Der Brexit lauert, aber die Kunst lässt sich nur bedingt beeindrucken. Auf der Frieze in London dominieren in diesem Jahr bunte, meist figurative Malerei und Textilarbeiten aller Art. Es gibt ein Wiedersehen mit den Hauptdarstellern der Venedig-Biennale (Hito Steyerl, Arthur Jafa), konzeptuelle Evergreens (Joseph Kosuth) und Bauhaus-Tänze von Oskar Schlemmer. Wo man im Messe-Dickicht unbedingt vorbeischauen sollte, verraten wir hier.
Martine Syms bei Sadie Coles
Es ist ein eher kleiner, unscheinbarer Bildschirm, den man in der hochkarätig vollgestopften Koje von Sadie Coles leicht übersehen kann. Und trotzdem eins der interessantesten Videos. Die US-Künstlerin Martine Syms turnt mit eingängigem Soundtrack auf einem Golfplatz herum, wiegt sich mal lasziv, und scheint gleich danach mit ihrem Schläger etwas kaputtmachen zu wollen. Syms' Arbeiten sind wuchtige Miniaturen, die die Identitätsdebatten der Gegenwart in der Ästhetik von Musikclips und Billboard-Werbung verhandeln. In "Capricorn" geht es um schwarze Frauen im Sport, die einerseits empowernde Vorbilder sind, andererseits aber von Marketing-Maschinen zerrieben werden. Also wie Künstlerinnen eigentlich.
Kara Walker bei Sikkema Jenkins & Co
London gehört in diesen Tagen Kara Walker (na ok, zumindest die Teile, die nicht Banken oder Immobilienfirmen gehören). In der Turbine Hall der Tate Modern hat sie den gigantischen Brunnen "Fons Americanus" aufgebaut, der die englischen Empire-Monumente in ein postkoloniales Mahnmal mit halbgeköpfter Sklavinnen-Venus verwandelt. Auf der Frieze zeigt sie ihr Ton-Modell des Brunnens und dazu ein berührendes Historiengemälde als Triptychon, auf dem sich Sklavenketten in Lebenslinien verwandeln, die alle Figuren verbinden. Die morbiden Schattenspiele, mit der Kara Walker bekannt wurde, sind außerdem in der Londoner Dependance der Galerie Sprüth Magers zu sehen.
Joan Jonas bei Gavin Brown's Enterprise
Selbstbespiegelung ist ja auf einer Kunstmesse kein ganz abwegiges Thema. Und nicht wenige Besucherinnen und Besucher nutzen die Installation "Mirror Room" von Joan Jonas zum mehr oder weniger diskreten Frisuren- und Outfit-Check. Die Arbeit, zu der auch ein Video gehört, in dem sich die Performer mit Spiegeln selbst zu zerlegen scheinen, ist aber auch ein weiterer Beweis dafür, wie gut Joan Jonas die Relevanz von Sehen und Gesehen werden versteht. Außerdem kann bei Gavin Brown, der sich immer mehr als Königsmacher der Kunstszene herausstellt, Werke von Arthur Jafa und einen überraschend düsteren und abstrakten Alex Katz bestaunen.
Gruppenschau bei der Jack Shainman Gallery
Der "Ein bisschen von allem"-Mischteller ist bei Messen meistens nicht das, was im Gedächtnis bleibt. Aber die Auswahl bei Jack Shainman ist so gut, dass der Stand fast wie eine Museumsausstellung in Miniatur wirkt. Unter anderen gibt es maßlos überdekorierte Skulpturen von Nick Cave, eine Wandarbeit von El Anatsui und einen eigenwilligen Wandteppich des Shooting-Stars Diedrick Brackens. Allein vor dem wunderbar verträumt sinnlichen Männerporträt von Lynette Yiadom-Boakye könnte man stundenlang stehen. Wenn man nicht dringend weiter müsste.
Neil Beloufa bei Kamel Mennour
Wie bringt man Menschen zusammen, wenn kaum jemand mehr raucht? Zum Beispiel mit Ladekabeln für Smartphones. Um die neuen Arbeiten des französisch-algerischen Künstlers Neil Beloufa bei Kamel Mennour scharen sich in London zuverlässig Menschentrauben. Einige der Bilder haben Steckdosen oder USB-Anschlüsse integriert, die zum Teil auch benutzt werden sollen. Die neue Serie Beloufas besteht aus verkabelten Wandreliefs mit Streifenhandtüchern und blauen Wellen. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die fossilienartigen Abdrücke von Plastikflaschen, Dosen und toten Fischen. Umweltsünden-Anklage in Pop-Art-Optik und daneben kriechen Beloufas unheimliche käferartige Wohnmaschinen, die auch an Fitnessgeräte und veraltete Medizintechnik erinnern, sodass man gar nicht mehr weiß, wohin mit seinem Körper. Lohnend sind übrigens außerdem die Werke von Gina Pane bei Kamel Mennour auf der Frieze Masters.
Ryan Gander bei Taro Nasu
Dass in einer Frieze-Messekoje ein Zen-Gefühl aufkommt, ist dann doch relativ selten. Der Meister des Understatements, Ryan Gander, schafft es mit seiner ganz persönlichen Version der Kalligrafie. Aus Steinen, die seine Kinder am Strand gefunden haben, hat der britische Künstler eine eigene Schriftart entwickelt, in der er Italo Calvinos Roman "Wenn ein Reisender in einer Winternacht" damit abgetippt. das Ergebnis sind sehr meditative Kringel und Tuschezeichnungen. Außerdem steht am Stand von Taro Nasu ein Kunstautomat, aus dem man sich für 500 Pfund (Kartenzahlung only) eine Gander-Edition ziehen kann. Spart zähe Verkaufsverhandlungen.
Der Frieze Skulpturengarten im Regents Park
Die Frieze London ist besonders gut darin, sich länger als ein langes Wochenende im Stadtbild zu verankern. So steht schon seit Anfang Juli ein respektables Skulpturen-Ensemble im altehrwürdigen Regents Park, das einen Abstecher lohnt. Dabei sind sowohl die monumentale Zahlenreihe von Robert Indiana als auch neuere Arbeiten von Leiko Ikemura, Tracey Emin und Huma Bhabha. Frische Luft tut nach zu viel Zeltatmosphäre sowieso gut. Und ein bisschen Erdung schadet ja auch nicht, wenn Schulkinder über Tracey Emins etwas unförmiges Bronzewesen lachen oder Jogger sich am Kunstwerk dehnen. Eine virtuelle Skulptur des Koreaners Koo Jeong A gibt es ebenfalls. Nur auf dem Handy-Display sieht man große Eisbrocken durch den Park schweben. Eine künstlerische Fata Morgana sozusagen, die ungefähr so erreichbar ist, wie die Frieze-Lieblingsarbeit im "höheren sechsstelligen Bereich".
Botticelli auf der Frieze Masters
Auf einer Messe auf einmal dem Botticelli gegenüberzustehen, der (with a little help from his friends) 2011 die Menschenmassen vor's Berliner Bodemuseum lockte, ist dann doch einigermaßen skurril. So eine Koje hinter Sperrholzwänden erdet jede Ikone - aber das Porträt des Michele Marullo Tarchaniota (um 1497) ist einfach immer noch ein wunderschönes Bild. Der Abgebildete Michele Marullo Tarchaniota (Preis um die 30 Millionen Dollar) schaut herrlich schnippisch und scheint dem Messetrubel nicht unbedingt viel abgewinnen zu können. Ein Rundgang auf der wesentlich gediegeneren "Masters"-Version der Frieze, wo es von beeindruckenden alten Karten über Mittelalter-Schinken bis zu Nam-June-Paik-Installationen alles gibt, lohnt sich aber allemal. Und um an die Klimaaktivisten von Extinction Rebellion zu erinnern: zwischen den Messen einfach 15 Minuten zu Fuß durch den erhabenen Regents Park gehen. Kein Shuttle.
Ok, streng genommen nicht Frieze, aber im altehrwürdigen Somerset House am Themse-Ufer fühlt sich das Parallelevent 1-54 angenehm unmessenhaft an. Jede Galerie hat einen der prächtigen Räume zur Verfügung, was ein unstressiges Hindurchschlendern nahelegt. Gute Kunst gibt es auch zu sehen, zum Beispiel die Wandteppiche von Noel Anderson mit akribisch nachgewebten Sportmotiven (das Thema scheint ein Trend zu werden). Insgesamt sind die Textilarbeiten in der Breite sogar besser als in der etwas bemühten Frieze-Sondersektion "Woven".