Robert Frank posthum im C/O
Es war 1985, als Robert Frank seine bahnbrechenden Fotografien "The Americans" zum ersten Mal einem deutschen Publikum zeigte, und es war genau an jenem Ort, dem ehemaligen Amerika-Haus, heute C/O Berlin. Robert Frank war der wichtigste Fotograf von allen, er hat nicht nur die fotografische Sprache erfunden, auf der alles nach ihm Kommende aufbaute, sondern vielleicht hat er auch Amerika erfunden. Es sind in dieser wichtigen Ausstellung Werke aus allen Schaffensphasen zu sehen, seit den 50er-Jahren, viele davon ungezeigt. Seinen perfekten Werken sind Kontaktabzüge an die Seite gestellt und Zeitdokumente, auch das Original-Plakat von 1985. Auf einem der Bilder von der damaligen Eröffnungs-Pressekonferenz ist sein Stuhl leer. Wie jetzt auch. Er ist vor drei Tagen gestorben.
Robert Frank "Unseen", C/O Berlin , bis 30. November
Tobias Rehberger im Haus am Waldsee
Tobias Rehberger hat das ganze Haus am Waldsee wie einen sehr lustigen Adventskalender bespielt. Türchen auf – ooh! Ein Raum voller Hängeleuchten. Oder einer nur für einen Pitbull aus Pappmaché. Sensationelle Aquarelle von der Decke bis zum Boden (viele davon widmen sich Zigaretten, die auf Tellern mit Speiseresten ausgedrückt wurden). Drei viel zu große Skulpturen in Primärfarben machen in der Beletage derart gute Laune, dass man auch ohne Joints loskichern muss. Die rollte bei der Eröffnung ein junger schweigender Mann im Schneidersitz – medizinisches Cannabis, zum Mitnehmen in fachmännisch gezwibelten Papers. Papier, das ist hier das Thema von Tobias Rehberger, den man sonst vor allem als Bildhauer kennt. "Papier ist nicht nur geduldig, sondern auch großzügig", sagt der Künstler. So wie er.
Tobias Rehberger "Inspiration is a little Town in China – in Papier", Haus am Waldsee, bis 17. November
Haus der Statistik am Alexanderplatz
Der Innenhof des "Haus der Statistik" war mehr als zehn Jahre ein blinder Fleck mitten in der Stadt. Zur Eröffnung der Art Week fließen zur Vorstellung des Konzepts von "Statista" die großen Berlin-Fragen zusammen: Wem gehört die Stadt? Können Ideen aus der Kunst in die Wirklichkeit übertragen werden? Die Nutzungskonzepte für 50.000 Quadratmeter Leerstand sind spannend, man kann aber auch einfach die Beinahe-Ruine auf sich wirken lassen und unter Aufsicht ein bisschen darin herumspazieren. Aus dem sechsten Stock kann man besonders weit sehen, bis in die Zukunft.
Statista-Präsentationswoche, bis 16. September, Statista-Kongress, 13. bis 16. September. Das komplette Programm gibt es hier
Christina Ramberg in den KW
Im Zentrum einer packenden Gruppenschau der Kunst-Werke steht eine Wiederentdeckung: Die US-Künstlerin Christina Ramberg, die 1995 mit nur 49 Jahren starb, zeichnete und malte stark abstrahierte menschliche Torsi. Die 14 ausgestellten Gemälde der Künstlerin bestechen durch Symmetrie, gedämpfte bis düstere Farben und kräftige Konturen. Die Linien verformen, bändigen oder verletzen die Gestalt. Korsetts, Stoffbänder oder Haarsträhnen schnüren die (weiblichen) Körper ein. Ramberg wird zu den Chicago Imagists gezählt, einer figurativen Gegenbewegung zum Abstrakten Expressionismus New Yorker Provenienz. Auch die coole Pop Art eines Warhol oder Lichtenstein gedieh nicht an der Third Coast des Michigansees, obschon Ramberg und Co. sich an Comics orientierten. Emblematisch führte die Künstlerin vor, wie (weibliche) Körper zivilisiert und zugerichtet werden.
Kleidung und Accessoires besetzen und beschränken die kopflosen Figuren, das Menschliche tendiert zum Objekthaften. Um die düsteren Bildkonstruktionen von Ramberg herum positioniert Kuratorin Anna Gritz Werke von 11 weiteren Kunstschaffenden. Die Werke von Ana Pellicer, Diane Simpson oder Terre Thaemlitz passen ebenfalls ins Feld der Body Politics. Alexandra Bircken, gelernte Modedesignerin, bildet mit ihren glamourös-maskulinen Outfit-Entwürfen eine Antithese zu Ramberg. "Gates" von Hans-Christian Lotz ist eine KW-Auftragsarbeit, in der sich ein Gegensatz von Bewegung und Blockade manifestiert. Eine Schiebe-Glastür öffnet sich automatisch, wenn der Betrachter nahe herantritt. Problem: Es fehlt der Türausschnitt in der Wand.
"The Making Of Husbands: Christina Ramberg in Dialogue", KW Institute for Contemporary Art, bis 5. Januar 2020
Thomas Scheibitz trifft Picasso im Museum Berggruen
Thomas Scheibitz trifft Pablo Picasso, dessen Werk im Museum Berggruen mit herausragenden Exponaten vertreten ist. Dabei befeuern sich die Werke des 1968 bei Dresden geborenen Malers und Bildhauers und des legendären Spaniers wechselseitig. Auf drei Stockwerken im Stüler-Bau des Sammlermuseums ist zu erleben, wie fruchtbar eine solche Gegenüberstellung von Oeuvres sein kann. Neben Duchamp ist Picasso ein zentrales Vorbild von Scheibitz, der den Kubismus für "die letzte Revolution im Umgang mit der Bildfläche“ betrachtet. Die Dialogschau mit dem Untertitel "Zeichen Bühne Lexikon" trägt bildwissenschaftliche Züge, sowohl das eigene als auch Picassos Werk wird hier von Scheibitz auf bestimmte Aspekte abgeklopft.
Die Ausstellung gliedert sich nach Fragen des ikonografischen Alphabets, der kubistischen Zersplitterung sowie der Wiederholung und Variation von Bildthemen. Auf diesen Gebieten gibt es viele Gemeinsamkeiten. Picasso und Scheibitz verbindet ebenso, dass ihr Portfolio sowohl Bilder als auch Skulpturen umfasst – und dass hier wie dort skulpturale Gemälde wie malerische Objekte existieren. Besonders spannend ist das Zwiegespräch von jeweils etwa 50 Werken, wenn sich die Bilder gegenseitig öffnen. Eine Hand der "Dora Maar mit grünen Fingernägeln" wird in einer verschärften Scheibitz-Version formatfüllend herangezoomt. Dessen 2014 gemalte "Hand" betont – bildübergreifend – die spitz-stachelige Anmutung der gespreizten Finger, mit denen die von Picasso 1936 porträtierte Geliebte ihren Kopf stützt.
Plötzlich scheint es, als könnte sie sich das Gesicht mit den Nägeln zerkratzen. Picasso revisited. Scheibitz katapultiert den Klassiker aus dem Orbit des abgesicherten Kunstwissens.
"Picasso x Thomas Scheibitz. Zeichen, Bühne, Lexikon", Museum Berggruen, Berlin, bis 2. Februar 2020
"Walking Through Walls" (nein, eigentlich Wu Tsang) im Gropius Bau
Das Alleroffensichtlichste zum 30. Jahrestag des Mauerfalls haben die Kuratoren des Gropius-Bau vermieden: Sie rühren kein Bilderpanorama der geteilten Stadt zusammen, sie lassen nicht noch einmal den nostalgisch-heroischen Wind of change aufwehen. Die Gruppenausstellung "Durch Mauern gehen" schaut hinaus in die Welt, auf die gegenwärtigen Konfliktlinien und Trennungserfahrungen: auf die Festung Europa und neue Nationalismen, auf soziale und wirtschaftliche Grenzen und solche zwischen den Geschlechtern. 28 internationale Künstlerinnen und Künstler sind mit durchaus sehenswerten Arbeiten vertreten, doch fügen sich die Werke zu keinem Ganzen. Über die diffuse, kaum überraschende Aussage, dass auch heute noch Grenzen existieren, kommt diese willkürlich zusammengewürfelte Schau nicht hinaus.
Ganz anders die Anfang September eröffnete, umwerfende Einzelausstellung von Wu Tsang auf derselben Etage des Gropius Bau. Die Filme und Installationen der Künstlerin erzählen vom Zauber der Nacht, des Körpers, der Gemeinschaft: prekäre Momente einer Schönheit, die ihre Räume braucht und zu ihrem eigenen Schutz doch stets diskret bleiben muss.
"Walking Through Walls" / "Wu Tsang: There is no nonviolent way to look t another person", Gropius Bau, bis 19./12. Januar 2020
Anne Imhof bei Galerie Buchholz
Es wird wahrscheinlich die überlaufenste Eröffnung des Freitagabends: Anne Imhof gibt sich in der Galerie Buchholz die Ehre. "Imagine" heißt die Show, und im Kopf ergänzt man wohl ganz zu Recht die Zeile "there’s no heaven". In der abstrakten Malerei an den Wänden dominiert ein bedrohliches Blutrot, in das auch die seltsamen stählernen Bettgestelle getaucht sind, auf denen Imhofs Akteure über den Besuchern schweben können und – Beispiel – Dartpfeile auf Scheiben werfen oder auch mit verschiedenen Sado-Maso-Instrumenten hantieren. Schon die intensiven Installationen erzählt eine Geschichte von Begehren und Aufbegehren, zur Eröffnung wird sie zusätzlich belebt werden.
"Anne Imhof: Imagine", Galerie Buchholz, bis 26. Oktober
Malerei im Schinkel Pavillon
Oben im Schinkel Pavillon verwirrt ein Film von Christopher Kulendran Thomas ein bisschen zu sehr. Dafür entführt einen die Schau "Claude Mirrors“ unten in der Schinkel Klause auf wunderbare Weise in surreale Welten. Die Malereien von Jill Mulleady, Issy Wood und Viktor Man sind im dämmerigen Keller extrem suggestiv installiert, man starrt geheimnisvollen Frauen in die Augen und verfolgt seltsame Jagd- und Kampfszenen und genießt sowohl die Qualität dieser Malerei wie den Schauder, der einem die Wirbelsäule hinunter kriecht.
"Claude Mirrors: Jill Mulleady, Issy Wood, Victor Man", Schinkel-Klause im Schinkel Pavillon, bis 15. Dezember
Hanne Darboven und Ryan Trecartin bei Sprüth Magers
Größer könnte der Kontrast nicht sein: Unten in der großen Halle bei der Galerie Sprüth Magers ist – pünktlich zum 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt – eine große Arbeit von Hanne Darboven installiert, die sich mit Humboldt, Geographie und ihrer ganz persönlichen Vermessung der Welt beschäftigt. Ergänzt wird mit alten Karten, wie sie früher in der Schule benutzt wurden.
Und oben wird dieser Ordnungsversuch konterkariert durch frühe Filme von Ryan Trecartin, der schon in der Prä-Instagram-Zeit vor zehn Jahren Teenager mit verfremdeten Mickey-Mouse-Stimmen und Drang zur Selbstinszenierung in schrillen Bildern auf das Publikum losließ. Und wer hätte das gedacht: In ihrer Gegensätzlichkeit schärfen beide Positionen perfekt den Blick auf die jeweils andere.
"Hanne Darboven: Erdkunde und (süd)koreanischer Kalender", "Ryan Trecartin: Re'Search Wait'S", Galerie Sprueth Magers, bis 21. Dezember
Natürlich auch ein Highlight: Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr spricht im Radio bei Detektor FM über die Berlin Art Week und gibt noch mehr Tipps: