Peter Michalski, Ihre Marke und Ihr Geschäft, die Düsseldorfer Hood Company, ist über Deutschlands Grenzen als Anlaufstelle der Sprayerszene bekannt. Warum haben Sie jetzt ein paar Meter entfernt, in der Hüttenstraße, eine Galerie eröffnet?
Peter Michalski: Mein Partner Andreas Kopp und ich führen seit 17 Jahren die Hood Company. Unser Sortiment ist ausgerichtet auf die Bedürfnisse von Street-Art-Künstlern und Stylewritern, also Künstlern, die jede Art der stilistischen Verformung von Buchstaben zu ihrem Thema auserkoren haben. Somit haben wir jeden Tag mit ihnen zu tun. Dazu kommt meine kunsthistorische Ausbildung, da ist der Gedanke an die Eröffnung einer Galerie natürlich naheliegend. Als Corona uns zusätzlich die Einnahmen beschert hat, um das Ganze auch finanziell zu stemmen, haben wir es gewagt.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihnen genutzt?
PM: Es ist mir unangenehm, das auszusprechen, aber geschäftlich sind wir Corona-Profiteure. Während der gesamte Kunst- und Kulturbetrieb zum Erliegen kam, blühte die Street Art und das Stylewriting auf. Unser Klientel sah ihr urbanes Spielfeld durch die Lockdowns beruhigt und es nutzte diese Gelegenheit auch als Ventil und Freizeitgestaltung.
Sie haben Kunstgeschichte an der Ruhr-Universität in Bochum studiert. Worauf waren Sie da besonders fokussiert?
PM: Abgesehen von der Erfüllung der Anforderungen ging es mir fast nur um Malerei, um das Projekt der Moderne, das die Stylewriter fortführen. Mein ganz persönliches Steckenpferd aber waren und sind die Abstrakten Expressionisten aus den USA.
Was haben Sie mit Ihrer Galerie geplant?
PM: Angelehnt an unseren Geschäftsbereich zeigen wir Street Art und Stylewriting in den Hoodprojects. Dabei ist die gerade trendige, aufwändige, zeitgenössische Dekorationskunst nichts für uns. Die von uns präsentierten Künstler sollen gehaltvolle Positionen vertreten, die entweder außergewöhnlich oder aber klassisch, dafür aber besonders gut sind und natürlich wollen wir nur mit Leuten zusammenarbeiten, bei denen wir die Idee dahinter schätzen. Mit 1UP geht’s los.
1UP, können Sie mir etwas über Ihre Werke dort erzählen? Ich sehe einige U-Bahn-Teile aus Berlin, was hat es damit auf sich?
1UP: Das hat sich auch aus der Corona-Zeit ergeben. Wir waren noch nie so lange am Stück in Berlin, eigentlich reisen wir ja sehr viel und versuchen möglichst viel Zeit im Ausland zu verbringen und auch dort zu malen. Durch Corona war das nur sehr eingeschränkt möglich und gleichzeitig gab es – zumindest im ersten Lockdown – in Berlin viel mehr Möglichkeiten, U-Bahnen zu bemalen. Es wurden viel mehr Züge abgestellt, weil weniger fuhren. Gleichzeitig gab es kein zusätzliches Sicherheitspersonal. Das war ein Gefühl, wie jeden Tag Party zu haben. Man konnte sich einfach spontan verabreden, jeden Tag. Viele andere Kollegen und wir haben selten so viele U-Bahnen bemalt wie im letzten Jahr. Und die Werke hier in der Ausstellung, die Fenster und Türen, spiegeln das wider.
PM: Ich mag den skulpturalen Effekt einer U-Bahn-Tür oder eines U-Bahn-Fensters. Der eigentlichen Funktion entrissen, entwickeln sie im Ausstellungskontext ein Eigenleben. Sie ragen mit ihrer Masse in den Raum hinein und machen ihre Schwere erfahrbar. In meiner alltäglichen Nutzung des Nahverkehrs verschwende ich keinen Gedanken daran. Durch die Bemalung der 1UP-Crew werden die Teile der U-Bahn dann "geadelt". Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Gestaltung von Teilen eines Zuges nicht irgendeine fixe Idee ist, sondern immer eine Hommage an den klassischen Untergrund eines Stylewriters. Zwar begann die Geschichte des Stylewriting Mitte der 1960er-Jahre im US-amerikanischen Philadelphia, doch waren die beeindruckenden Bemalungen der New Yorker U-Bahn in den 1970er- und 1980er-Jahren der Turbobooster der Stylewritinggeschichte.
Dazu kommt ja auch der Beschaffungsmythos. Wenn ich heute Nachmittag eine U-Bahn-Tür bräuchte, dann könnte ich mir die wahrscheinlich nicht beschaffen.
PM: Ja, auch die Beschaffungskriminalität gehört dazu. Es sieht ja bestimmt auch lustig aus, wenn die von 1UP eine U-Bahn-Tür durch die Gegend schleppen oder damit durch den Park rennen.
1UP: Uns gefällt bei der einen Tür, dass die einen Druckknopf hat und immer noch Klackgeräusche macht, wenn man ihn drückt. Das ist ein schöner, vertrauter, analoger Sound. In der Ausstellung zeigen wir auch zwei alte Pariser Zinkdachplatten, die wir bemalt haben. Sie stammen von einem Roadtrip, den wir letztes Jahr über Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich gemacht haben. Durch diese verschiedenen Readymades versuchen wir eine Verbindung von Außen- zum Innenraum herzustellen. Es gibt auch ein Video, das ist eher untypisch für uns, da wir sonst unsere Filme immer sehr schnell schneiden und aktionreich gestalten. Dieses hier ist langsamer, ein Tagebuch unserer Reise des letzten Sommers.
Ist es wichtig, immer noch weiter auf der Straße illegal zu arbeiten? Muss man dort draußen aktiv bleiben, um den Wert seiner legalen Arbeiten zu steigern?
1UP: Nicht zwangsläufig. Der New Yorker Seen verkauft erfolgreich Leinwände, ist aber schon seit langem nicht mehr illegal aktiv. Aber sein Name hat sich bereits so stark in die Graffitigeschichte eingeschrieben, dass er heute nicht mehr draußen zu sprayen braucht. Auch JonOne macht illegal bestimmt nicht mehr so viel. Wer weiß, was wir in zehn Jahren draußen noch machen, aber ich denke schon, dass zumindest einige von uns weitermachen.
PM: Für mich persönlich ist die Unterteilung illegal/legal generell nicht wichtig. Gut muss es sein, Niveau sollte es haben und eine Idee sowieso. Das sind die Werte, die für mich ausschlaggebend sind. Ob der Künstler dann nachts noch wild sprühend durch die Straßen zieht, macht nicht seinen Wert aus. Insgeheim freue ich mich aber doch, wenn ein von uns präsentierter Künstler noch zusätzlich und ungefragt nachts hier und da ein paar Tags setzt.
Also diese sehr schnell geschriebenen Namen in einer Farbe, die oft eine kritzelige, wilde, handschriftliche Ästhetik aufweisen.
PM: Ich finde es erfrischend, wenn Leute wie 1UP das machen. Es ist manchmal schon relativ merkwürdig, wie manche Sprayer ihre Wurzeln vergessen, denn mit Tags fing alles an. Klar, die meisten Stylewriter haben den Fokus auf schöne bunte Buchstaben, aber es gibt eben auch andere Faktoren wie die Gruppendynamik und die Action. 1UP zieht diese Aspekte hoch und zelebriert das Stylewriting nicht so wie andere Sprayer. Das ist ein Teil ihres Gegenentwurfs zur Schönmalerei.
Wie würden Sie denn Ihren Nicht-Stylewriting beschreiben?
1UP: Uns ist die kollektive Dynamik wichtig. Und im Fokus steht gar nicht so sehr das fertige Bild, sondern die Intervention im öffentlichen Raum. Bei einem der letzten Chrome-Wholetrains, also einem Zug, der über alle Wagons komplett besprüht wurde, haben ungefähr 30 Leute 1,5 Minuten gemalt. Das fertige Zuggraffito war nicht überall gut ausgemalt, auch hat beim "P" die Second Line gefehlt, weil die Farbdose vergessen wurde. Trotzdem war es ja eine geglückte Aktion. Diese Fehler sind für uns nicht sehr wichtig. Das Werk ist eben nicht nur das finale, abgeschlossene Bild auf dem Zug, sondern die gesamte Aktion. Daran sind genauso die Leute beteiligt, die draußen aufpassen, sowie die, die filmen.
Bei der "zeitgenössischen Dekorationskunst", also bei den sauberen Bildern, die sich an viele klassische Regeln des Stylewriting halten, sehe ich auch schnell Grenzen erreicht. Da geht es für mich künstlerisch auch nicht wirklich weit, da entstehen selten spannende Dinge.
1UP: Bei Graffiti ist für uns auch die Erfahrung sehr wichtig, das Entdecken von Orten, das Arbeiten mit anderen Menschen. Wir versuchen uns nicht an viele Regeln zu halten, manchmal schreiben wir ja auch politische Botschaften, ganz ohne unseren Namen.
PM: Mir gefällt, dass die Gruppe in die gesellschaftliche Diskussion eingreift. Themen wie etwa Homosexualität oder Migrationspolitik werden viel zu selten von Stylewritern aufgegriffen und bearbeitet, obwohl man mit der Sprühdose ja ein relativ effektives Werkzeug zur Hand hat.
Warum wirken Galerieausstellungen von illegalen Sprayern oft so brav? Oft vermisse ich den Mut und die Risikobereitschaft von draußen.
PM: Das ist ein sehr komplexes und unter Stylewritern vieldiskutiertes Thema. Die adäquate Beantwortung dieser Frage würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Für mich trennt sich beim Schritt von draußen nach drinnen die Spreu vom Weizen. Selten funktioniert die direkte Übertragung eines Werkes des Stylewriting auf Leinwand, aber möglich ist es. Ein gutes Beispiel dafür wäre SWET. 1996 hat er im Kallmann Museum in Ismaning bei München eine pure Stylewriting-Leinwand gezeigt und das hat auf mich visuell sehr gut gewirkt.
Einige Graffiti- und Street-Art-Galerien inszenieren Glamour, Eleganz und absolute Sauberkeit. Oft erkennt man Graffiti-Galerien daran, dass sie am saubersten von allen sind. Ein erstaunliches Paradox.
PM: Ist es das? Natürlich wollen wir ausgewöhnliche Positionen und Künstler präsentieren, aber als Galerie müssen wir uns ja nicht zwangsläufig von anderen Galerieräumen abheben.
Ich würde mir von den Künstlern wünschen, dass sie viel mehr experimentieren. Es muss ja nicht jeder Sprayer auf die Leinwand gehen, es gibt andere Bereiche, wie Bildhauerei, Film, Sound-Art oder Installationskunst.
PM: Da muss ich widersprechen. Experimentiert wird viel und zwar in allen Bereichen. Aber trotzdem überzeugt das selten. Wenn Sie aber malerische Ingenuität und die visuelle Herausforderung suchen, dann machen Sie mal Ihren nächsten Sonntagsspaziergang ins nahegelegene Depot für Güterzüge. Da hat sich ein eigener Teilbereich des Stylewritings entwickelt, der das malerische Experiment zum alleinigen Parameter für ein gelungenes Bild erhoben hat.
Was kosten die Arbeiten von 1UP?
PM: Zwischen 4500 und 8000 Euro.
1UP: Noch einmal zurück zu Ihren Einwand zur Galeriekunst. In der Galerie hast du ja auch die Hoffnung zu verkaufen, das verstehe ich schon. Anders war es zum Beispiel im Goethe-Institut in Brüssel bei unserer Ausstellung "One Week with 1UP, Martha Cooper & Ninja K" im Jahr 2019. Da haben wir auch ziemlich rumgesaut. In diesen nichtkommerziellen Räumen sind natürlich ganz andere Herangehensweisen möglich.
Leben Sie denn von Ihrer Kunst?
1UP: Gott sei Dank haben wir diesen Druck nicht. Mit dem über Ausstellungen eingenommenen Geld bezahlen wir Reisen, Anwälte oder Strafen. Manchmal reisen wir an den Ort, wo wir eine Ausstellung haben und verbinden und finanzieren beides miteinander. Deswegen haben einige von uns zu den Ausstellungen ein instrumentelles Verhältnis. Unseren Roadtrip einmal quer durch Australien im November/Dezember 2019, der viele tausend Euro gekostet hat, hätten viele von uns sonst nicht bezahlen können. Auf unserem Trip von Perth über Adelaide, Melbourne und Sydney nach Brisbane hatten wir in Melbourne und Sydney eine abendliche Party mit Ausstellung.
PM: Auch hier in der Galerie haben wir eine ganz glückliche Situation. Der Mietvertrag gilt erstmal nur für zwei Jahre, unser Laden ist ein paar Meter weiter und selbst wenn wir überhaupt nichts verkaufen, kann der Laden das immer noch auffangen. Das ist sehr befreiend, wenn man nicht zwangsläufig nach einem Publikumsgeschmack gehen muss. Wir wollen verkaufen, müssen es aber nicht.