen Mann, sämtliche Angehörige in der Villa über der Stadt Seoul unterzubringen, unter anderem auch als Kunstlehrerin. "Parasite", die Gesellschaftsgroteske des koreanischen Regisseurs Bong Joon-ho, war die erste fremdsprachige Produktion der Oscar-Geschichte, die (neben drei weiteren Oscars) bei der Verleihung 2020 den Preis für die Beste Regie erringen konnte. 

Die Tragikomödie, dessen Drehbuch mit einigen verblüffenden Volten aufwartet, handelt von einer Gesellschaft, in der Gier und Maßlosigkeit das Verhalten bestimmen. Seine Geschichte erzählt Joon-ho ohne Schwarzweiß-Malerei, seine Fundamentalkritik macht weder vor der reichen noch der armen Familie halt. Die Gegensätze von Oben und Unten, Wirt und Parasit lösen sich im Handlungsverlauf zunehmend auf, bis ein Unwetter biblischen Ausmaßes die Statik der Verhältnisse vollends erschüttert. Kurz nach dem Oscar-Triumph brachte Bong Joon-ho auch eine Schwarz-Weiß-Fassung des Films in die Kinos, die laut dem Regisseur der Charakterzeichnung der Handelnden "mehr Melancholie" verleihen sollte. Auf der Plattform Mubi ist die bekanntere Farbversion des südkoreanischen Meisterwerks zu sehen.

"Parasite", auf Mubi

Szene aus dem Film "Parasite" von Bong Joon Ho
Foto: CJ ENM Corporation/Barunson E&A/Filmfest Cannes/dpa

Szene aus dem Film "Parasite" von Bong Joon-ho


Das tragisch-typische Leben der Sophie Taeuber-Arp

Im Dezember 1943 stirbt in Zürich eine Frau mit 53 Jahren unter nicht ganz klaren Umständen. Laut Polizeibericht war sie französische Staatsbürgerin, Ehefrau des Malers Hans Arp, von Beruf: Hausfrau. Was für ein Irrtum. 60 Jahre später werden in Paris Werke von Sophie Taeuber-Arp versteigert, eine kleine Holzskulptur erzielt den Preis von 1 Million Euro, Käufer ist das Centre Pompidou. Es ist der "DADA Kopf" von 1920, ein zweiter geht ins MoMA nach New York.

Die Geschichte von Sophie Taeuber-Arp ist auf gewisse Weise so tragisch wie typisch. Erst in den letzten Jahrzehnten wird ihre Bedeutung erkannt und gewürdigt, zu Lebzeiten stand sie im Hintergrund. Dabei ist ihr Werk originell und radikal. Sie war Tänzerin, Bildhauerin, Möbeldesignerin, Verlegerin, Mitbegründerin der Dada-Bewegung, und Pionierin der geometrischen Abstraktion.

Die Dokumentation von Marina Rumjanzewa erzählt die Geschichte anhand von Fotos und Kunstwerken, es kommen Kuratorinnen wie Christine Macel (Centre Pompidou) zu Wort. Das Kamerateam reiste an die entscheidenden Orte und beschwört dezent die Stimmungen von damals herauf. Im Krieg geht das Paar nach Frankreich, muss irgendwann wieder in die Schweiz emigrieren, unterernährt, aber immer kreativ. Sophie Taeuber-Arp stirbt eines Nachts nach der Rückkehr im Haus von Max Bill, mit dem sie den Abend verbracht hat, später kam Hans Arp dazu. Man entschloss sich, dort zu übernachten. Das Haus hatte zwei Schlafstätten für Gäste, sie überließ ihrem Mann das warme Zimmer und schlief selbst auf einem umbauten Balkon mit Ofen. Nachts heizte sie, am nächsten Morgen lebte sie nicht mehr. 

Ihr Mann Hans Arp erholt sich nie ganz von ihrem Tod, er ist untröstlich, verfügt, dass ihre Kunst nur zusammen mit seiner gezeigt werden darf. Eine Liebeserklärung, aber auch eine Fessel über den Tod hinaus. Jetzt ist sie gelöst, Sophie Taueber-Arp wird längst auch einzeln wahrgenommen, Beruf: Spitzenkünstlerin.

"Sophie Taeuber-Arp", 3-Sat-Mediathek, bis 28. Oktober

Künstlerin Sophie Taeuber-Arp
Foto: Courtesy 3 Sat

Künstlerin Sophie Taeuber-Arp


Der hohe Preis der Billigmode

In weniger als 90 Sekunden stürzt ein achtstöckiges Gebäude in Bangladesch ein, 1135 Menschen werden getötet und 2438 verletzt. Das sind die trockenen Fakten, die über das Unglück von Rana Plaza am 24. April 2013 bekannt sind. Doch kaum jemand kennt die Geschichten der Näherinnen, die, auf einen Hungerlohn angewiesen, in ein marodes Fabrikgebäude gingen und nur knapp überlebten. 

Die Dokumentation "Der wahre Preis der Billigmode" steigt mit einer Gegenüberstellung der Protagonistinnen ein: junge Frauen, die in westlichen Ländern ihre vollgepackten Tüten von Fast-Fashion-Brands vor laufender Kamera auspacken und stolz Unmengen Kleider, Shorts und Blusen in sogenannten "Hauls" präsentieren. 

Auf der anderen Seite junge Frauen in Dhaka, Bangladesch, die, um ihre Familie zu unterstützen, unter menschenunwürdigen Bedingungen und für niedrigste Gehälter eben jene Kleidungsstücke herstellen müssen. Beleuchtet wird auch der Mann, der die Produktion der Billigmode als Industrie nach Bangladesch brachte und auch der, dessen Name das Gebäude trug, das zur Todesfalle wurde: Sohel Rana. 

Doch das wirkt wie ein stumpfes Hintergrundrauschen neben den Geschichten von Shirin oder Rebekka, die fast noch als Kinder und mit großen Hoffnungen angefangen hatten, in der Textilindustrie zu arbeiten. Und die schließlich davon erzählen, wie ein großer Riss im Rana Plaza von den Verantwortlichen ignoriert wurde, wie das Gebäude am nächsten Tag in sich zusammenfiel, Schwestern, Freundinnen und sie selbst begrub und sie sich Körperteile amputieren mussten oder das eigene Blut trinken, um zu überleben. 

Diesen Film möchte man allen zeigen, die noch immer denken, dass wenige Euro die angemessene Summe für ein Kleidungsstück sind. Denn irgendjemand zahlt immer den eigentlichen Preis, oft mit der eigenen Gesundheit und manchmal mit dem eigenen Leben.

"Der wahre Preis der Billigmode", Arte-Mediathek, bis 1. April 2025

Eingestürzte Rana-Plaza-Fabrik in Savar, Bangladesch, 2013
Foto: picture alliance / dpa

Eingestürzte Rana-Plaza-Fabrik in Savar, Bangladesch, 2013


Die surrealistische Welt des Marcel Dzama

Eine Hinrichtung, eine Reise zum Mond und jede Menge fantastischer Gestalten: All das bringt der kanadische Künstler Marcel Dzama für sein Stück "To Live on The Moon (For Lorca)" zusammen, das 2023 auf dem Festival Performa in New York aufgeführt wurde. Jetzt ist es auf der Website der Institution noch einmal rund um die Uhr als stimmungsvoller Schwarz-Weiß-Film mit düster-hybridem Soundtrack zu sehen. Dzama widmete sein Werk dem surrealistischen spanischen Dichter Federico García Lorca, der unter anderem von Luis Buñuel und Salvador Dalí beeinflusst war und 1936 von einem Franquisten erschossen wurde. Posthum erfüllt Dzama ihm nun den Wunsch, eine poetische Reise zum Mond zu unternehmen. 

"To Live on The Moon (For Lorca)", Radical Broadcast, Performa online

Marcel Dzama "Death Disco Dance", zu sehen bei der Performa in New York
Foto:Courtesy Performa

Marcel Dzama "Death Disco Dance", zu sehen bei der Performa in New York


Die Reise des Pergamonaltars

Was wäre, wenn der Pergamonaltar heute in der Türkei stehen würde? Der berühmte Fries aus dem antiken Pergamon zeigt die Gigantomachie, den Kampf zwischen Göttern und Giganten, in über 100 aus Marmor gemeißelten Skulpturen. "Der Altar des Zeus ist das größte fehlende Stück in meinem Herzen", so beschreibt eine türkische Historikerin die Translokation. Neben der künstlerischen Meisterleistung hatte dieses Monument des Zeus aus Pergamon, dem heutigen Bergama, auch eine immense kulturelle Bedeutung für den Ort. Die Arte-Dokumentation "Der Pergamonaltar - Weltwunder im Museum" zeichnet diese Bedeutungsebenen und den Weg des ikonischen Werks nach.

Seit 2014 ist der Pergamonsaal im zugehörigen Berliner Museum geschlossen. Als Ersatz kann das Panorama der antiken Stadt Pergamon virtuell und in 360 Grad besichtigt werden. Dabei kann der Altar uns ebenso viel über die Berliner Museen im 19. Jahrhundert erzählen. "Wäre es möglich gewesen, dass ein osmanischer Herrscher das Brandenburger Tor mit nach Izmir genommen hätte?" fragt der heutige Bürgermeister von Bergama – wahrscheinlich nicht. Unter welchen Umständen kam der Fries also nach Berlin und wieso erhielt er hier ein "eigenes" Museum? 

Long Story Short: Als der Hobbyarchäologe Carl Humann 1865 zum ersten Mal Teile des Altars sah, übten diese eine so starke Faszination auf ihn aus, dass er die Marmorfragmente kurzerhand verpackte und nach Berlin sendete. Einige Jahre und politische Ereignisse später wurde der Rest ausgegraben und der Fries nach Deutschland transportiert, wo er der Bevölkerung im eigens errichteten Pergamonsaal präsentiert wurde.

Diese allseits bekannte Geschichte lässt große Teile aus. In der Dokumentation äußern sich türkische und deutsche Provenienzforscherinnen zur Rechtmäßigkeit der Grabungen – die nach aktueller Forschung nicht immer gegeben war. 

“Der Pergamonaltar - Weltwunder im Museum”, Arte-Mediathek, bis 17. August

Das berühmte Pergamonfries im derzeit geschlossenen Berliner Pergamonmuseum
Foto: Staatliche Museen zu Berlin

Das berühmte Pergamonfries im derzeit geschlossenen Berliner Pergamonmuseum


Der Maler mit dem Flammenwerfer

Wim Wenders‘ 3D-Dokumentarfilm "Anselm" hat einen charmanten Anfang: Aus der Vogel- (heute sagt man: Drohnen-)Perspektive blickt man in eine riesige Atelierhalle, in der gut und gerne zwei Ikea-Läden Platz hätten. Anselm Kiefer produziert und lagert hier Kunst in gewaltigen Dimensionen.

Lässig schubst der Künstler fast im Vorbeigehen ein auf Rollen montiertes Werk an seinen zugewiesenen Platz und setzt sich dann auf ein klappriges Fahrrad. Die Kamera begleitet ihn nun fahrend und auf Augenhöhe, sicher einen halben Kilometer entlang an endlosen Regalreihen mit Werken von teils monumentaler Größe. Dann hält der Künstler punktgenau, um zielsicher ein kleines Foto aus einer Kiste zu nehmen.

Wenn später ganze private Fotoalben des Künstlers durchgeblättert werden, schließlich mit digitaler Hilfe der Künstler als Seiltänzer zwischen Trümmerdeutschland und Engelshimmel balanciert, ist schnell klar: Wenders und Kiefer, beide Jahrgang 45, haben etwas gemeinsam: Die Abenteuerspielplätze ihrer Kindheit waren die Ruinen eines Krieges, den andere zu verantworten hatten. Deren Schweigen wiederum schuf ein Vakuum, das geradezu einlud, sich eigene Gedanken über ein Element der deutschen Kunst zu machen, das brach lag, wenn es nicht gar mit einem Tabu belegt war: das Pathos.

Zu den Wenigen, die Kiefer sofort verstanden, zählte Joseph Beuys, dem er eine Bewerbung schrieb. In einer Spielszene sieht man Daniel Kiefer, der seinem Vater verblüffend ähnelt, einen VW-Käfer mit prallvollem Dachgepäckträger gen Düsseldorf kutschieren. Kiefer als Kind wird in anderen Szenen von Anton Wenders verkörpert.
Die kurzen Spielszenen eröffnen eine Ebene der Naivität, die man angesichts der philosophischen Aufladungen des Werkes nicht unbedingt erwartet – aber durchaus anrührend finden kann. Anselm Kiefer selbst kommentiert seine Kunst mit einnehmend gebrochener Stimme, rezitiert Paul Celan und erzählt von einem glücklosen Versuch, Martin Heidegger ein Wort zu seinem Wirken in der NS-Zeit abzuringen.  

Zwischentöne sind in einem Künstlerdokumentarfilm, der ohne Expertenkommentare auskommt, schwer vermittelbar. Was in der Laufzeit von 93 Minuten hingegen noch zu kurz kommt, sind Werkaufnahmen – dabei ist das, was man sieht, durchaus spektakulär – etwa Kiefers Arbeit mit dem Flammenwerfer als Malwerkzeug.

"Anselm - Das Rauschen der Zeit", bei Amazon Prime

Filmstill "Anselm", 2023
Foto: ANSELM © 2023, Road Movies

Filmstill "Anselm", 2023. In In Croissy-Beaubourg nahe Paris bewegt er sich mit dem Fahrrad durch die Hallen