Herr Badasyan, in ihrer Performance "Safe the date" hatten Sie an 365 Tagen Sex. Was haben Sie am 366. Tag gemacht?
Ich bin Sozialarbeiter und musste arbeiten. Mein letztes Date hatte ich schon ein Jahr zuvor mit einem Freund vereinbart. Es war aber leider nicht so toll. Wir sind eben gute Freunde, keine Sexpartner. Da bestätigte sich für mich noch einmal, dass ich das Projekt beenden musste.
Sie haben das Projekt wie geplant durchgezogen?
Ja, 365 Tage lang. Ich habe danach sehr viele E-Mails von Freunden bekommen, die mir zum Abschluss gratuliert haben. Sie hatten sich Sorgen gemacht, dass es mir nicht gut gehe und ich daran kaputt gehe. Das war schön zu lesen.
Sie haben mit dem Projekt Bezug zum Werk des französischen Anthropologen Marc Augé genommen, der den Begriff der "Nicht-Orte" einführte. Supermärkte oder Flughäfen wären danach Orte ohne Identität und geprägt durch kommunikative Verwahrlosung. Warum mussten es 365 Sexpartner sein? Warum nicht 365 Mal einkaufen im Supermarkt?
Ziel meiner Performance war es, Einsamkeit darzustellen. Dabei war die Theorie von Marc Augé nur ein Stützpunkt. Ich wollte sie auf sexuelle Nicht-Orte erweitern. Ich recherchierte Cruising-Orte, Clubs, Bars, Parks und Saunen. Meinem Grundgefühl nach, geht man an diese Orte, um Spaß zu haben und tolle Leute kennenzulernen. Am Ende ist man aber doch einsam. Du stehst am nächsten Tag auf, bist schlecht drauf und der Genuss, der nur fünf Minuten gedauert hat, ist keiner mehr. Wie mit Drogen, du nimmst sie, bist kurze Zeit glücklich und liegst danach drei Tage flach.
Ist die Konsequenz davon, gar nicht an diese Orte zu gehen? Einfach gleich zu Hause zu bleiben?
Nein, dann wäre die Einsamkeit noch schlimmer. Wir haben ja die Triebe und Bedürfnisse etwas zu erleben und Menschen kennenzulernen. Es gibt dabei kein Schwarz oder Weiß, Spaß haben oder nicht. Ich bin sehr für sexuelle Freiheit und Vielfalt. Das Problem ist, wie wir miteinander kommunizieren, besonders mit den ganzen Apps.
Sie wollten Dating Apps nutzen, um Ihre Sexpartner auszuwählen und Dates zu vereinbaren.
Die habe ich nur am Anfang genutzt, denn sehr schnell stimmte die Kommunikation nicht mehr. Ich war total genervt, wie eine Maschine schrieb ich nur noch: "Hi, wie geht’s?" und "Los!". Es hat sich alles reduziert, weil ich keine Zeit hatte. Ich brauchte fünf Stunden, um jemanden zu finden.
Ihre Ansprüche haben sich also reduziert?
Ja, ich musste sie reduzieren, letztlich hatte ich gar keine mehr. Es war ein sehr dynamisches Projekt, das sich mit der Zeit veränderte. Ich habe ein Tagebuch geführt, in dem ich alles auflisten wollte. Name, was passiert ist, wie ich mich fühlte. Wenn man das Tagebuch in der Mitte oder am Ende aufschlägt, sind nur noch Striche gezeichnet. Leere Seiten, weil ich keine Lust mehr hatte, die Menschen kennenzulernen, nicht mal den Namen wissen wollte. Ich fand das einfach unnötig. Deshalb mache ich übrigens Langzeit-Performances, wegen dieser Veränderungen, weil man nur so etwas bewegen kann.
Im Interview mit dem "Spiegel" sagten Sie, Sie hätten am Ende des Projektes mehr Angst vor körperlicher Ablehnung gehabt, als vorher. Wie kommt das?
Stimmt, im ersten Jahr nach dem Projekt. Nach sechs oder sieben Monaten hatte ich wirklich Angst, weil ich so unehrlich war. Das Sexuelle stimmte nicht, ich war verbal und non-verbal unehrlich. Ich hatte das Gefühl, weit entfernt von den Menschen zu sein. Das hatte viel mit der Kommunikation über die Apps zu tun, es ist schon grausam, diese automatische Nachrichten und Hassbotschaften.
Es gibt vorformulierte, automatische Nachrichten?
Ja, genau wie Roboter, die für einen sagen, dass man kein Interesse hat. Und es gibt viel Diskriminierung. Du bist zu fett, hau ab! Du bist zu behaart, hau ab! Du bist dieses und jenes. Die Anonymität der Apps macht es den Leuten leicht, andere zu diskriminieren. Aber wenn du sie triffst sind es Arschlöcher, die nicht den Mund aufmachen können. Trotzdem wollen alle das Bild vom zwanglosen schwulen Leben aufrechterhalten, Party, Drogen, Spaß. Deshalb hat viele meine ehrliche Darstellung von Einsamkeit gestört.
Wenn die Apps Einsamkeit schüren, wäre es nicht besser, wenn es sie nicht gäbe?
Nein, im Grunde ist es schon eine tolle Sache. Die schwule Community wusste vor 20 Jahren nicht, was eine App ist. Heute gibt es unzählige Möglichkeiten. Da sind wir fortschrittlicher als die Heteroszene.
Fortschrittlicher oder einfach hemmungsloser?
Auch hemmungsloser, auf jeden Fall! Aber vielfältiger, es gibt spannende Möglichkeiten für junge Leute, sich auszuprobieren. Die Frage ist nur, wie wir dabei miteinander umgehen.
Gibt es auch positive Erfahrungen? Stand je im Raum, dass aus einer Begegnung mehr werden könnte als die eine Nacht?
Nach ein paar Monaten hatte ich stark das Gefühl, ich bräuchte Liebe und Aufmerksamkeit. Physisch war ich okay, ich bin fit, aber psychisch war es schmerzhaft. Ich war wie in ein kleines Kind verwandelt, das Liebe und Zärtlichkeit braucht, 24 Stunden Fürsorge sozusagen. Es gab zwei sehr nette Begegnungen, allerdings kam von denen nichts zurück. Ich finde es wichtig, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der wir offen zugeben können, wenn es uns nicht gut geht. Von klein auf werden wir dazu erzogen, immer glücklich zu sein.
War deshalb die Resonanz auf das Projekt so groß? Weil jeder diese Einsamkeit kennt, sie aber nicht zugeben will?
Ich denke ja, da gab es plötzlich jemanden, der es für sie ausgesprochen hat. Ich fand es sehr schön, wenn ich Menschen helfen konnte, die merkten, dass sie nicht alleine mit ihrem Problem waren. Besonders Frauen haben mich oft mit weinenden Sätzen angeschrieben. Und ich habe nach dem Projekt selbst eineinhalb Jahre gebraucht, bis ich wieder offen für die Liebe war. Dabei wollte ich unbedingt wieder eine Verbindung zu den Menschen finden.
Ist Ihr aktuelles Projekt "Touch" aus diesem Bedürfnis heraus entstanden?
Ja, es ist fast automatisch entstanden und brauchte keinen Startpunkt. Ich habe angefangen Geschichten zu sammeln, immer wenn ich einen Menschen berührt habe. Es waren zufällige, spontane Berührungen mit fremden Menschen. Zum Beispiel saß ich in einem Bus und mein Nebenmann hat seinen Pulli ausgezogen und zwischen unsere Sitze geklemmt. Ich spürte, dass der Pulli eine Verbindung zwischen unseren Körpern herstellte. Es entstanden über 40 solcher Geschichten.
Das Video zu "Touch" zeigt nackte Menschen an einem verlassenen Ort. Sie lecken Eisenstangen ab und verhalten sich nicht besonders alltäglich. Die Berührungen wirken sehr abgedreht und geheimnisvoll.
Ich arbeite minimalistisch abstrakt und habe keine Lust, den Leuten alles vorzugeben. Sie sollen sich selbst Gedanken machen. Das Video spielt in einem ehemaligen anatomischen Institut, in dem Menschen analysiert und seziert wurden. Ich wollte diesen Ort wiederbeleben. Die Atmosphäre entstand aus dem Prozess heraus, es ist viel improvisiert worden, geplant war nur wenig.
Zu dem Projekt gehört auch ein zweites Video, "Pristine". Wieder nackte Menschen, diesmal schmiegen sie sich an knorrige Baumwurzeln.
Als Sozialarbeiter bin ich im Flüchtlingsheim tätig. Ich wollte Geflüchtete unterstützen, ohne mich als Moralapostel darzustellen. In dem Video geht es um Entwurzelung, darum, einen Ort verlassen zu müssen und an einem neuen wieder Wurzeln zu schlagen. Ich freue mich, wenn Geflüchtete die Kraft entwickeln, in den Performances wieder zu sich zu finden.