Galerienwochenende in Berlin

12 Gallery-Weekend-Ausstellungen, die Sie nicht verpassen sollten

47 Berliner Galerien zeigen ihre besten Ausstellungen des Jahres. Wir stellen zwölf Highlights vor

Charline von Heyl bei Capitain Petzel

Ihre Bilder haben etwas Wucherndes. Man wird mit ihnen nicht fertig, sie wachsen einem über den Kopf – und in den Kopf. Die deutsch-amerikanische Malerin Charline von Heyl zeigt in ihrer zweiten Soloausstellung bei Capitain Petzel überwiegend Großformate. Zu sehen sind schablonenhafte Natur-Anmutungen, Zickzack-Wälder oder abstrakte Meere. Es sind Meta-Gemälde voller Anspielungen auf Kunstgeschichte und Sprachen der Malerei. Konstruktivistische Formen und gestische Passagen wechseln sich ab mit vereinzelten figurativen Zeichen, die den Betrachter ins Bild locken, ohne ihr Versprechen – auf Geschichten vielleicht – einzulösen. Die Bilder, die in langwierigen, immer wieder unterbrochenen Prozessen entstehen, sollen "etwas zum Leuchten bringen", sagt die Künstlerin in Berlin. Jedes ihrer Bilder lockt die Betrachter in ein Seh-Abenteuer voller Reizüberflutungen, Cliffhanger und Enttäuschungen. Wer Klassisches, Ausgewogenes, Schnellverdauliches sucht, hat die falsche Tür aufgestoßen. Aber schnell kann es zu spät sein – Charline von Heyls Bildwelten zu entkommen.

Capitain Petzel, 28. April bis 3. Juni

 

Pamela Rosenkranz bei Sprüth Magers

"She Has No Mouth" – der Titel der Soloschau von Pamela Rosenkranz bei Sprüth Magers verweist auf die Mangafigur Hello Kitty und ihre besondere Eignung als Projektionsfigur für den Konsumenten, weil die niedliche Katze keinen Mund hat. Das vielschichtige Verhältnis zwischen Mensch und Katze steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Die Schweizer Künstlerin beschäftigt sich mit den sensorischen Reizen, die den Menschen seit Urzeiten bestimmen. Es sind Codes, die heute von der Industrie manipulativ genutzt werden. Der Duft von "Obsession for Men" – basierend auf dem Katzenpheromon Civetone – zieht durch die Galerieräume. Kreisrunde Lichtobjekte simulieren den Mittagshimmel, daneben ruft feiner Sand Erinnerungen an die evolutionäre Umgebung des Menschen wach. Das gefleckte oder gestreifte Fell von Raubkatzen – ursprünglich Feinde des Menschen – wecken nicht nur Kampf- oder Fluchtreflexe, sondern auch erotische Gefühle. Mit einer Reihe von Aufnahmen gefleckter oder gestreifter Katzenfelle, die sie mit Hautfarben bearbeitet hat, inszeniert die Künstlerin die Ambivalenz zur Kreatur. In einer Soundarbeit ist die Interaktion zwischen einem Frauchen und ihrer Katze zu hören: Die Frauenstimme klingt künstlich aufgehellt, das Tier reagiert mit einem Miauen, das erwachsene Katzen in freier Wildbahn eigentlich abgelegt haben.

Sprueth Magers, 29. April bis 17. Juni

 

 

Caleb Considine in der Galerie Buchholz

Caleb Considine ist ein Maler, wie es ihn länger nicht mehr gab: Er malt fotorealistische Stillleben. Darauf sind Bücherstapel zu sehen und PET-Flaschen, ein Gefäß mit einer dunklen Flüssigkeit ("Pigs blood for a painting I didn't make", 2017) oder eine lesende junge Frau ("Whitney"), die schmale geflochtene Zöpfe und einen schönen schmalen Hals wie aus einem Gemälde von Rafael hat. Klar, man kann nicht mehr figurativ malen ohne dass die gesamte Kunstgeschichte Schlange steht. Trotzdem. Die Maße der Leinwände variieren zwischen nur 30 und 50 Zentimetern, doch in ihrer Schärfe und Präzision füllen sie mühelos die Räume der Galerie Buchholz. Oder liegt das nur daran, dass man so lange keine derartige Malerei mehr gesehen hat? Egal, es macht großen Spaß und man will mehr von diesem Malen. Ganz am Ende des langen Pressetextes steht auch, warum. Etwas, auf das sich alle einigen können. Trotzdem toll, dass es mal jemand sagt: "Durch diese Bilder entsteht auch ein größeres Bild, das einer beharrlichen Hingabe an eine Tätigkeit."

Galerie Bucholz, 28. April bis 17. Juni

 

Symonds, Pearmain, Lebon, "Iron Lady" bei Bortolozzi

Es sind drei Männer aus dem Modebusiness, die sich hier als Künstlertrio zusammen getan haben: Der Designer Antony Symonds, der Stylist Max Pearmain und der Fotograf Tyron Lebon. Der Star ist aber trotzdem eine nackte junge Frau, die ihren Körper lustvoll vor der Kamera biegt für die fiktive Werbekampagne eines Parfums. Doch hier ist alles ein bisschen weiter getrieben als normalerweise in der Beautyindustrie: Es wird nicht nur verlockend auf dem Sofa gelegen wie einst Kate Moss, sondern masturbiert. Es ist nicht nur ein neuer Duft, sondern er besteht zur Hälfte aus dem berühmtesten aller Düfte, Chanel No 5, und zur anderen aus dem Gegenstück "Rive Gauche" von Yves Saint Laurent. Eine eigentlich undenkbare Mischung, konzeptuell, markentechnisch, und auch olfaktorisch. "Iron Lady" hießt der Hybrid. Die Modelinie dazu kommt von Symonds allein, es sind skulptural geraffte asymmetrische Ledertops, die in verschiedenen kombinierten Braun- und Ockertönen ein wenig an Rüstzeug für eine sehr alte, sehr extravagante Sportart erinnern, in der es auch um Sex geht.

Isabella Bortolozzi, 29. April bis 17. Juni

 

Angela Bulloch und Anri Sala bei Esther Schipper

Bei der Voreröffnung für geladene Gäste bei Esther Schipper war kaum ein Durchkommen: Die Neugier auf die neuen Räume der durch den Zusammenschluss mit Johnen gewachsenen Galerie war groß. Die Location ist ideal, im alten Tagesspiegelgebäude direkt über der Galerie Blain Southern. Die Räume sind groß, aber noch gut handhabbar für Künstler, mit einem schönen Oberlicht im kleineren Ausstellungsbereich im Eingang. Dort zeigt Angela Bulloch unter dem Titel "Heavy Metal Body" neue geometrische Skulpturen, die ihre unregelmäßigen Formen und Konstellationen unter anderem einer Software verdanken und tatsächlich auf irritierende Weise aussehen, als wären sie virtuell. Im Hauptraum spaziert man über eine neue, sehr aufwendige Videoinstallation von Anri Sala herum: Auf den zwei Seiten der großen Projektionsfläche sieht man die Tasten ein Klaviers, auf der mal ein Computerprogramm, mal ein Pianist die Marseillaise, die Internationale oder auch Mischungen von beiden spielt. Das Ergebnis schwankt zwischen Kakophonie und Harmonie, so wie die beiden Hymnen im Laufe der Geschichte ihre Bedeutungen geändert haben. Die Installation erinnert ein bisschen sehr an Salas Beitrag zum Französischen Pavillon von Venedig vor vier Jahren. Aber sehenswert ist sie allemal.

Esther Schipper, 28. April bis 17. Juni

 

Kasia Fudakowski bei ChertLüdde

Für Kasia Fudakowskis Ausstellung "Double Standards - A Sexhibition" in der Kreuzberger Galerie ChertLüdde muss man sich entscheiden: Geht man in den linken oder den rechten Ausstellungsraum? Beides ist nicht erlaubt. In der Schau verarbeitet die 1985 in London geborene und in Berlin lebende Künstlerin ihre Hassliebe für die US-Künstler Lee Lozano und Andy Kaufman, die in den 70er Jahren mit radikaler Konzeptkunst und Performances auf sich aufmerksam machten. Lozano (1930-1999) war eine amerikanische Malerin, Konzept- und Performance-Künstlerin, die ihre künstlerische Karriere Anfang der 70er-Jahre mit den Werken "Boycott Women Piece" und "Dropout Piece" beendete, in denen sie mit dem eigenen Geschlecht und der Kunstwelt abrechnete. Kaufman (1949-1984) war ein selbst ernannter "Inter-gender Wrestling Champion" und "Song and Dance Man", der durch seine provokativen Performances das Publikum zugleich verwirrte und herausforderte. So wie ihre Künstlerkollegen durch provokative Herangehensweisen eine gewisse Doppelmoral verkörperten, hinterfragt Fudakowski mit "Double Standards" auf kluge Weise auch ihre eigene Position als Künstlerin, in der sie einerseits stets bemüht ist, das System zu hinterfragen, gleichzeitig aber auf dessen Unterstützung angewiesen ist. Neben der Publikation "Info-Fuction", in der Fudakowski Teile der Biographien und Werke von Lozano and Kaufman mit fiktiven Material verbindet, sind witzig-charmante Skulpturen zu sehen, deren organische Formen sehr stark an Geschlechtsteile oder Fäkalien erinnern.

ChertLüdde, 28. April bis 17. Juni

 

Viktoria Binschtok bei Klemms

Die Fotografin Victoria Binschtok wurde Mitte der 70er-Jahre geboren und gehört also der letzten Generation an, die noch im analogen Zeitalter aufwuchs. Vermutlich rührt daher ihre sehr souveräne Art, die Machtübernahme des Digitalen zu reflektieren – und ihr die Autonomie des Künstlers entgegenzusetzen. Fotos aus ihrem Archiv speiste Binschtok in eine Bildersuchmaschine ein, die die Aufnahmen der Künstlerin nach rein formalen Kriterien mit anderen ähnlichen Bilder aus dem Netz zusammenstellte. Ein Stapeln Büroklammer gesellt sich so zur Skyline von New York, der goldene Bulle vor der New Yorker Börse zu einem goldenen Zigarettenetui, oder vier bunte Plexiglasplatten zu einer Passantin, die Luftballons in denselben Farben trägt. Binschtok hat die vom Computer vorgeschlagenen Motive selbst in der Realität aufgesucht und noch einmal fotografiert, durch kleine Manipulationen widersetzt sie sich der Logik der Algorithmen: ihre New York-Ansichten stammen von einem Puzzle-Karton, auf einer Glühbirne fügt sie eine Lichtreflektion, oder sie ahmt die Pixel-Ästhetik von Google-Stree-View nach. So smart der konzeptuelle Hintergrund: Binschtok ist vor allem eine großartige Fotografin mit einem sicheren Gespür für das, was sich nicht berechnen lässt.

Klemms, 28. April bis 10. Juni

#viktoriabinschtok bei der @galerieklemms #galleryweekendberlin #klemms #cluster

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Grace Weaver bei Soy Capitán

Der Look ist fast perfekt: Ein großer, schwarzer Hut auf dem Kopf, das rote Kleid tief ausgeschnitten, der Blick kokett zur Seite gerichtet – aber dann trasht ein billiger Coffee-to-go-Becher die Pose auf Plastikniveau. Auf Netflix läuft das Serienfinale, einsam verfolgt von einer jungen Frau. Und auch im Gym will sich wiedermal nur Erschöpfung einstellen. Die Bilder der jungen New Yorker Malerin Grace Weaver wirken wie Momentaufnahmen der Generation Y zwischen Selbstbewusstsein und Unsicherheit, Vernetzung und Isolation – Gefühle, die sie selbst nur zu gut zu kennen scheint. Stets durchzieht die humorvolle Beobachtung ein Gespür für die Tragik der Situation: Ein junges Mädchen wirft sich ihrem Freund verliebt an den Hals, ihr Kleid ziert ein Raubtiermuster, er trägt Camouflage und scheint tatsächlich am liebsten verschwinden zu wollen. Alte, existentialistische Fragen in zeitgemäßer Form: Weaver mischt comicartige Skizzen mit malerischen Mitteln, lässt ein bisschen Pierre Bonnard, ja ein bisschen Picasso aufschimmern – aber weiß doch genau, wann der Look zu perfekt ist.

Soy Capitán, 28. April bis 24. Juni

 

Stefanie Gutheil bei Russi Klenner

Eine wirkliche Entdeckung ist die Ausstellung von Stefanie Gutheil in der kleinen Kreuzberger Galerie Russi Klenner. Wie Miniaturbühnen wirken die Bilder der jungen Berlinerin, ein Effekt, der durch spezielle Rahmungen mit Plastik und Holz und durch Schnüre, die sich über die Bilder ziehen, verstärkt wird. Aufgeführt werden Szenerien zwischen Anarchie und Alptraum: wurmförmige Mischwesen zwischen Tier und Mensch ringen um Balance, jeder Versuch um Ordnung verpufft in Absurdität – oder ist es gerade andersherum? Szenen aus den Filmen Tim Burtons kommen in den Sinn, die feministische Schlachteplatte einer Nicole Eisenmann, das bad painting all jener, die montags vergeblich den großen braunen Molch aus dem Kopf kriegen wollen. Wem gehört eigentlich die Socke, die hier liegt?

Russi Klenner, 28. April bis 10. Juni

 

Candice Breitz bei KOW

Welches Maß an Empathie vermag eine wahre Geschichte zu wecken? Welche Rolle spielen die Person der Erzählerin oder des Erzählers dabei? Die Medienkünstlerin Candice Breitz hat sich in ihren Videoarbeiten immer wieder mit Identifikationsmechanismen, mit Hollywood und der rauhen Wirklichkeit dahinter beschäftigt. In der Galerie KOW zeigt sie die Mehrkanalinstallation "Love Story". Auf der großen Leinwand im Erdgeschoss der Galerie sind die Stars Alec Baldwin und Julianne Moore zu sehen. Sehr überzeugend berichten sie von Krieg, Flucht und Neuanfang. Die Geschichten sind allerdings nicht ihre eigenen. Im Keller sind die ursprünglichen Erzähler zu sehen: Ein ehemaliger Kindersoldat aus Angola, eine dem Krieg entkommene Syrerin, eine junge Frau, die der Gewalt in der Republik Kongo entkam, die Transgender-Aktivistin, die ihre indische Heimat verlassen musste, ein politischer Dissident aus Venezuela, ein Flüchtling aus Somalia. Geht man zurück zu den schnell montierten Schicksals-Häppchen, die uns von Baldwin und Moore serviert werden, wirkt Breitz' Installation erhellend: "Love Story" untersucht die Grenzen der Empathiefähigkeit ebenso wie die Gefahren durch Manipulation. Aus der Medienmühle gibt es wahrscheinlich kein Entrinnen. Allerdings kann man sich kritisch mit den affektfördernden Mechanismen auseinandersetzen – wie Candice Breitz es tut.

KOW, 29. April bis 30. Juli

 

Helga Paris bei Between Bridges

Das blasse schmale Mädchen steht ernst an der Wand, die Hände vor dem karierten Rock zusammengelegt. Der Putz ist abgeblättert, die Wand mit Kreide beschrieben, es sieht nach Nachkriegszeit aus, dabei handelt es sich um die siebziger Jahre. Berlin Prenzlauer Berg, gesehen von der Fotografin Helga Paris (geboren 1938, lebt in Berlin), ausgestellt in der Galerie Between Bridges. Die kleine Ausstellung der Autodidaktin mit 18 Schwarzweiß-Abzügen aus der Zeit von 1972 bis 1982 gewährt einen persönlichen, trotzdem sehr präzisen Blick auf diese Zeit: Größtenteils aus ihrem persönlichen Umfeld stammen die Motive und Personen – Familie Schurig, Frau Köstner, Winsstraße mit Taube. Auch wenn man denkt, man habe sie so oder so ähnlich schon gesehen: Helga Paris gehörte keiner Fotoschule an, keiner Bewegung, sie verlässt sich auf ihr Auge und auf ihr Umfeld. Sie hat ihren Blick nicht zugespitzt auf Analyse, will kein Milieu studieren. Das ist ihre Stärke, denn so sind diese Bilder trotz der spröden Ästhetik, die diese graue Zeit immer untermalt, warm und mitmenschlich.

Between Bridges, 27. April bis 17. Juni

 

Anselm Reyle und Michaela Meise in der König Galerie

Anselm Reyle ist wieder da - und bespielt gleich Berlins dominantesten Galerieraum: Das Kirchenschiff von St. Agnes der Galerie Johann König. Drei riesige Hängeskulpturen hängen von der Decke und bewegen sich langsam im Kreis: Das Vorbild sind einfache Windspiele, die Reyle formal vereinfacht und extrem vergrößert hat. Ein Motor bewegt die Skulpturen, die an kinetische Kunst und Op Art erinnern und Reyles bewährte Methode, ästhetische Klischees zu revitalisieren, auf eine neue Ebene heben. Der Effekt ist beachtlich.
Leiser und nachdenklicher ist Michaels Meises Schau "Holle-Vanderbilt" in der Kapelle, und auch sie ist hier, in der intimen, abgeschirmten sakralen Raumsituation genau am richtigen Ort. Meise hat hier eine Bank und Stühle um einen Tisch gruppiert wie bei einem Familientreffen, und genau wie dort bringt jeder seine Geschichten mit, die durch Inschriften, Einritzungen und Aufklebern auf den Flohmarktmöbeln repräsentiert werden, vom Nationalsozialismus bis zum Kolonialismus. Und daneben hockt eine Keramikfigur, Frau Holle, über eine Webteppich gebeugt - Mythen, Erinnerungen und Geschichte sind in dieser Installationen verschlungen wie die Fäden in ihrem Teppich.

König Galerie, Anselm Reyle: 29. April bis 4. Juni; Michaela Meise: 28. April bis 28. Mai